Montag, 5. April 2021

Gewehrkonzepte (9): Das Sturmgewehr

 

Die letzte große Revolution in der Bewaffnung des Gewehrschützen war die Einführung des Sturmgewehrs. Die entsprechenden Entwicklungen beeinflussen bis heute marktverfügbare Systeme und Ausbildungskonzepte


Von Christian Väth

Kein anderes Gewehrkonzept hatte im 20. Jahrhundert einen so massiven Einfluss auf die Ausbildung und den Einsatz von militärischen Einheiten wie das Sturmgewehr. Auch im 21. Jahrhundert ist ein Rückgang seiner Bedeutung derzeit nicht absehbar.

Taktisches Problem
Während des Zweiten Weltkrieges nutzten fast alle Kriegsparteien als Standard-Infanteriewaffe Repetiersysteme, die sich bereits im Ersten Weltkrieg im Bestand befanden. Dazu kamen Pistolen, Schrotflinten, Maschinenpistolen und Maschinengewehre. So musste selbst die allerniedrigste taktische Ebene im Gefecht mit verschiedenen Kalibern versorgt werden. Außerdem mussten verschiedene Ausrüstungsgegenstände wie Magazintaschen und Reinigungsgeräte vorhanden sein. Die Ausbildungszeit verlängerte sich ebenfalls. Die Idee, alle Kampftruppen mit einem einzigen Gewehr auszustatten, ist so in vielerlei Hinsicht attraktiv und war bis zum Beginn des 20. Jahrhundert auch der Regelfall. Zeitgleich sahen bereits in der Zwischenkriegszeit der 1920er und 1930er Jahre viele Konstrukteure das Selbstladegewehr als Infanteriegewehr der Zukunft.


Der russische Entwickler Fedorov gilt als Urvater der Mittelpatrone,
sein Selbstladegewehr war unter anderem deshalb eine recht
einflussreiche Konstruktion (Foto: Royal Armouries)


Definition
Eine allgemein anerkannte Definition des Begriffes Sturmgewehr gibt es nicht. Der bisher eleganteste Versuch ist Maxim Popenker und Anthony Williams in Ihrem Werk „Assault Rifle“ gelungen: „a standard infantry rifle with selective fire, capable of controlled automatic fire“. Durch die Klassifizierung als Gewehr wird eine Abgrenzung zu Maschinenpistolen und leichten Maschinengewehren vorgenommen. Die Möglichkeit, eine Feuerart auszuwählen, hingegen schafft eine Trennung zu anderen Gewehrtypen. Der Zusatz „controlled automatic fire“ schließt die sogenannten „Battle Rifle“ im Vollkaliber aus. Zusätzlich bestehen einige weitere Kernmerkmale. So wird die Feuerbereitschaft bei Sturmgewehren stets über entnehmbare Magazine hergestellt – nicht über Gurte oder fest verbaute Magazine. Weiterhin sind diese Waffen auf sogenannte Mittelpatronen ausgelegt, die wir wiederum in zwei Typen trennen: Vollkaliberpatronen mit reduzierter Hülsenlänge (zum Beispiel 7,62x39 Millimeter) oder Patronen mit reduziertem Kaliber (zum Beispiel 5,56x45 Millimeter).

