Die Bildqualität eines Zielfernrohrs hängt von mehreren
Faktoren ab. Der Objektivdurchmesser ist dabei nicht das entscheidende
Kriterium. Am Ende ist er nur eine „Begleiterscheinung“ und kein Qualitätsmerkmal
per se
„Zielfernrohre mit einem 56-mm-Objektiv sind besonders
lichtstark und bieten daher auch bei widrigsten
Lichtverhältnissen eine hervorragende Sicht.“, diesen oder ganz ähnlichen
Unsinn hat bestimmt jeder schon einmal beim renommierten Händler gehört. Es ist
natürlich einfach, im Verkaufsgespräch auf ein offensichtliches
Konstruktionsmerkmal eines Zielfernrohrs hinzuweisen. Für den Käufer ist die
Sache damit glasklar und auch noch so schön logisch: Größere Öffnung ist gleich
mehr Licht. So einfach kann Physik sein. Und schon ist man mit ausreichend
Fachwissen fürs Long Range Schießen oder die Dämmerungsjagd gewappnet. Am Ende
verlässt der übertölpelte Kunde das Geschäft mit einem überteuert gekauften
Zielfernrohr in seiner Einkaufstüte, dass vermutlich nicht einmal seinem
eigentlichen Verwendungszweck gerecht werden wird.
Metapher
Als in den 1980er-Jahren die ersten
Turbo-Benzinmotoren mit bis dato ungeahnten Motorleistungen im Straßenverkehr
auftauchten, stiegen die Kraftstoffverbräuche sprunghaft an. Um eine adäquate
Reichweite zu gewährleisten, mussten die Hersteller größere Benzintanks
verbauen. Alpina BMW vergrößerte das Kraftstoffgefäß mittels 30-Liter-Zusatztank
sogar auf über einhundert Liter.
Hier kommt die schlechte Nachricht:
Nur weil ein Auto einen großen Tank hat, ist es noch lange kein Alpina BMW. Der
größere Tank war lediglich eine Begleiterscheinung der hohen Motorleistung;
kein Qualitätsmerkmal für leistungsstarke Autos per se.
Im übertragenen Sinne bedeutet das,
ein 56-mm-Objektiv macht noch lange kein lichtstarkes Long Range Zielfernrohr.
Wie im Folgenden anhand der Kriterien Austrittspupille, Dämmerungszahl,
Lichttransmission und Brennweite sowie unter Zuhilfenahme
physikalischer Gesetzmäßigkeiten erklärt wird.
Kriterium 1: Austrittspupille
(AP)
Als Austrittspupille bezeichnet man den Durchmesser des
Strahlenbündels, der das Okular verlässt. Die Austrittspupille entspricht dem
Quotienten aus Objektivdurchmesser und Vergrößerung. Bei einem Zielfernrohr der
Dimension 8x56 beträgt die AP demnach sieben Millimeter; bei einer ZF-Dimension
von 10x50 noch fünf Millimeter.
Die Austrittspupille ist aber lediglich das bildseitige
Bild. Die andere Seite der Gleichung ist das menschliche Auge selbst und
entscheidend für die wahrnehmbare Bildhelligkeit. Nur der Teil des Lichtstroms,
der auch vom Auge aufgenommen werden kann, trägt zur Bildhelligkeit bei.
Die durchschnittliche maximale Pupillenweite eines Menschen hängt
ab vom Lebensalter. Liegt sie bei einem Jugendlichen noch bei 1,5 Millimeter (Tagsehen)
und maximal acht Millimeter (Nachtsehen), so reduziert sich die maximale
Öffnungsweite bei Erwachsenen auf vier bis sechs Millimeter. Einem 80jährigen
Greis bleiben nur noch etwa zwei Millimeter Pupillenweite beim Nachtsehen.
Die 7-mm-Austrittspupille des 8x56 Zielfernrohrs kann
demnach kaum ein Erwachsener noch aufnehmen. Für ihn bringt daher die
ZF-Dimension 10x50 keinen wahrnehmbaren Nachteil.
Zwei tatsächlich sinnvolle Faustregeln hierbei: Die
Austrittspupille sollte immer mindestens so groß sein wie die Pupille des
Beobachters oder Schützen. Und eine Austrittspupille von weniger als vier
Millimeter ist bei nachlassendem Licht grundsätzlich ungeeignet. Egal, wie hoch
die Dämmerungszahl ist.
Güte einer
Austrittspupille
Die Güte von Austrittspupillen kann schnell taxiert werden:
Das Fernglas mit ausgestrecktem Arm gegen eine helle Fläche halten und die
Okulare betrachten. So werden die Austrittspupillen sichtbar. Bei einem guten
Fernglas sind diese absolut kreisförmig, im Rand scharf und gleichmäßig hell.
