Donnerstag, 4. Februar 2021

Gewehrkonzepte (8): Liberty Training Rifle

 

Der Begriff Liberty Training Rifle (LTR) bezeichnet eine für jedermann verfügbare Trainingswaffe, mit der besonders effizient Grundlagen des Gewehrschießens geübt werden können

Von Christian Väth

Der Begriff Liberty Training Rifle (LTR) wurde im Umfeld von Project Appleseed geprägt (Waffenkultur Nr. 13, Seite 6). In dieser gemeinnützigen Organisation haben sich US-amerikanische Gewehrschützen zusammengeschlossen, um jedem Amerikaner die Grundlagen im Umgang mit einem Gewehr wieder nahe zu bringen. Nach Ansicht der Initiatoren hinter Project Appleseed sind diese Fähigkeiten der US-amerikanischen Gesellschaft querschnittlich abhandengekommen. Programmatisch wird Project Appleseed durch die Mentalität getragen, dass die Freiheit und Unabhängigkeit einer Gesellschaft nur durch privaten Waffenbesitz gewährleistet werden kann. Insbesondere durch den Besitz eines Gewehrs und die Fähigkeit seiner Anwendung.

 

Das LTR aus Waffenkultur Nr. 17:
Savage Mark II Camo im Kaliber .22 lfB


 
Taktisches Problem
Ein LTR dient zwei Zielsetzungen. Zum einen übernimmt es die Funktion eines preiswerten Trainingsgerätes, dass mit wenigen Modifikationen an die Handhabungsechtheit eines Karabiners angepasst werden kann. Neben der Kostenreduzierung, kann hier auch die eingeschränkte Verfügbarkeit von geeigneten Schießstätten im näheren Umfeld ein Anlass zur Anschaffung sein. Noch finden sich in Deutschland flächendeckend Schießstände, die für Waffen im Kaliber .22 lfb zugelassen sind. Die benötigte Standardentfernung von 25 Metern ist so gut wie immer auch auf nicht frei begehbaren Bahnen vorhanden. Zum anderen dient eine solche Waffe als Schulungsinstrument für Nachwuchsschützen. Aufgrund des sehr geringen Rückstoßes besonders geeignet für Kinder und Jugendliche, sollten auch Erwachsene nicht ihr Ego zwischen sich und ein LTR stellen. Eine moderne und realitätsnahe Schießausbildung folgt, egal für welche Zielgruppe, einem aufeinander aufbauenden System von Lernzielen und -stufen. Die dazugehörigen Werkzeuge und Lehrmethoden ändern sich dabei je nach Lernschritt. Gerade für die Sicherheitserziehung, das Erlernen der vier Grundfertigkeiten und die ersten Gehversuche mit einer effizienten Schießtechnik anhand von Referenzpunkten kann ein LTR auch für erwachsene Neulinge sehr gewinnbringend sein. Fortgeschrittene können Grundlagenfähigkeiten kostengünstig aufrechterhalten.

 

Das Vorkompressions-System wird durch Ab- und Anklappen
des Handschutzes bedient. (Foto: Crosman)



Konzept LTR .22
In Missachtung ihres wahren Potentials werden Gewehre im Kaliber .22 lfB manchmal nur als „Spaßbringer“ abgetan. Dabei wird verkannt, welches hohe Maß an Trainingsfortschritt mit diesen Waffen erzielt werden kann und wie effizient die Ausbildung gestaltet werden kann.  Die Vorteile liegen auf der Hand: Die Anschaffungskosten der Waffe sind relativ gering, die Munition ist preisgünstig und zum strukturierten Üben reicht eine 25-m-Bahn. Abmaße und Gewicht lassen .22-lfB-Gewehre auch für Kinder und Jugendliche zu einem interessanten und nützlichen Trainingsinstrument werden. Alles was mit den „richtigen“ und „großen“ Gewehren gemacht wird, kann mit einer .22er gleichermaßen umgesetzt werden: Das Leben von Sicherheitsregeln, die Handhabung, wie z.B. Ladetätigkeiten, der Aufbau einer stabilen Schießplattform mit Unterstützung eines Schießriemens und natürlich das Umsetzen von Grundfertigkeiten des Schießens, um einen präzisen Treffer anzubringen. Das Ziel des Trainings sollte sein, zu jedem beliebigen Zeitpunkt eine Durchschnittsstreuung von 0,6‰ zu erreichen. Die Realisierung eines LTR im Kaliber .22 lässt sich in der Waffenkultur-Ausgabe Nr. 17 nachlesen.