Erste Prototypen
Im Ersten Weltkrieg wurde im erbitterten Nahkampf um Feldbefestigungen schnell klar, dass die bisherigen Infanteriegewehre nicht in jeder Situation ihre Stärken ausspielen konnten. Maschinenpistolen, kampfwertgesteigerte Pistolen und Schrotflinten waren die Mittel der Wahl auf kurze und kürzeste Entfernungen. Sobald sich jedoch der Kampf wieder in eine geringfügig weitere Entfernung verlagerte, waren diese Waffen nutzlos. Um stets nicht die perfekte, aber eine adäquate Lösung in den Händen zu halten, musste ein Generalist entwickelt werden. Als erste Waffe vereinte der Fedorov Avtomat die zuvor beschriebene Definition eines Sturmgewehres. Die Konstruktion war für die Verwendung der japanischen Patrone 6,5x50 SR (Arisaka) ausgelegt worden, da das Zarenreich bereits große Bestände aus Japan zukaufen musste, um die unzulängliche eigene Produktion zu ergänzen. Die ursprünglich durch Fedorov vorgesehene Eigenentwicklung (ebenfalls 6,5 Millimeter) hatte unter diesen Voraussetzungen keinerlei Chance auf eine positive Beschaffungsentscheidung. Auch andere Prototypen wie das italienische Cei-Rigotti waren für das Kaliber 6,5 Millimeter ausgelegt. Diese ersten Entwicklungen sind hinsichtlich der Kaliberwahl bemerkenswert, da heute, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, Patronen in dieser ballistischen Bandbreite als optimale Sturmgewehrpatronen angesehen werden (zum Beispiel 6,8x43 Millimeter Remington SPC oder 6,5x38 Millimeter Grendel). Wieder andere Entwürfe griffen dem später durchschlagenden Erfolg von Vollkaliberpatronen mit reduzierter Hülse vor. Mannlicher entwickelte 1904 genauso ein entsprechendes Selbstladegewehr wie Terni 1921 in Italien – beide im Kaliber 7,65x32 Millimeter. In der Schweiz fertigte der Konstrukteur Fürrer 1921 einen Entwurf mit fünf Millimeter größerer Hülse, der alle weiteren deutschen Selbstladegewehrentwicklungen deutlich beeinflusste. In den 1930er Jahren wurde aufgrund einiger Veröffentlichungen noch einmal Fedorov’s Weitsicht deutlich: Er forderte eine Abkehr von der zu diesem Zeitpunkt bereits etablierten Standardpatrone 7,62x54 R hin zum Kaliber 6,5 Millimeter. Andere russische Autoren unterstützten diese Forderung, einer der einflussreichsten Ballistiker der Roten Armee, V.E. Markevich, behauptete sogar, dass die ideale Patrone für Selbstladegewehre bereits existiere: in Form der .25 Remington. Diese Patrone war viele Jahrzehnte später der Ausgangspunkt für die Entwicklung der 6,8 Millimeter Remington SPC, eine Patrone die derzeit im Rahmen des NGSW-Programmes (Next Generation Squad Weapon) tatsächlich zur Einführung in der United States Army erprobt wird.


Waffentechnisch ein großer Wurf: Sturmgewehr 44, hier als Handwaffe
eines Infanteristen der Waffen-SS in Ungarn (Foto: BA Bild 101l-715-0213A-26)


Konzeptentwicklung
Keiner der genannten Prototypen wurde in größerer Stückzahl gefertigt. Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs führte die große Masse der Soldaten aller Parteien immer noch ein Repetiergewehr. Die United States Army führte ein Selbstladegewehr als Standardwaffe, das M1 Garand, allerdings kein Sturmgewehr. Ansonsten führte nur die Rote Armee mit dem AWS-36 und dem SWT-40 Selbstladegewehre in größeren Stückzahlen. Im späteren Kriegsverlauf kam die Wehrmacht mit dem Gewehr 43 hinzu. Das erste moderne Sturmgewehr und zeitgleich Namensgeber einer neuen Gewehrgattung war jedoch das deutsche Sturmgewehr 44. Etwa 450.000 wurden produziert und eingesetzt ohne auf den bereits entschiedenen Kriegsverlauf noch einen großen Einfluss nehmen zu können. Bis heute ist dieses Gewehr in seinen Konstruktionsmerkmalen und seinem grundlegenden Erscheinungsbild der Urvater vieler weiterer Waffen. Es ist schwer vorstellbar, dass eine solche Konstruktion die Entwicklung des bekanntesten und am häufigsten gefertigten Sturmgewehrs aller Zeiten nicht beeinflusst haben soll. Allerdings ist der große Wurf von Michail Kalaschnikow auch keine direkte Kopie des Entwurfes aus den Mauser-Werken, wie am Schützen-Stammtisch immer wieder behauptet wird. Auch Menschen die keinerlei Kenntnisse von Schusswaffen haben, kennen die Bezeichnung „Kalschnikow“ oder „AK-47“. Eine AK-47 findet man heute allerdings allenfalls im Museum, man spricht hier eher von der AK-Baureihe die in mittlerweile unzählbaren Entwicklungsstufen bis heute gefertigt wird. Sowohl das StG 44 als auch alle AK-Gewehre bis zur Einführung der AK-74 nutzten eine Mittelpatrone im Vollkaliber mit reduzierter Hülse. In Europa und den USA konnte sich das Sturmgewehr jedoch nicht so schnell durchsetzen wie in der Sowjetunion. Es wurden zwar zwischen Spanien und Finnland allerhand Prototypen entwickelt, doch lediglich das britische EM-2 (7x43 Millimeter) stand kurz vor der NATO-Einführung. Der Entwurf war konzeptionell der AK überlegen, da hier bereits das System Infanteriegruppe ganzheitlich betrachtet wurde. Während die sowjetische Gruppe weiterhin mindestens zwei verschiedene Kaliber führte, sollte ein spezielles Maschinengewehr im gleichen Kaliber, das TADEN, die NATO-Infanteriegruppe der Zukunft mit nur einer Munitionsart ausstatten. Die Vorteile in Logistik und Ausbildung sind nach wie vor bestechend. Die Vorbehalte der US-Streitkräfte brachten das Projekt vorerst zum Scheitern und sorgten für die Standardisierung des Kalibers 7,62x51 Millimeter als NATO-Gewehrpatrone. Die entsprechende Gattung der hieraus resultierenden sogenannten „Battle Rifle“, Selbstladegewehre im Vollkaliber, sind per Definition keine richtigen Sturmgewehre. Wichtige Vertreter dieser Ära sind das deutsche G3, das FN FAL, das StG 57 der Schweiz oder das AR-10.


