Mittwoch, 11. Dezember 2019

Gewehrkonzepte (1): Mk 12 Special Purpose Rifle


In einer neuen Artikelserie stellt Waffenkultur in jeder Ausgabe schlüssige Gewehrkonzepte vor. Wir beginnen mit der Lösung für den 770-Yards-Treffer im Kaliber 5,56 x 45 Millimeter. Das geht. Reproduzierbar


Von Christian Väth
 
Wenn man Waffenbesitzer nach dem Grund für ihre Kaufentscheidung eines Gewehrs und dem angebrachten Zubehör fragt, erhält man viel zu oft rein emotionale Antworten. „Cooles Aussehen“ spielt allerdings keinerlei Rolle für den praktischen Nutzen eines Werkzeuges. Seriöse Aussagen zur Zuverlässigkeit, Haltbarkeit und Verarbeitungsqualität sind mitunter schwer zu finden. Die Waffenkultur liefert seit der ersten Ausgabe eine alternative Informationsquelle. In dieser Artikelreihe betrachten wir Probleme vor denen Waffenanwender standen und (Gewehr-)Lösungen die funktionierten.

Ein Zielfernrohrschütze des 2nd Marine Regiment bei der Gefechtsaufklärung in Afghanistan 2013. Das USMC setzt bis heute in begrenzter Stückzahl das Mk 12 ein (Foto: United States Marine Corps)


Taktisches Problem
United States Army Ranger und Delta Force stellten bei den Kampfhandlungen in Somalia 1993 fest, dass ihre NATO-Standardpatrone (M855 im Kaliber 5,56 x 45 Millimeter) wenig Wirkung im Ziel entfaltete. Diese Patrone wurde während des Kalten Krieges konzipiert und war damit auf maximale Penetration ausgelegt: Schließlich stand man potentiell dem sowjetischen Infanteristen mit Schutzweste gegenüber. Der nordostafrikanische Miliz-Angehörige war allerdings unterernährt und trug lediglich ein T-Shirt. Die Masse der Treffer beinhaltete also eine Überpenetration und das Geschoss konnte sich im Ziel weder zerlegen noch taumeln. Die terminalballistische Wirkung blieb sehr gering: Einige Soldaten trafen ihren Gegner neunmal in die Brust ohne wesentliche Wirkung, bevor ein Kopftreffer die Situation klärte. Zwei Jahre zuvor stellte man außerdem während der Operation Desert Storm im Irak fest, dass im offenen Gelände die M4-Sturmgewehre sowohl hinsichtlich ihrer Visierung als auch der Energieabgabe im Ziel schnell an ihre Grenzen gelangten. Die beiden taktischen Kernprobleme waren somit mangelnde terminalballistische Wirkung und die optische Zielidentifikation. Diese Feststellung führte zur Einführung einer Reihe verschiedener Zielfernrohrgewehre in NATO-Streitkräften.

Konzeptentwicklung
Während die offensichtliche Antwort auf die beiden identifizierten Probleme die Nutzung eines größeren Kalibers ist, ging die Crane Division des Naval Surface Warfare Center einen anderen Weg. Es sollte ein für Präzisionsaufgaben optimierter Upper Receiver für die vorhandenen M4 beschafft werden. Missionsabhängig hätte man dann zwischen den beiden Optionen wechseln können. Aus dieser Idee wurde dann jedoch eine eigenständige Waffe: Das Mk 12 Special Purpose Rifle. Ein längerer Lauf und eine vergrößernde Zieloptik sind die offenkundigen Unterschiede zum Standard-M4-Sturmgewehr. In der Entwicklung war jedoch von Anfang an klar, dass nur eine spezielle Patrone das Potential des Kalibers voll ausschöpfen könnte. Der Herstellers Black Hills Ammunition lieferte mit der Mk 262 den Grundstein des SPR-Konzeptes. Mit einem fünf Gramm schweren Sierra MatchKing-Hohlspitz-Geschoss (77 grains) wurde die Patrone als „5,56 mm Special Ball, LR MK 262 MOD 1“ (LR für Long Range) eingeführt. Dieses Geschoss ist dabei nicht auf maximale und schnelle Energieabgabe ausgelegt, wie klassische Hohlspitzgeschosse. Die OTM-Gestaltung (Open Tip Match) soll vielmehr durch eine kleine Hohlspitze den Schwerpunkt nach hinten verlagern um die Flugstabilität zu erhöhen. Beim Auftreffen auf ein weiches Ziel fragmentiert die Geschossspitze entlang einer eingefügten Rille (engl. cannelure) und das schwerere Geschossheck taumelt. Entsprechend ist die terminalballistische Wirkung enorm.

