In einer neuen Artikelserie stellt Waffenkultur in jeder
Ausgabe schlüssige Gewehrkonzepte vor. Wir beginnen mit der Lösung für den
770-Yards-Treffer im Kaliber 5,56 x 45 Millimeter. Das geht. Reproduzierbar
Von Christian Väth
Wenn man Waffenbesitzer nach dem Grund für ihre
Kaufentscheidung eines Gewehrs und dem angebrachten Zubehör fragt, erhält man
viel zu oft rein emotionale Antworten. „Cooles Aussehen“ spielt allerdings
keinerlei Rolle für den praktischen Nutzen eines Werkzeuges. Seriöse Aussagen
zur Zuverlässigkeit, Haltbarkeit und Verarbeitungsqualität sind mitunter schwer
zu finden. Die Waffenkultur liefert seit der ersten Ausgabe eine alternative
Informationsquelle. In dieser Artikelreihe betrachten wir Probleme vor denen
Waffenanwender standen und (Gewehr-)Lösungen die funktionierten.
Ein Zielfernrohrschütze des 2nd Marine Regiment bei der
Gefechtsaufklärung in Afghanistan 2013. Das USMC setzt bis heute in begrenzter
Stückzahl das Mk 12 ein (Foto: United States Marine Corps)
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Taktisches Problem
United States Army Ranger und Delta Force stellten bei den
Kampfhandlungen in Somalia 1993 fest, dass ihre NATO-Standardpatrone (M855 im
Kaliber 5,56 x 45 Millimeter) wenig Wirkung im Ziel entfaltete. Diese Patrone
wurde während des Kalten Krieges konzipiert und war damit auf maximale
Penetration ausgelegt: Schließlich stand man potentiell dem sowjetischen
Infanteristen mit Schutzweste gegenüber. Der nordostafrikanische
Miliz-Angehörige war allerdings unterernährt und trug lediglich ein T-Shirt. Die
Masse der Treffer beinhaltete also eine Überpenetration und das Geschoss konnte
sich im Ziel weder zerlegen noch taumeln. Die terminalballistische Wirkung
blieb sehr gering: Einige Soldaten trafen ihren Gegner neunmal in die Brust
ohne wesentliche Wirkung, bevor ein Kopftreffer die Situation klärte. Zwei
Jahre zuvor stellte man außerdem während der Operation Desert Storm im Irak
fest, dass im offenen Gelände die M4-Sturmgewehre sowohl hinsichtlich ihrer
Visierung als auch der Energieabgabe im Ziel schnell an ihre Grenzen gelangten.
Die beiden taktischen Kernprobleme waren somit mangelnde terminalballistische
Wirkung und die optische Zielidentifikation. Diese Feststellung führte zur
Einführung einer Reihe verschiedener Zielfernrohrgewehre in NATO-Streitkräften.
Konzeptentwicklung
Während die offensichtliche Antwort auf die beiden
identifizierten Probleme die Nutzung eines größeren Kalibers ist, ging die
Crane Division des Naval Surface Warfare Center einen anderen Weg. Es sollte
ein für Präzisionsaufgaben optimierter Upper Receiver für die vorhandenen M4
beschafft werden. Missionsabhängig hätte man dann zwischen den beiden Optionen
wechseln können. Aus dieser Idee wurde dann jedoch eine eigenständige Waffe:
Das Mk 12 Special Purpose Rifle. Ein längerer Lauf und eine vergrößernde
Zieloptik sind die offenkundigen Unterschiede zum Standard-M4-Sturmgewehr. In
der Entwicklung war jedoch von Anfang an klar, dass nur eine spezielle Patrone
das Potential des Kalibers voll ausschöpfen könnte. Der Herstellers Black Hills
Ammunition lieferte mit der Mk 262 den Grundstein des SPR-Konzeptes. Mit einem
fünf Gramm schweren Sierra MatchKing-Hohlspitz-Geschoss (77 grains) wurde die
Patrone als „5,56 mm Special Ball, LR MK 262 MOD 1“ (LR für Long Range)
eingeführt. Dieses Geschoss ist dabei nicht auf maximale und schnelle
Energieabgabe ausgelegt, wie klassische Hohlspitzgeschosse. Die OTM-Gestaltung
(Open Tip Match) soll vielmehr durch eine kleine Hohlspitze den Schwerpunkt
nach hinten verlagern um die Flugstabilität zu erhöhen. Beim Auftreffen auf ein
weiches Ziel fragmentiert die Geschossspitze entlang einer eingefügten Rille
(engl. cannelure) und das schwerere Geschossheck taumelt. Entsprechend ist die
terminalballistische Wirkung enorm.