Das meistgebaute Sturmgewehr der Welt, chinesische Ausführung Type 56:
leicht identifizierbar am umlaufenden Kornschutz und dem klappbaren Bajonett
(Foto: Royal Armouries)


Die Kaliberreduktion
Mit der relativ späten Einführung eines Sturmgewehres in den Vereinigten Staaten von Amerika wurde hingegen direkt ein radikaler Schritt gewagt und das erste kaliberreduzierte Sturmgewehr eingeführt. Bis heute sorgt dieser Schritt für Zündstoff in einer ermüdenden Kaliberdebatte. Die Beschaffung des M16 und seine ersten Nutzungsjahre im südostasiatischen Dschungel bestimmen jedoch bis heute in militärischen Kreisen ein zum großen Teil negativ geprägtes Image. Tatsächlich zeigte die neue NATO-Standardpatrone anfangs gewisse Wirkungsschwächen. Diese Faktoren sind durch die heute verfügbare, leistungsgesteigerte Munition weitestgehend ausgeglichen. Das bereits in dieser Artikelreihe beschriebene Special Purpose Rifle (Ausgabe 49) ist das beste Beispiel. Außerdem gilt es anzumerken, dass alle relevanten Militärmächte des 21. Jahrhunderts kaliberreduzierte Sturmgewehre als Standardbewaffnung nutzen. Die Sowjetunion folgte gar dem US-Vorbild mit der Einführung der AK-74 und dem hochinteressanten Kaliber 5,45x39 Millimeter. Die weiteren Entwicklungen der letzten 40 Jahre sind tatsächlich wenig aufsehenerregend: Neben dem Funktionsprinzip unterscheiden sich alle modernen Entwürfe vor allem durch ihre Festlegung auf ein konventionelles Design nach dem Urvater-Vorbild oder der futuristisch anmutenden Bullpup-Devise. Bei dieser Bauweise ist der Magazinschacht hinter dem Griffstück angeordnet und die Schulterstütze integrierter Bestandteil des Gehäuses. Dadurch lassen sich bei gleichbleibender Lauflänge deutlich kompaktere Abmessungen realisieren. Was in der Theorie Sinn ergibt, erzeugt in der Handhabung mitunter zahlreiche Probleme. Je nach Ort des Hülsenauswurfes wird ein schneller Schulterwechsel zum Verletzungsrisiko. Das Wechseln von Magazinen wird je nach Mechanismus ebenfalls erschwert, da es zu nah am Körper entnommen werden muss. Hinzu kommt eine vergleichsweise unterlegene Anwendung der Schießtechnik, da Referenzpunkte zwischen Körper und Waffe gegebenenfalls entfallen müssen. Während sich in China ein Bullpup-Gewehr im Kaliber 5,8x42 Millimeter durchsetzen konnte, wechselt beispielsweise das französische Heer von einem solchen Entwurf (FAMAS) mit dem HK416F wieder auf ein konventionelles Design. Derzeit ist eine langfristige Koexistenz der beiden Philosophien wahrscheinlich.


Das britische Bullpup-Gewehr EM-2 war der erste Versuch eine „echte“ Mittelpatrone
in der Kalibergruppe zwischen sechs und sieben Millimetern als NATO-Standard einzuführen
(Foto: Royal Armouries)