Eckige Formen und Abschattungen (Vignettierungen) sind ein Indikator für kleine
Prismen oder Glas mit geringer Brechzahl und damit minderwertige Qualität.
Kriterium 2:
Dämmerungszahl
Die Dämmerungszahl ist die Wurzel aus dem Produkt von
Vergrößerung und Objektivdurchmesser. Sie ist somit eine rein rechnerische
Größe und lässt Leistungsdaten wie Bildschärfe, Kontrast, Lichttransmission,
Farbwiedergabe unberücksichtigt.
Die mangelhafte Aussagekraft der Dämmerungszahl, die
besonders Jägern im deutschen Sprachraum als Orientierungshilfe dient, zeigt
eine Beispielrechnung:
Alle Ferngläser der Dimension 8x56 haben eine Dämmerungszahl
von 21,2; unabhängig von deren Güte oder Anzahl der verbauten Linsen und deren
Beschichtung. Selbst ein Fernglas in 56x8 hätte eine identische Dämmerungszahl
von 21,2. Ein Fernglas in 56x8 ist offenkundiger Unsinn und auch nirgends
verfügbar. Die Dämmerungszahl besitzt demnach keine Aussagekraft.
Bei Zielfernrohren weicht die Berechnung der Dämmerungszahl
von der für Ferngläser ab. In diesem Fall wird nur die Objektivöffnung
berücksichtigt, die eine maximal acht Millimeter große Austrittspupille ergibt.
Denn mehr Licht könnte selbst ein sehr junger Schütze nicht nutzen. Dazu ein
konkretes Beispiel:
Der jagdliche Allrounder 3-12x56 hat bei einer 3-fach
Vergrößerung eine theoretische Austrittspupille von 18,7 Millimeter (56 Millimeter
Objektivdurchmesser geteilt durch drei). Kein menschliches Auge ist in der
Lage, eine so große Objektivöffnung und die daraus resultierende Austrittspupille
effektiv zu nutzen.
Daher wird zuerst die Objektivöffnung berechnet, die bei 3-fach
Vergrößerung eine 8-mm-Austrittspupille ergeben würde. Das sind 24 Millimeter. Bei
Stellung 3-fach ergibt sich damit rein rechnerisch eine Dämmerungszahl von 8,5
(Wurzel aus dem Produkt von drei und 24).
Kriterium 3:
Lichttransmission
Die Lichttransmission ist der „Lichtdurchlassungsgrad“. Die
Transmission benennt in Prozent, welcher Anteil des einfallenden Lichts im
Okular wieder austritt. In einer Zieloptik kommt es immer zu Lichtverlusten.
Entscheidend ist, wie groß diese Verluste ausfallen. Diese Transmission zu
errechnen, ist unter Laborbedingungen mit viel Aufwand machbar. Mit mehreren
hundert Messungen werden die Durchschnittswerte für die Spektralfarben identifiziert
und das Ergebnis mit der Empfindlichkeit des menschlichen Auges hinsichtlich
Farben bewertet. Dabei wird zwischen Tag- und Nachttransmission unterschieden.
Premiumgläser liegen heute in der Regel jenseits der 90
Prozent Transmission. Ein ZEISS Victory 8x56 T* FL liefert beispielsweise 94
Prozent Lichttransmission, die für die Nachtjagd beliebten Zielfernrohre der
HT-Serie von ZEISS liegen laut Hersteller bei 95 Prozent.
Die Güte und die Art der Entspiegelungsbeschichtung der
verbauten Gläser spielt eine Rolle, denn die Lichttransmission wird beeinflusst
von Reflexen bzw. speziellen Antireflexvergütungen auf der Glasoberfläche. Ein
Beispiel stellt die ZEISS T* Mehrschichtvergütung auf allen Glas-Luft-Flächen
dar. Dieses Mehrschichtverfahren mit seinem 6-schichtigen Aufbau wird dabei
individuell auf einzelne Linsen und Glasmaterialien abgestimmt. Über einhundert
im Hochvakuum aufgedampfte Schichten pro Glasseite sind dabei üblich. Eine
solche Beschichtung berücksichtigt auch die erhöhte Blauempfindlichkeit des
Auges in der Dämmerung und unterstützt so dabei, möglichst viel Licht
rauszuholen.
Als Endkunde kann man nicht wissen, welche Standards ein
Hersteller bei der Ermittlung der Lichttransmission hat und wie die
Messergebnisse entstehen.
95 Prozent Lichttransmission im Durchschnitt bei einer sehr
hohen und damit repräsentativen Anzahl von Messungen unter identischen
Laborbedingungen und vorab exakt definierten Lichtverhältnissen (typisch für
Dämmerung oder eine mondhelle Nacht) werden ihr Versprechen auch in der Praxis
einlösen. Pickt eine findige (oder verzweifelte) Marketingabteilung stattdessen
ein einsames Spitzenergebnis einer Tagmessung heraus und gibt dieses dann ohne
weitere Erklärung als Lichttransmission an, wird der Anwender eine Enttäuschung
erleben.