Einsatzgrundsätze
Das Special Purpose Rifle wurde für den wirksamen
Erstschusstreffer bis 770 Yards entwickelt. Einsatzberichte aus Afghanistan und
dem Irak beinhalten bestätigte Abschüsse jenseits der 800-Yards-Marke. Bis zur
Ablösung durch neuere Waffen blieb das Mk 12 bei den Soldaten sehr beliebt, allerdings
hatte die speziell entwickelte Mk 262-Patrone noch größeren Erfolg. Mit den
ersten ausgelieferten Munitionskontingenten wurden die neuen Geschosse auch aus
dem Standard-M4 und dessen Kompaktvarianten eingesetzt. Auch im Häuserkampf
zeigte die Patrone auf kurze und kürzeste Distanzen eine um Längen bessere
Wirkung als die M855-Standardpatrone, so dass schnell alle Angehörigen der
Spezialkräfte Bedarf anzeigten. Lediglich beim Durchschießen von Deckungen (vor
allem Fahrzeuge) zeigte sich die M855 naturgemäß überlegen. Die Einführung der
Mk 262 führte zu einer Reihe weiterer Sonderpatronen, die mittlerweile bei den
spezialisierten Kräften und einigen Heereseinheiten die Standardpatrone völlig
verdrängt haben.
Technik
Das Mk 12 ist technisch gesehen ein normales AR-15, das
Konzept ist nur durch die Kombination verschiedener Komponenten neu. Die Lower
Receiver des SPR kamen aus M16A1-Beständen, die obere Gehäusebaugruppe wurde
neu gefertigt. Das Gewehrzubehör beinhaltet grundsätzlich einen Schalldämpfer
des Herstellers OPS Inc., um die Signatur des Schützen zu reduzieren und damit
die Überlebensfähigkeit zu erhöhen. In der Alpha-Variante kam ein Leupold LR
M3-Zielfernrohr (3,5 bis 10 x 40-Vergrößerung) zum Einsatz. Bis heute weit
verbreitet sind die Leupold Mark 4 TS30-Zielfernrohre (2,5 bis 8 x
36-Vergrößerung) mit beleuchtetem TMR-Absehen (Tactical Milling Reticle) der
Special Purpose Rifle Bravo-Version.
Fazit
Das Mk 12 Special Purpose Rifle wurde als Nischenlösung
entwickelt, hatte jedoch großen Einfluss auf die Bewaffnung von Spezial- und
Infanteriekräften in der ganzen NATO. Die Rückkehr des Zielfernrohrgewehres und
entsprechender Ausbildungsprogramme ist grundsätzlich zu begrüßen. Die
Ursprungslösung SPR zeigt das Potential des NATO-Standardkalibers und stellt
die zwingende Notwendigkeit eines größeren Kalibers für den
Zielfernrohrschützen zumindest in Frage. Die Praxis relativierte die
Namensgebung: Tatsächlich kann ein AR-15 mit langem Lauf und einer
vergrößernden Optik ein flexibles Werkzeug für den infanteristischen
Halbkilometer – und damit ein „General Purpose Rifle“ – sein. Die
Grenzwertreserve jenseits der 500-Meter-Marke benötigt man übrigens nicht nur
in der irakischen Wüste, auch in einer mitteldeutschen Hügellandschaft sieht
man sich schnell mit solchen und noch größeren Sichtstrecken konfrontiert.
Gewehrkonzepte (1): Mk 12 Special Purpose Rifle
Gewehrkonzepte (2): Infantry Automatic Rifle
Gewehrkonzepte (3): Anti-Material-Gewehr
Gewehrkonzepte (4): Der Karabiner
Gewehrkonzepte (5): Cooper’s Scout Rifle
Gewehrkonzepte (6): Die Panzerbüchse
Gewehrkonzepte (7): Long Rifle
Gewehrkonzepte (8): Liberty Training Rifle
Gewehrkonzepte (9): Das Sturmgewehr
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