Vom „Old-School-Rifleman“ zum „Cool Guy“ und zurück. So
lässt sich im Groben die Schießausbildung am Gewehr während der letzten
einhundert Jahre zusammenfassen. Ein Beitrag zum überarbeiteten Gewehrkurs bei
Akademie 0/500
Von Arne Mühlenkamp
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erlebte die Schießausbildung am
Gewehr eine Hochzeit. Selbstlade- oder Schnellfeuergewehre waren noch
weitgehend unbekannt. Infanteriegewehre waren vor 100 Jahren noch relativ
schwer und die rückstoßintensiven Kaliber erforderten stabile
Anschlagsvarianten. Soldaten weltweit wurden nach einer ähnlichen Doktrin
ausgebildet. Sie mussten in der Lage sein, mit einem Mehrladegewehr unter
Verwendung von Kimme und Korn präzise Einzelschüsse anzubringen. Überliefert sind
dabei Einsatzschussdistanzen von 800 Meter (Ersten und Zweiter Burenkrieg) oder
500 bis 700 Meter im Ersten Weltkrieg. Schießausbildung war auf das Detail
bedacht. An dieser Doktrin änderte sich auch im Zweiten Weltkrieg kaum etwas.
Das Gewehr des Infanteristen wurde als Instrument verstanden, das
Kampfgeschehen auf Distanz zu halten. Wenngleich die Nachteile eines
Infanteriegewehrs schon in den Grabenkämpfen des Ersten Weltkriegs offenkundig
wurden.
„Jedes Abkrümmen ist eine in sich geschlossene
Trainingseinheit für den Abzugsfinger.“, Larry Vickers gehört zweifelsohne zu
den renommierten Ausbildern weltweit (Beachte: Referenzpunkt Kopf)
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Kurzpatrone und Sturmgewehr
Erst mit der Einführung so genannter Kurzpatronen in den
1940er Jahren entstand ein völlig neuer Waffentyp: Das Sturmgewehr.
Sturmgewehre veränderten in den folgenden Jahrzehnten die Schießausbildung
grundlegend. Höhere Feuerkraft aufgrund schnellerer Schussfolgen bei geringerem
Rückstoß ließ in der Ausbildung die aufs Detail bedachte präzise Schussabgabe
in den Hintergrund treten.
Exzess und
konzeptioneller Neubeginn
Den sprichwörtlichen Exzess erlebte diese Form der
Schießausbildung zu Zeiten des Vietnamkriegs. In der Nach-Vietnamkriegs Ära
waren US-amerikanische Soldaten querschnittlich kaum mehr in der Lage einen
präzisen Schuss anzubringen. Mit der Einführung des M16 und der Patrone 5,56x45
wurden Treffer aufgrund schneller Schussfolgen sowie eines hohen
Munitionsverbrauchs generiert. Aber nicht mehr durch die Anwendung einer sinnvollen
Gewehrschießtechnik. Erst ein konzeptioneller Neubeginn in der militärischen
Schießausbildung brachte hier in den 1980er Jahren Besserung.
Dezenter Hinweis am Eingang zum Schießstand von CSAT in
Texas. Paul Howe ist nicht dafür bekannt, die Eitelkeiten seiner Teilnehmer zu
streicheln
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Cool Guy und Tactical
Hipster
Einen weiteren Verlust an Wissen und Können erlebte die (private)
Schießausbildung zu Beginn des 21. Jahrhunderts mit ihrer fortschreitenden
Kommerzialisierung. Insbesondere in den USA schossen Schießschulen wie Pilze
aus dem Boden. Jeder, der eines AR-15 habhaft werden konnte, gründete eine
Ausbildungseinrichtung und bot seine individuelle Lehrmeinung feil. Das Ganze
erfolgte natürlich möglichst „dynamisch“, „action-geladen“ und
erlebnisorientiert. Der Verkaufserfolg fand nicht mehr über die Qualität der
Ausbildung statt, sondern über den Coolness-Faktor des Ausbilders. Verkauft
wurde keine Schießausbildung, sondern ein Lebensgefühl. Der „cool Guy with
Carbine at Pistol Range“ etablierte eine Doktrin mit Übergewichtung von
Distanzen innerhalb der 50 oder 80 Meter. Der „Carbine“, also ein
Selbstladegewehr militärischen Ursprungs überwiegend im Kaliber 5,56x45 (.223
Rem), wird dabei fast ausschließlich als Einsatzmittel für den (in diesem Fall
auch noch falsch definierten) Nahbereich verstanden.