Einsatzgrundsätze
Die meisten NATO-Staaten kamen im Rahmen der Auswertung des Zweiten Weltkrieges angeblich zu dem Ergebnis, dass 90 Prozent der Ziele für den Gewehrschützen innerhalb einer Entfernung von 300 Metern auftraten. Diese Aussage wurde innerhalb der letzten 60 Jahre stets ohne weitere Reflexion in beinahe allen militärischen Ausbildungskonzepten übernommen. Hiervon abweichende Erfahrungen der letzten Jahre wie in Afghanistan, auf dem Balkan oder in der Ukraine werden gemeinhin als „Einzelereignisse“ wahrgenommen, die als Ausnahme gelten und somit die Regel bestätigen. Nach dem Grundsatz „Nur weil man etwas nicht trainiert, heißt das nicht, dass man es nicht braucht“ ist dieser Ansatz kritisch zu hinterfragen. Nichtsdestotrotz ermöglichte das Sturmgewehr den Einsatz neuer Taktiken. Die erhöhte Feuerkraft des Einzelnen hat langfristig die Struktur von Truppenkörpern und den Einsatz von Kampftruppen völlig verändert. Mit der Einführung des Sturmgewehres und moderner Unterstützungswaffen war bei entsprechender Ausstattung bereits eine kleine Gruppe in der Lage durch die Kombination von Feuer und Bewegung Entscheidungen herbeizuführen. Längst steht deshalb die Infanteriegruppe im Zentrum von Beschaffungsvorgängen und strategischen Überlegungen. Vor allem kaliberreduzierte Sturmgewehre ermöglichten es erstmals, die Feuerart schnelles Einzelfeuer zur vollen Entfaltung zu bringen. Auch das Feuern in der Bewegung, wenn auch weiterhin begrenzt in seiner taktischen Anwendung, trat als neue Option hinzu. Die üblicherweise dem Maschinengewehr vorbehaltene Wirkung des Niederhaltens und Festnageln von Gegnern kann ebenfalls zur Not auf kurze Entfernungen übernommen werden. Das heutige Infanteriegewehr bietet also mehr Möglichkeiten, als zuvor übliche Repetiergewehre. Wer das Potenzial des Sturmgewehres jedoch voll ausnutzen will, benötigt mehr Ausbildungszeit. Derzeit findet in den Armeen einiger NATO-Staaten, eine Rückbesinnung auf die Kampfkraft des Gewehrschützen statt, die nur durch eine intensive Ausbildung voll nutzbar gemacht werden kann. Gleichzeitig reduziert die rasante Zunahme an Ausrüstungsgegenständen, Optiken, Geräten, Fahrzeugen und auch anderen Feuerwaffen die Zeit für sorgfältige Instruktion. Die seit den 1950er Jahren (damals durch die nukleare Bewaffnung, heute durch modernste Gefechtsfeldsensorik) ausgelöste Diskussion um die Relevanz des einzelnen Infanteristen im Krieg der Zukunft, hat nichts an seiner Existenz geändert. Nach wie vor verfügen die NATO-Staaten über Verbände mit „leichter Infanterie“ im weitesten Sinne und auch die militärischen Großmächte Asiens halten eine große Zahl an Gewehrschützen vor. In den Entwicklungsländern und von Bürgerkriegen zerrissenen Nationen ist, bei weitgehender Abwesenheit von Großgerät, das Sturmgewehr auch heute noch das wichtigste Waffensystem. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird diese Feuerwaffe bis zum nächsten Technologiesprung relevant bleiben.

Das „ideale“ Sturmgewehr
Kaliberunabhängig bietet jedes Sturmgewehr die Möglichkeit zum 500-Meter-Treffer. Das Design der kritischen Elemente beeinflusst jedoch maßgeblich den Aufwand, der in der Ausbildung dazu erforderlich ist, einen Schützen zu dieser Leistung zu befähigen. Während Störungen vor der Einführung von Selbstladern eher ein nebensächliches Phänomen waren, ist die Beseitigung von Hemmungen heute wesentlicher Bestandteil jedes guten Ausbildungskonzeptes. Zeitgleich gilt die Zuverlässigkeit im weitesten Sinne als wesentliches Qualitätskriterium des Sturmgewehres. Dies beinhaltet eine gewisse Widerstandsfähigkeit gegenüber robustem Gebrauch, als auch Schutz gegen Eindringen von Dreck und Feuchtigkeit. Die Konstruktion sollte so ausgestaltet sein, dass sie wo immer möglich Bedienerfehler unmöglich macht. Alle Bedienelemente sollten einfach sowie grobmotorisch handhabbar und natürlich ambidexter sein. Reinigung, Wartung und Austausch von Verschleißteilen müssen ebenfalls dem minimalistischen Prinzip folgen und durch den Schützen selbst leistbar sein. Gewicht und Länge der Waffe sollten weiterhin die Anwendung in engen Umgebungen ermöglichen, ohne den 500-Meter-Treffer durch eine zu kurze Lauflänge unrealistisch werden zu lassen. Eine qualitativ hochwertige Eisenvisierung sollte für die Grundlagenausbildung und als Ersatzvisier bei widrigen Bedingungen vorhanden sein. Ergänzend dazu muss die Aufnahme eines Kombinationsvisiers für alle Entfernungsbereiche (wie beispielsweise das Elcan Specter) dazugehören. Die Feuerbereitschaft muss sich auch bei Dunkelheit, Nässe und Kälte herstellen und überprüfen lassen. Die gesamte Ausgestaltung der Waffe sollte außerdem mit verschiedenen Ausrüstungssätzen (Nachtkampfmittel) und Kleidungsgegenständen (Winterhandschuhe) kompatibel sein.


