Manchmal muss es etwas mehr sein. Für den Schuss jenseits
der 2.000 Meter oder leicht gepanzerte Fahrzeuge benötigt man größere Kaliber.
Waffenkultur hat sich mit dem Goliath unter den Gewehrkonzepten beschäftigt
Von Christian Väth
Während des Ersten Weltkrieges standen dem Infanteristen
keine geeigneten Abwehrmittel gegen eine neue Kriegswaffe zur Verfügung – den
Panzer. Die ersten Panzerabwehrwaffen waren Panzerbüchsen in Form von
Gewehrkonstruktionen in sehr großem Kaliber. Erst mit der rasanten
Weiterentwicklung im Panzerwagenbau ab 1940 wurden diese Waffen obsolet.
Trotzdem wurden Sie weiterhin gegen die, auf dem Schlachtfeld viel
zahlreicheren, ungepanzerten Fahrzeuge und viele andere Ziele verwendet.
Sicherlich der am Weitesten verbreitete Halbautomat in dieser Kalibergruppe – das Barrett M82A1, hier als M107 Long Range Sniper Rifle der United States Army (Foto: United States Army) |
Taktisches Problem
Die Kampfentfernung von einfachen Infanterieeinheiten lag
über Jahrhunderte in einem sehr kurzen Entfernungsbereich. Mit dem Fortschritt
in der Waffentechnik während des 19. und 20. Jahrhunderts wurde eine Vielzahl
an neuen Applikationen möglich. Mit dem Niedergang der Panzerbüchse als
adäquates Panzerabwehrmittel auf dem europäischen Kriegsschauplatz wurden diese
Waffen weiterhin gegen alle möglichen Ziele auf dem Gefechtsfeld genutzt.
Flugzeuge, Funkinstallationen mit großer Reichweite, Führungsfahrzeuge oder
Betriebsstofflager des Gegners konnten aus sicherer Distanz getroffen werden.
Nach dem Zweiten Weltkrieg verschwanden die Panzerbüchsen aus den Beständen der
meisten Armeen und wichen rückstoßfreien Geschützen und Flugkörpern zur Panzerabwehr.
Auf der Teileinheitsebene (Zug und kleiner) fehlten nun einfach zu handhabende
Wirkmittel die kostengünstig einen größeren Entfernungsbereich abdecken
konnten. Neben dem Mehrzweckeinsatz gegen Fahrzeuge und Ausrüstung kam nun auch
die Bekämpfung von Personenzielen auf große Entfernung hinzu. Durch
Verbesserungen im Zielfernrohrbau konnten über immer größere Distanzen auch
kleine Ziele identifiziert werden. Aufgrund mangelnder Waffen behalf sich so
der US-Scharfschütze Carlos Hathcock in Vietnam mit einem schweren
Maschinengewehr M2 Browning (12,7 x 99 Millimeter) und einem Zielfernrohr, um
Treffer auf bis zu 2.090 Meter zu generieren.
Ein kanadischer Scharfschütze justiert seine Waffe - das McMillan TAC-50 ist derzeit als Long Range Sniper Weapon (LRSW) in den kanadischen Streitkräften eingeführt (Foto: Canadian Armed Forces) |
Konzeptentwicklung
Um die großen Kampfentfernungen überhaupt erreichen zu
können, bestimmten Munition und Kaliber die Entwicklungsansätze der ersten
Anti-Material-Gewehre. Hier boten sich bereits eingeführte Kaliber der schweren
Maschinengewehre an: In der NATO ist dies seit jeher das Kaliber 12,7 x 99
Millimeter (.50 Browning Machine Gun), welches mit der Einführung des M2
Browning 1921 zum ersten Mal durch US-Streitkräfte beschafft wurde. Im
Machtbereich der ehemaligen Sowjetunion wird seit 1934 ein ähnliches Kaliber
genutzt (12,7 x 108 Millimeter). Darüber hinaus ist seit 1941 aber auch eine
noch größere Patrone weit verbreitet (14,5 x 114 Millimeter), beispielsweise
auch als Fahrzeugbewaffnung. Um auf die entsprechenden Ziele auch die
gewünschte Wirkung zu erreichen, werden von allen Nutzern hauptsächlich
Hartkern- und Sprengbrandpatronen beschafft. Erst im neuen Jahrtausend kamen
einige auf Weichziele optimierte Patronen hinzu. Anhand dieser großkalibrigen,
bereits eingeführten Munition konnten unter verhältnismäßig geringem Aufwand
durch die Industrie konventionelle Repetierer und Halbautomaten entwickelt
werden. Erst in den letzten beiden Jahrzehnten haben sich in Nischenanwendungen
neu entwickelte Kaliber wie die .408 CheyTac etabliert.