Im Grunde begingen diese Tactical Hipster dieselben Fehler
aus dem Vietnamkrieg zum wiederholten Male. Treffen war wieder einmal weniger en
vogue. Schnelle Schussfolgen hingegen das Allheilmittel und ulkigen
Schießpositionen das Alleinstellungsmerkmal. Marksmanship; die Lehre von
Grundlagen des Gewehrschießens, wurde aus den Lehrplänen gestrichen. Die
Unterweisung in den korrekten Aufbau einer stabilen Schießplattform wurde als
lästig und zeitraubend empfunden.
Standardzielmedium in Größe 50x80 cm. In der Mitte eine
maßstabsgerecht verkleinerte Scheibe für den Delta Drill geschossen aus 25
Meter Entfernung
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The Good, the Bad and
the Ugly
Ausbildungseinrichtungen bzw. Ausbilder, die sich diesem
irrwitzigen Trend widersetzten, können a priori schon einmal als renommiert und
empfehlenswert eingestuft werden. Dazu gehören: Paul Howe von CSAT in Texas,
Larry Vickers, Pat McNamara von TMACS aber auch die Ausbilder von Project
Appleseed oder James Yeager von Tactical Response in Tennessee.
Akademie 0/500®:
Philosophie
Der Gewehrgrundkurs bei Akademie 0/500 läuft unter der
Bezeichnung SL-Büchse 1 (SLB-1) und ist für Selbstladegewehre konzipiert. Das
Konzept fußt dabei zu weiten Teilen auf der Lehrmeinung von Paul Howe, Project
Appleseed und der ehemaligen Schweizer Lehreinrichtung NDS. Den Teilnehmern
werden innerhalb eines Tages die Grundlagen in drei Bereichen der
Waffenhandhabung vermittelt: Das Leben mit einer geladenen Waffe, die
Fähigkeit, seine eigene Waffe permanent in Feuerbereitschaft zu halten sowie
die präzise Schussabgabe. Was einfach klingen mag, stellt viele Teilnehmer vor
eine Herausforderung. Selbstüberschätzung, Trainingsnarben und zu viele unnütze
Anbauteile an der Waffe sind die häufigsten Gründe, weswegen sich
Kursteilnehmer selbst im Weg stehen.
Ausbildungsziel und
Methode
Das Ausbildungsziel ist bei 0/500 klar umrissen: Mit einem
Gewehr und offener Visierung, stehend freihändig ein Zielmedium der Größe 50cm
mal 80cm zu treffen; auf eine Entfernung bis zu fünfhundert Meter. Dieser
500-m-Schuss bietet keinen Spielraum mehr für Fehler. Das wiederum schlägt sich
in der Methode der Wissensvermittlung nieder: Alles wird von Anfang an und
immer richtig gemacht. Jeder Schuss wird so abgegeben, als wäre es der Schuss
auf den es ankommt. Jede Schussabgabe ist eine präzise Schussabgabe. Zehn
schnelle Schüsse in Folge sind zehn präzise Einzelschüsse. Jedes Betätigen des
Abzugs ist eine in sich geschlossene Trainingseinheit für den Abzugsfinger. Diese
Null-Toleranzpolitik gegenüber Fehlern führt zu einer enormen Steigerung der
Lernkurve im Teilnehmerfeld. Nicht selten kommen Teilnehmer zu der Erkenntnis,
zwei Schritte zurück machen zu müssen, um einen Schritt nach vorn tun zu
können.