Das erste kaliberreduzierte Sturmgewehr der Welt, hier ein Colt Armalite M16A1,
im immer noch aktuellen NATO-Standard 5,56x45 Millimeter (Foto: Royal Armouries)


Technik
Das vorherrschende Technikkriterium für die Klassifizierung moderner Sturmgewehre ist seit vielen Jahrzehnten deren grundlegendes Funktionsprinzip. Wie das Sturmgewehr 44 nutzen auch AK-47 und alle Folgeentwicklungen den entstehenden Gasdruck zum Antrieb eines Gaskolbens, der Teil des Verschlussträgers ist (long stroke piston). Eine ganz andere Philosophie verfolgen Gasdrucklader wie das M16: Hier entfällt das Gasgestänge und die Wirkung wird direkt auf den kompakten Verschlussträger gelenkt (direct impingement). Obwohl dieses Funktionsprinzip bei korrekter Nutzung eine ganze Reihe von Vorteilen bietet, hat sich bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts eine Weiterentwicklung des Ur-Sturmgewehres durchgesetzt. In der westlichen Welt scheint es so, als hätten sich Sturmgewehre durchgesetzt, bei denen Gaskolben und Verschlussträger voneinander getrennt sind. Über beispielweise eine federgelagerte Antriebsstange als Bindeglied ist so weniger Masse für den Bewegungsvorgang notwendig (short stroke piston).  Dieser Mechanismus erlaubt einen Gewichtskompromiss zwischen den beiden erstgenannten Systemen, wobei die Vorteile der Gaskolbennutzung erhalten bleiben. Ein niedriges Waffengewicht bei zeitgleich hoher Robustheit und Eigenpräzision zu erreichen, bleibt eine große Herausforderung im Gewehrbau. Ein Ansatz das Gesamtgewicht nennenswert zu reduzieren liegt in der Verwendung neuer Werkstoffe. In dieser Hinsicht zeigte das in den 1990er Jahren eingeführte G36 der Bundeswehr eine gewisse Radikalität durch die umfassende Verwendung von Kunststoffbauteilen. Die bisherigen Versuche seit dem G11, eine hülsenlose Munition zur Serienreife zu bringen, blieben erfolglos. Da auch die letzten beiden großen Schritte in der Sturmgewehrentwicklung maßgeblich durch die Patronenentwicklung bestimmt waren, steckt möglicherweise in der flächendeckenden Einführung von Kunststoffhülsen Potential.

Fazit
Sturmgewehre müssen einfache Maschinen sein. Ein neues Sturmgewehr muss sich daher stets am Grad der Vereinfachung messen lassen. Weniger Bedienelemente, weniger Verschleißteile oder weniger notwendige Ausbildungszeit sind prominente Beispiele. Das Hinzufügen von unnötigen Anbauteilen und „Gadgets“ ist die dunkle Kehrseite der heutigen Modularität. Ob das „Sturmgewehr der Zukunft“ einfacher und effektiver sein wird, als eine AK oder ein M16 bleibt abzuwarten. Wahrscheinlich ist, dass uns in Details veränderte, aber ansonsten traditionelle Sturmgewehrkonzepte noch eine ganze Weile erhalten bleiben. So wie Waffenkultur. Wir schreiben auch in Zukunft über Gewehre, aber in einem weiteren Format: Das Infanterieporträt. Hier sollen ausgewählte Standardgewehre, deren Anwender und die genutzten Ausbildungskonzepte im Mittelpunkt stehen.


Gewehrkonzepte (1): Mk 12 Special Purpose Rifle

Gewehrkonzepte (2): Infantry Automatic Rifle 

Gewehrkonzepte (3): Anti-Material-Gewehr 

Gewehrkonzepte (4): Der Karabiner

Gewehrkonzepte (5): Cooper’s Scout Rifle

Gewehrkonzepte (6): Die Panzerbüchse

Gewehrkonzepte (7): Long Rifle

Gewehrkonzepte (8): Liberty Training Rifle

Gewehrkonzepte (9): Das Sturmgewehr





Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.