Dienstag, 1. September 2020

Kursmodul Surgical Speed Shooting


Vor genau 20 Jahren kam der US-Trainer Andy Stanford erstmals nach Österreich, um Schießkurse abzuhalten. Die Veranstaltung sollte unter der Bezeichnung „Combat Week“ Furore machen und fortan jährlich stattfinden. Mit Rücksicht auf die Außenwirkung wurde sie zwischenzeitlich in „Defense Week“ umbenannt


Jedes Jahr im Sommer folgten Dutzende Waffenbesitzer, ob privat oder behördlich, dem Ruf der Combat Week. Anfangs wurde diese einwöchige Schießveranstaltung in Brunn am Gebirge abgehalten, später in St. Pölten, ebenfalls in Niederösterreich. Publikum aus ganz Europa war vertreten. In manchen Jahren reisten Teilnehmer sogar aus Irland an.Im Kursprogramm von Andy Stanfords war der Surgical Speed Shooting das Flaggschiff. Dieser 2-tägige Pistolenkurs wurde in jedem Jahr durchgeführt. Im jährlichen Wechsel fanden die Aufbaumodule Point Blank Pistolcraft oder Tactical Dynamics statt. Mit dem Surgical Speed Shooting wurde die Basis für eine professionelle Waffenhandhabung gelegt. Für viele Teilnehmer war dieses Kursmodul der Augenöffner, wie einfach es sein kann, mit einer Pistole präzise und zugleich schnelle Treffer anzubringen.


„Man muss einmal bei Dunkelheit geschossen haben,
um den Nachteil der Dunkelheit für sich in einen Vorteil zu verwandeln.“
Andy Stanford: Ein Lehrmeister mit viel Fachwissen und Geduld
(Aufnahme aus dem Jahr 2006)


Geschichtlicher Exkurs
Obwohl Andy Stanford ein Meisterschüler von Jeff Cooper war, beschritt er mit dem Surgical Speed Shooting in den 1980er-Jahren völlig neue Wege in Bezug auf Schießtechnik. Was zur damaligen Zeit durchaus als revolutionär bezeichnet werden kann.
Die Ausbildung unter Jeff Cooper auf der Gunsite Range war damals, so wie heute immer noch; geprägt von Schießpositionen mit außerordentlich verriegelten Körperhaltungen. Diese Schießtechnik sollte als „Modern Technique“ in die Geschichte eingehen. Sie war in gewisser Weise eine Weiterentwicklung des Weaver Stance.
Stanford verstand, dass dynamische Szenarien im Kampf mehr Flexibilität forderten und eine Schießtechnik mit übertriebener Körperspannung kontraproduktiv war. Andy Stanford gilt zu Recht als einer der großen Pioniere bei der Entwicklung moderner Schießtechniken im 20. Jahrhundert. Das Resultat war in den 1980er-Jahren die sog. Isosceles Schießtechnik, welche heute besonders im Sportschützenbereich ausschließlich auf den Wortsinn des „gleichschenkligen Dreiecks“ reduziert und damit grundsätzlich fehlinterpretiert wird.


Die typische Grifftechnik an einer Pistole, wie sie durch Rob Leatham,
Andy Stanford und andere entwickelt wurde


Kurskonzept
Der Surgical Speed Shooting ist als 2-Tageskurs konzipiert. Die Teilnehmer werden bei Null abgeholt und innerhalb von zwei Tagen dazu gebracht, schnelle und präzise Treffer anbringen zu können. Darüber hinaus erhalten sie ein Grundverständnis für den verteidigungsorientierten Gebrauch einer Schusswaffe. Im theoretischen Lernblock zu Beginn des Kurses ging Andy daher auch mit angemessener Ausführlichkeit auf die Sieben Prinzipien der Selbstverteidigung nach Jeff Cooper ein sowie auf „Ayoob’s Priorities“.


Die Nachladeposition, wie sie durch Stanford gelehrt wurde: 
Die Waffe befindet sich auf Augenhöhe, das Ziel wird durch den Abzugsbügel fixiert
(Aufnahme aus dem Jahr 2009)



Ayoob’s Priorities
Masad Ayoob, geboren 1948, pensionierter Polizist, Schießausbilder und Autor für mehrere US-amerikanische Waffenmagazine formulierte vermutlich zu Beginn der 1980er-Jahre seine „Priorities of Survival“. Diese waren:
1) Mental Awareness and Preparedness,
2) Proper Use of Tactics,
3) Skill with Emergency Equipment und
4) Selection of Emergency Equipment.
Vereinfacht bezeichnet wird diese Pyramide heute mit:
1) Mindset
2) Tactic
3) Skill
4) Gear bezeichnet

Mit dieser modellhaften Unterteilung wird dem Anwender ein Instrument an die Hand gegeben, das die Analyse von Defiziten im eigenen Umfeld erleichtert. Das Equipment, also die Ausrüstung, nimmt dabei bewusst eine nachgeordnete Priorität ein. Der Verstand im Sinne von Wahrnehmungsfähigkeit und Handlungsbereitschaft hingegen, bildet die höchste Priorität ab. Eine Schusswaffe als typischer Ausrüstungsgegenstand im Verteidigungskonzept, muss nur drei Kriterien erfüllen. Um es mit den Worten von Andy Stanford zu sagen: Sie muss vorhanden sein, sie muss zuverlässig sein und ihrem Zweck einigermaßen entsprechen. Mit Betonung auf einigermaßen.