Das Kriterium Lichttransmission wird daher zumindest für
Endanwender aufgrund unzureichender Informationsbasis zu einem Nullargument.
Kriterium 4:
Brennweite
Die Brennweite meint hier den Abstand zwischen der
Objektivlinse und den Linsen in der ersten Bildebene. Dieser Abstand hat
maßgeblichen Einfluss auf die Bildqualität eines Zielfernrohrs. Je größer der
Abstand, desto besser die Bildqualität, weil die Objektivlinse die
Lichtstrahlen nicht so aggressiv bündeln muss.
Die Abbe-Zahl, benannt nach dem deutschen Physiker Ernst
Abbe, dient als dimensionslose Größe zur Charakterisierung der lichtbrechenden Eigenschaften
von optischen Gläsern. Eine hohe Abbe-Zahl steht für geringe Dispersion und
deutet auf eine hohe Linsenvergütung hin.
Entstehen beim Brechen von Lichtwellen Abbildungsfehler,
nennt man das chromatische Aberration. Eine mögliche Gegenmaßnahme bei
chromatischer Aberration, ist das Zusammenfügen mehrerer Linsen zu einer
Linsengruppe.
Eine kurze Brennweite im ZF ermöglicht die seit einigen
Jahren am Markt verfügbaren Zielfernrohre in (Ultra-) kurzer Bauweise. Eine
hohe Bildqualität muss hier allerdings mit einem Bündel mehrerer Objektivlinsen
erkauft werden. Premiumanbieter verbauen nicht selten zwei oder gar drei
Objektivlinsen, um die chromatische Aberration zu mindern. Darüber hinaus sind
die Linsen anti-dispersionsbeschichtet. Beide konstruktiven Merkmale erhöhen
den Fertigungsaufwand enorm, wodurch das ZF entsprechend hochpreisig wird.
Zielfernrohre mit einer langen bzw. normalen Brennweite
hingegen liefern auch ohne diesen optischen Extraaufwand eine entsprechend hohe
Bildqualität.
Je größer die Linse, desto schwieriger ist die Aberration zu
minimieren. Preiswerte, aber große Linsen werden immer deutlich weniger
Bildqualität erzeugen, als preiswerte kleine Linsen. Spielt das Budget bei der
ZF-Beschaffung wirklich eine tragende Rolle (was es nie tun sollte), ist der
Endanwender besser beraten, ein Zielfernrohr mit einem Objektivdurchmesser kleiner
als 45 Millimeter zu beschaffen bei gleichzeitig langer Brennweite. Noch
einmal: Die Bildqualität eines ZF steigt nicht proportional mit seinem
Objektivdurchmesser.
Kriterium 5:
Objektivdurchmesser
Der Objektivdurchmesser diente bisher lediglich als eine von
zwei Basisgrößen bei der Berechnung von Austrittspupille
und Dämmerungszahl. Kriterien also, die ohne Aussagekraft zur Qualität,
Güte oder Leistungsfähigkeit eines Zielfernrohrs sind.
Für die Lichttransmission ist der Objektivdurchmesser
belanglos. Denn Lichttransmission wird maßgeblich durch die Güter und die
Anzahl der verbauten Linsen beeinflusst.
Leitfaden zum Kauf
Vor allem sollte vorm Kauf der Verwendungszweck klar
definiert sein. Es gibt kein „All-round“-Zielfernrohr. Jeder Einsatzzweck ist
speziell und verlangt nach einem zweckdienlichen ZF. Man erkauft sich nicht
automatisch ein Mehr an Zweckdienlichkeit, nur weil das ZF überdurchschnittlich
teuer am Markt angeboten wird. Von Extrem-Kriterien, wie bspw. extreme
Zoom-Faktoren, extrem kurze Bauweisen oder von extremen Objektivdurchmessern
ist generell abzuraten.
Fazit
In kaum einem anderen Marktsegment wird mit so viel
Halbwissen und Scharlatanerie verkauft, wie bei Zielfernrohren. Sobald in einem
Beratungsgespräch über Zielfernrohre auf die Dämmerungszahl abgestellt wird
oder die Phrase vom „lichtstarken ZF aufgrund 56-mm-Objektiv“ bemüht wird,
sollte das Gespräch abgebrochen und der Verkaufsraum schnellstmöglich verlassen
werden.
Bemerkung
Alle im Artikel vorgestellten Zielfernrohre sind
Kaufempfehlungen. Zum Teil werden die ZF seit mehreren Jahren erfolgreich im
Praxistest genutzt.
Tipp