Bemerkenswert ist hier der konsequent modulare Aufbau der
Ausbildung im Ganzen: Auf dem Grundkurs Pistole 1 wird dem Teilnehmer Fähigkeiten
vermittelt, die er auf dem Gewehrkurs anwenden muss. Im Gewehrkurs wird der
Teilnehmer vorbereitet, um auf dem Kursmodul ZF-Gewehr 1000 erfolgreich Schüsse
über 800 Meter oder 1.000 Meter abgeben zu können. Schießtechnik ändert sich
nicht; sie ist nicht entfernungsabhängig. Es gibt nur eine Schießtechnik. Und
die sollte den Gewehrschützen dazu befähigen, sowohl im Nahbereich (bis 200
Meter), im absoluten Nahbereich (bis 20 Meter), als auch im mittleren und
Langdistanzbereich einen präzisen Treffer anzubringen.
Schießtechnik und
Fähigkeiten
Zwei schießtechnische Elemente helfen dabei, aus jedem
Schützen einen besseren Schützen zu machen. 0/500 vermittelt stringent das
Referenzpunktekonzept sowie das Nutzen des Natürlichen Zielpunktes (Natural
Point of Aim). Darüber hinaus muss der Teilnehmer auf Grundfertigkeiten des
Schießens zurückgreifen, die er im Kurs Pistole 1 erworben hat. Eine Teilnahme
am Gewehrkurs ohne vorheriges Absolvieren des Pistolenkurses erscheint als
nicht sinnvoll. Der Pistole 1 ist daher auch Zugangsvoraussetzung.
Einschießmethode
Zum Einjustieren der Waffen greift 0/500 auf die
25-Meter-Methode zurück. Mit dieser Methode ist es möglich, jedes Gewehr
innerhalb von zehn Minuten mit maximal zehn Schuss einzuschießen und dabei
jedes gewünschte Einschießkonzept umzusetzen. Die 25-Meter-Methode ist
gegenüber allen anderen Varianten des Einschießens aufgrund des Zeitvorteils,
des geringen Munitionsverbrauchs und der knappen notwendigen Infrastruktur als
absolut vorteilhaft anzusehen.
Schützenbedingte
Durchschnittsstreuung
Als Instrument zur Beurteilung der eigenen
Schießfertigkeiten hat sich die schützenbedingte Durchschnittsstreuung
etabliert. Diese theoretische Betrachtung basiert auf dem Strahlensatz. Im Kurs
ermitteln alle Teilnehmer ihre individuellen Werte im Anschlag Stehend und
Liegend freihändig. Im Liegendanschlag sollte die persönliche Streuung nicht
größer sein 1‰ (10 cm auf 100 Meter). Stehend freihändig sollte der Gewehrschütze
eine Streuung von 2‰ (20 cm auf 100 Meter) oder besser erzeugen können. In die
Praxis übertragen bedeutet das, der Gewehrschütze wäre in der Lage das
Standardziel von 50 cm x 80 cm bis zu einer Entfernung von 250 bis 300 Metern
stehend freihändig zu treffen. Bzw. wäre er in der Lage, auf 50 Meter ein
Biathlon-Ziel von 11,5 cm zu treffen. Im Liegendanschlag entspräche seine
Streuung auf fünfhundert Meter 50 cm x 50 cm, was einen sicheren Treffer auf
das Standardziel bedeuten würde (die Kenntnis der eigenen Ballistik
vorausgesetzt); ebenso würden seine Schießfertigkeiten ausreichen, um das
Biathlon-Liegendziel von 4,5 cm zu treffen. Gemessen am Ausbildungsziel, den
500-m-Schuss stehend auf 50x80 cm zu platzieren, ist es ein langer Weg, der
viel Trainingsfleiß und auch etwas Talent erfordert.
Analogien der
Zielgrößen
Gewehrschießausbildung ist ein ständiger Kompromiss, der
sich nach vorhandener Infrastruktur auf den Schießständen richten muss.