Das Schießen aus der Position zwei des Ziehvorgangs gehörte zum Ausbildungsumfang
im Surgical Speed Shooting (Aufnahme aus dem Jahr 2007)


Sieben Prinzipien der Selbstverteidigung
Ebenso wurden im Theorieblock die Sieben Prinzipien der Selbstverteidigung thematisiert. Altmeister Jeff Cooper hat darin sieben Charaktereigenschaften herausgearbeitet, die in Verteidigungssituationen zum Tragen kommen und damit ein zeitlosen Konzept geschaffen. Niedergeschrieben hat er das 1989 im gleichnamigen und 46 Seiten starken Büchlein. Jeder Waffenbesitzer sollte dieses Büchlein sein Eigen nennen und es in regelmäßigen Abständen selbstreflektierend lesen.

Praxis
Im praktischen Teil der Ausbildung vermittelte Andy Stanford konsequent die durch ihn mitentwickelte Schießtechnik des Isosceles. Neben ihm waren es auch Ausbildergrößen wie Rob Leatham, Craig Douglas alias Southnarc und Paul Gomez, die maßgeblichen Anteil an dieser schießtechnischen Revolution hatten.


Der 4-stufige Ziehvorgang beginnt mit Position 1:
Schusshand an der Waffe, Unterstützungshand am Oberkörper fixiert




Mit Position 2 erklärt sich die Bedeutung 
der fixierten Unterstützungshand




In Position 4 sind die Arme gestreckt. 
Der Schütze hat ein Visierbild vor sich.




Methodik
Methodisch begann Andy mit dem Aufbau einer korrekten Körperhaltung und weiter zu einer stabilen Grifftechnik. Nach einigen Durchgängen im scharfen Schuss, korrigierte er Fehler und ging dabei auf die Bedeutung des Korn-Fokus ein. Beim Schießen sollte der visuelle Fokus immer auf dem Korn der Waffe liegen. Allein dadurch lassen sich Streukreise halbieren.
Erst im nächsten Schritt widmete sich Stanford der Abzugskontrolle. Mit der Technik des Trigger Prepping verbesserten sich die Streukreise nochmals. Somit war für fast alle Teilnehmer am Ende Tag 1 eine deutliche Leistungssteigerung erkennbar.

Tag 2
An Tag 2 ging Stanford verstärkt auf den Ziehvorgang, den defensive draw stroke, ein und auf die Tatsache, dass aus jeder Position des 4-stufigen Ziehvorgangs geschossen werden kann. Der Defensive Draw Stroke nahm im Surgical Speed Shooting breiten Raum ein. Das ist auch nicht verwunderlich, handelt es sich hierbei doch ebenfalls um eine Entwicklung Stanfords, welche aus Kooperationen mit Southnarc und Paul Gomez herrührt.
Für manch Teilnehmer war es eine mentale Herausforderung, aus den Positionen 2 und 3 des Ziehvorgangs zu schießen. Im Gesamtsystem handelt es sich hierbei um sog. retention positions. Schießpositionen, bei denen umständehalber die Waffe eng am Körper geführt wird, aber dennoch Wirkung ins Ziel gebracht werden muss. Der 4-stufige Ziehvorgang, wie er im System des Surgical Speed Shooting entwickelt wurde, gilt heute als weltweiter Standard für das Ziehen einer Kurzwaffe.
Andy Stanford hatte mit seinem Kurskonzept maßgeblichen Einfluss auf Lehrinhalte bei Akademie 0/500 im Allgemeinen.
 


Defense Week Revival 2020
Im Juli 2020 fand das erste Defense Week Revival mit Akademie 0/500 im niederösterreichischen St. Pölten statt. Durchgeführt wurden die beiden Kursmodule Surgical Speed Shooting (Zwei Tage) und der Robust Pistol Management (Drei Tage). Dieses Veranstaltungsformat wird in den nächsten Jahren regelmäßig stattfinden. Das zweite Defense Week Revival ist für Anfang Juli 2021 angesetzt. Über die Hälfte der Kursplätze gilt schon als vergeben.
Andy Stanford, der seine Karriere als Schießausbilder eigentlich beendet hatte, arbeitet derzeit dem Vernehmen nach an einem Kursprogramm Surgical Speed Shooting 2.0, welches in Kooperation mit dem US-amerikanischen Lampenhersteller SureFire angeboten werden soll. Ob Stanford in 2021 der Defense Week als Gast beiwohnen wird ist noch nicht sicher.


Jeder Schießkurs mit Andy Stanford endete mit 
einer Gesangsdarbietung begleitet vom Zerrwanst


Kurse in Deutschland
Der Surgical Speed Shooting wird, angepasst an die bundesdeutsche Gesetzeslage, auch in Deutschland stattfinden. Das Schießen aus den Positionen zwei und drei des Ziehvorgangs entfällt dabei ebenso, wie das Nutzen von Mann- oder Silhouetten-Scheiben. Gemäß der Kursbezeichnung stehen aber nach wie vor der präzise Einzelschuss sowie schnelle Schussfolgen im Fokus der Ausbildung.



Buchempfehlung
Das gleichnamige Buch gilt als eines der Grundlagenwerke zum Thema moderne Schießtechniken (ISBN-13: 978-1581601435)

Das Kursmodul Surgical Speed Shooting mit Akademie 0/500: Hier 



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