Wirkung des „zivilen“ Bruder der Mk 262 im Beschussversuch: Die reale terminalballistische Wirkung kann anhand des Gelatinebeschusses nur erahnt werden, erzeugt jedoch Vergleichswerte (Foto: Black Hills Ammunition)

Einsatzgrundsätze
Das Special Purpose Rifle wurde für den wirksamen Erstschusstreffer bis 770 Yards entwickelt. Einsatzberichte aus Afghanistan und dem Irak beinhalten bestätigte Abschüsse jenseits der 800-Yards-Marke. Bis zur Ablösung durch neuere Waffen blieb das Mk 12 bei den Soldaten sehr beliebt, allerdings hatte die speziell entwickelte Mk 262-Patrone noch größeren Erfolg. Mit den ersten ausgelieferten Munitionskontingenten wurden die neuen Geschosse auch aus dem Standard-M4 und dessen Kompaktvarianten eingesetzt. Auch im Häuserkampf zeigte die Patrone auf kurze und kürzeste Distanzen eine um Längen bessere Wirkung als die M855-Standardpatrone, so dass schnell alle Angehörigen der Spezialkräfte Bedarf anzeigten. Lediglich beim Durchschießen von Deckungen (vor allem Fahrzeuge) zeigte sich die M855 naturgemäß überlegen. Die Einführung der Mk 262 führte zu einer Reihe weiterer Sonderpatronen, die mittlerweile bei den spezialisierten Kräften und einigen Heereseinheiten die Standardpatrone völlig verdrängt haben.

Geringere Penetrationsleistung, ähnliche Wundhöhle: Die Mk 262-Patrone zeigte auch aus kürzeren Läufen (Standard-M4: 14,5 Zoll) und Entfernungen beachtliche Wirkung durch die fehlende Überpenetration (Foto: Black Hills Ammunition)

Technik
Das Mk 12 ist technisch gesehen ein normales AR-15, das Konzept ist nur durch die Kombination verschiedener Komponenten neu. Die Lower Receiver des SPR kamen aus M16A1-Beständen, die obere Gehäusebaugruppe wurde neu gefertigt. Das Gewehrzubehör beinhaltet grundsätzlich einen Schalldämpfer des Herstellers OPS Inc., um die Signatur des Schützen zu reduzieren und damit die Überlebensfähigkeit zu erhöhen. In der Alpha-Variante kam ein Leupold LR M3-Zielfernrohr (3,5 bis 10 x 40-Vergrößerung) zum Einsatz. Bis heute weit verbreitet sind die Leupold Mark 4 TS30-Zielfernrohre (2,5 bis 8 x 36-Vergrößerung) mit beleuchtetem TMR-Absehen (Tactical Milling Reticle) der Special Purpose Rifle Bravo-Version.

Fazit
Das Mk 12 Special Purpose Rifle wurde als Nischenlösung entwickelt, hatte jedoch großen Einfluss auf die Bewaffnung von Spezial- und Infanteriekräften in der ganzen NATO. Die Rückkehr des Zielfernrohrgewehres und entsprechender Ausbildungsprogramme ist grundsätzlich zu begrüßen. Die Ursprungslösung SPR zeigt das Potential des NATO-Standardkalibers und stellt die zwingende Notwendigkeit eines größeren Kalibers für den Zielfernrohrschützen zumindest in Frage. Die Praxis relativierte die Namensgebung: Tatsächlich kann ein AR-15 mit langem Lauf und einer vergrößernden Optik ein flexibles Werkzeug für den infanteristischen Halbkilometer – und damit ein „General Purpose Rifle“ – sein. Die Grenzwertreserve jenseits der 500-Meter-Marke benötigt man übrigens nicht nur in der irakischen Wüste, auch in einer mitteldeutschen Hügellandschaft sieht man sich schnell mit solchen und noch größeren Sichtstrecken konfrontiert.

Gewehrkonzepte (1): Mk 12 Special Purpose Rifle

Gewehrkonzepte (2): Infantry Automatic Rifle 

Gewehrkonzepte (3): Anti-Material-Gewehr 

Gewehrkonzepte (4): Der Karabiner

Gewehrkonzepte (5): Cooper’s Scout Rifle

Gewehrkonzepte (6): Die Panzerbüchse

Gewehrkonzepte (7): Long Rifle

Gewehrkonzepte (8): Liberty Training Rifle

Gewehrkonzepte (9): Das Sturmgewehr



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