Französischer Scharfschützentrupp während der Ausbildung mit einem PGM Hécate II (Foto: Armée de Terre) |
Einsatzgrundsätze
Neben der Vernichtung von technischen Hochwertzielen kam
seit 2001 durch die Militäreinsätze im Nahen Osten vermehrt der Bedarf an
Infanteriewaffen mit großer Reichweite hinzu. In den dortigen
Stabilisierungsoperationen erfolgt bis heute der schnelle Wechsel von Friedenszuständen
und dem intensiven Gefecht – oft sogar innerhalb eines Tages. Für die große
Zahl an Überwachungsaufgaben aus Feldlagern heraus, im Raum von fest
installierten Außenposten sowie bei motorisierten und abgesessenen Patrouillen
werden entsprechende Wirkmittel mit großer Reichweite benötigt. Vor allem in
Afghanistan kam es zu auffällig vielen Scharfschützeneinsätzen weit jenseits
der 1000-Meter-Marke: 2012 traf ein Scharfschütze des australischen 2nd
Commando Regiment mit einem M82A1 (.50 BMG) aus einer Entfernung von 2.815
Metern einen Gegner. Im Mai 2017 wurde dieser Schütze noch einmal übertroffen –
ein kanadischer Scharfschütze der Joint Task Force 2 traf im Irak aus 3.540
Metern mit einem McMillan Tac-50 (Hornady A-Max .50 BMG). Aktuell gilt dieser
Treffer als weitester Scharfschützentreffer der Geschichte. Der weiteste
Treffer in der nächstniedrigeren Kalibergruppe (.338 Lapua Magnum) wurde 2009
durch den britischen Scharfschützen Craig Harrison (Household Cavalry) in
Afghanistan auf 2.475 Meter Entfernung erzielt.
KSVK der russischen Streitkräfte während einer Übung im Dezember 2017 (Foto: Russian ministry of Defence) |
Technik
Die meisten Hersteller bieten in diesen Kalibern
konventionelle Repetiergewehre an. Prominente Vertreter dieser Kategorie sind
das Accuracy International AX50, McMillan TAC-50 oder auch das französische PGM
Hécate. Ein Sonderfall ist das HS.50 von Steyr, da es als Einzellader
konzipiert und produziert wurde. Mittlerweile ist dieses Gewehr allerdings auch
mit einem Magazin verfügbar. Die Streitkräfte der russischen Föderation
verwenden derzeit eine 12,5 Kilogramm (ohne ZF und Munition) schwere
Bullpup-Entwicklung – das KSVK. Die Bauweise erlaubt eine Gesamtlänge von 1,42
Metern bei einer Lauflänge von einem Meter. Russische Spezialkräfte haben
darüber hinaus auch Zugriff auf das VSSK „Vychlop“ im ungewöhnlichen Kaliber
12,7 x 55 Millimeter. Waffe und Kaliber sind auf den Schalldämpfer- und
Unterschallbetrieb optimiert, auch hier greifen russische Konstrukteure auf das
kompakte Bullpup-Prinzip mit Magazinzuführung hinter dem Griffstück zurück.
Praktisch alle Behördenanwender weltweit verfügen durch die Zubehörsätze ihrer
Anti-Material-Gewehre auch über entsprechende Signaturverzerrer und
Nachtkampfvorsatzgeräte. Für den zunehmenden Bedarf der Bekämpfung von
Personenzielen gibt es mittlerweile qualitativ hochwertige Lösungen im Kaliber
.408 CheyTac wie zum Beispiel die Modelle X3 und X4 von Voere. Dabei wiegen die
Waffen aufgrund der Verwendung moderner Materialien wie Karbonfasern unter zehn
Kilogramm.
Mexikanische Kräfte setzen das M82A1 im Kampf gegen die Drogenkartelle ein (Foto: Ejército Mexicano) |
Fazit
Die Auswahl an Kalibern und Geschosskonzepten hat in den
letzten 30 Jahren deutlich zugenommen. Immer mehr Staaten werden daher in der
Zukunft modulare Multikaliberwaffensysteme für die Ausrüstung ihrer
Scharfschützentrupps ausschreiben, um Kosten zu sparen. Waffen und Kaliber in
der Klasse des Anti-Material-Gewehrs werden hier auf absehbare Zeit die Spitze
der Leistungsfähigkeit bilden. Letztendlich begrenzt die Kapazität zur Rückstoßverarbeitung
des Schützen und das Gesamtgewicht der Waffe die Verwendung größerer Kaliber
durch einen einzelnen Soldaten. Im Zuge der rasanten Entwicklungen im Bereich
der unbemannten Fahrzeuge ist hier aufgrund der vergleichsweise günstigen
Munition für Anti-Material-Gewehre ein zusätzlicher Einsatzzweck zu erwarten –
das Bekämpfen von Robotern und autonomen Landfahrzeugen.
Gewehrkonzepte (1): Mk 12 Special Purpose Rifle
Gewehrkonzepte (2): Infantry Automatic Rifle
Gewehrkonzepte (3): Anti-Material-Gewehr
Gewehrkonzepte (4): Der Karabiner
Gewehrkonzepte (5): Cooper’s Scout Rifle
Gewehrkonzepte (6): Die Panzerbüchse
Gewehrkonzepte (7): Long Rifle
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