Standardübungen, die eigentlich für Distanzen von einhundert Meter konzipiert
sind, können auf den meisten Anlagen nicht durchgeführt werden. Akademie 0/500
arbeitet hier mit maßstabsgerecht angepassten Zielmedien. Die Standardzielgröße
50 cm x 80 cm wird entsprechend verkleinert, um Schüsse über Distanzbereiche
von einhundert Meter oder sogar fünfhundert Meter zu simulieren. So ist es
möglich, Standardübungen, wie z.B. den „Delta-Drill“ oder „Rifleman“ oder den
500-m-Schuss sinnvoll zu üben.
Die Schießübung Rifleman gehört zum Standardprogramm in
jedem 0/500-Gewehrkurs. Nur 10% aller Teilnehmer absolvieren sie fehlerfrei
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Robuste
Waffenhandhabung
Wie bei allen anderen 0/500-Kursangeboten auch, ist die
robuste Waffenhandhabung ein zentraler Baustein der Ausbildung. Alle
Manipulationen müssen auch noch bei Dunkelheit, bei Kälte, unter Zeitdruck und
dem Einfluss von Angst anwendbar bleiben. Die eigene Waffe in Feuerbereitschaft
zu versetzen und in Feuerbereitschaft halten, gehört zu den Manipulationen, die
ein Waffenbesitzer zuerst lernt und am meisten anwendet. Das sind u.a. Lade-
und Entladetätigkeiten, das Beseitigen von Störungen aller Art, bei Gewehren
das Einschießen der jeweiligen Visiereinrichtung sowie das Durchführen von
kleineren Reparaturen und nicht zuletzt die Überprüfung, ob sich die Waffe im
Status der Feuerbereitschaft befindet (Ladezustandskontrolle). Diese Handgriffe
müssen standardisiert und robust sein.
Heutzutage ist das Überprüfen der persönlichen Waffe
Bestandteil der Grundlagenausbildung in fast allen Ausbildungskonzepten. Im
militärischen Sprachgebrauch nennt man es Persönliche Sicherheitskontrolle
(PSK). Der US-Amerikaner nennt es Pre-Combat Check (PCC). Akademie 0/500 bildet
hierbei das gleiche System aus, welches auch von Paul Howe für Waffensysteme
der Baureihe AR-15 vermittelt wird.
Eine Ladezustandskontrolle durchführen zu können, gehört zur
Grundausbildung an jeder Waffe
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Akademie 0/500 vermittelt eine Technik, die auch bei
Dunkelheit noch funktioniert
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Waffen und Anbauteile
In den vergangenen zwei Jahren geht der Trend eindeutig hin
zum Waffensystem AR-15. Etwa 80 bis 90% aller Teilnehmer nutzen Modelle dieses
Typs in verschiedenen Konfigurationen diverser Hersteller. Zu oft jedoch, so
die Ausbilder Henning Hoffmann und Christian Väth, kommen die Teilnehmer mit
unnötigen und manchmal auch unsinnigen Anbauteilen. Vordergriffe jedweder
Ausführung bspw. sind bei 0/500 verpönt. Sie bieten nicht den geringsten
Vorteil, sondern hindern den Teilnehmer ausschließlich am Erlernen einer
effizienten Gewehrschießtechnik. Um die persönliche Lernkurve zu maximieren,
sollen Teilnehmer mit einer einfachen, offenen Visierung aus Kimme und Korn
antreten. Alle „Kimme und Korn“-Absolventen bisher empfanden den Kurstag als
besonders wertvoll für die Entwicklung ihrer Schießfertigkeiten.
Zu oft kommen Teilnehmer mit unnötigen und manchmal auch
unsinnigen Anbauteilen. Ein Gewehr in dieser Grundkonfiguration reicht für
einen sinnvollen Gewehrkurs völlig aus
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Fazit
Gewehrschießausbildung auf hohem Niveau ohne Tactical
Hipster Habitus. Vermittelt wird eine kohärente Lehre; doktrinfrei und robust.
Jede Schießübung besitzt einen methodischen Sinn. Dieser Gewehrgrundkurs
bereitet den Teilnehmer mit Leichtigkeit auf einen Langdistanzschuss vor.
Service
Kommende Termine für SL-Büchse 1 hier: https://0-500.org/page/Termine
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