 

Die offene Visierung ist der Standardvisierung
der United States Army nachempfunden



Konzept .177
Der Idee, einer für jedermann zugänglichen Ausbildung in den vier Grundfertigkeiten und den Grundlagen der Schießtechnik folgend, stellt sich die Frage nach der Eignung von vollkommen einschränkungsfrei zu erwerbenden Schusswaffen. Jeder volljährige, deutsche Staatsbürger kann ohne weitere Beschränkungen Luftgewehre bis zu einer Leistungsfähigkeit von maximal 7,5 Joule erwerben. Auf dem eigenen Grundstück oder in den eigenen vier Wänden ist das Schießen mit diesen Waffen erlaubt, insofern sichergestellt ist, dass kein Projektil diesen Bereich verlässt. Im Vergleich zu einem bereits sehr günstigen LTR im Kaliber .22 sinken die Kosten noch einmal drastisch: Es wird keine spezielle Schießstätte benötigt und die Anschaffung der Waffe sowie die Munitionsversorgung ist noch günstiger. Bislang waren die üblichen Luftgewehrmodelle jedoch aufgrund ihrer Ausgestaltung nur bedingt zur Nutzung als LTR geeignet. Mittlerweile steht jedoch eine Option zur Verfügung: Das M4-177 des US-amerikanischen Herstellers Crosman.

 

Neun Meter werden benötigt: Egal ob im Garten
oder wie hier liegend freihändig in einem langen Flur



Crosman M4-177
Hierbei handelt es sich um einen Luftgewehrhybriden der sowohl Geschosse im Kaliber .177 (4,5 Millimeter Diabolos) als auch Airsoft-BB-Rundkugeln aus Stahl verschießen kann. Das Vorkompressions-System (ähnlich den altbekannten „Knickern“) bleibt innerhalb der deutschen Leistungsgrenze von 7,5 Joule. Dabei lässt sich die gewünschte Energiehöhe vor jedem Schuss neu einstellen – zwischen drei und zehn Pumpstößen ist ein sicherer Betrieb möglich. So kann die Energie je nach Kugelfang oder zur Erhöhung der Sicherheit bei Abprallern in Wohnräumen angepasst werden. Vor der Schussabgabe wird der Handschutz nach unten geklappt und wieder nach oben gedrückt (siehe Abbildung). Das Gewehr ist vom Design und den Abmessungen her einem Standard-M4 der United States Army nachempfunden, inklusive verstellbarer Lochkimme und Schubschaft. Die Waffe ist komplett aus Kunststoff gefertigt und mit ca. 1,7 Kilogramm leichter als das Original. Die Verarbeitung erscheint äußerlich auf den ersten Blick nicht sonderlich hochwertig. Allerdings konnte der Autor über das vergangene Jahr eine Trainingseinheit pro Woche durchführen – bislang ohne Störungen oder Schäden. Der gezogene Lauf ist aus Stahl gefertigt. Entsprechende Ösen ermöglichen auch das Anbringen eines Riemens. Geladen wird das M4-177 mit einem kleinen Magazinstreifen für fünf .177-Geschosse oder mit bis zu 350 Stahl-BB’s im Gehäuse. Das Diabolo-Magazin und der Justierschlüssel werden in der Magazinattrappe verstaut. Der Justiervorgang gestaltet sich exakt nach der bekannten 25-m-Methode, allerdings verkürzt auf neun Meter: ein langer Flur oder ein kurzes Gartenstück genügt für alle Schießübungen. Die Eigenpräzision der Waffe ist dabei hoch genug, um auf diese Distanz immer eine Präzision von 1‰ zu erreichen. Dazu muss bei der Übungsgestaltung und der Zielauswahl auf die korrekte Umsetzung des Präzisionsanspruches geachtet werden: Auf die angesprochene Entfernung von neun Metern sollten die Treffer daher innerhalb einer Fläche von 0,9 x 0,9 Zentimetern liegen (1‰). Einfache Ringscheiben sind äußerst kostengünstig, ab etwa 40 Euro sind auch kleine Stahlpendelziele erhältlich. Die Anschaffung eines Kugelfangs ist besonders für die Verwendung in Innenräumen dringend anzuraten. Wie auch beim Trockentraining ist eine sichere Übungsumgebung Pflicht. Andere Familienmitglieder oder Tiere dürfen nicht unbemerkt in die Trefferzone gelangen können.

Fazit
Um einen hohen Präzisionsanspruch zu erfüllen, muss man nicht mehrmals die Woche einen Schießstand buchen. Die eigenen Fähigkeiten zu verbessern und dann zu erhalten, ist auf vielfältige Weise möglich. Wer Ausreden sucht, hat nicht verstanden, worum es geht. Echte Gewehrschützen werden immer einen Weg finden, sich zu beüben. Das Konzept des Liberty Training Rifle ist weltweit millionenfach bewährt, keiner sollte sich zu schade sein die kleinen „Spaßmacher“ auch mal ernst zu nehmen. Und im Lockdown nicht vergessen: Die körperliche Leistungsfähigkeit sollte parallel zu den Schießfertigkeiten gesteigert werden. Denn wer seinen Puls schneller runterbekommt, hat auch früher ein Visierbild.


Technische Daten
Modell: M4-177
Hersteller: Crosman Corporation, Bloomfield NY, USA
Waffenart: Pneumatic Pump Air Rifle (Vorkompressions-Luftgewehr)
Kaliber: .177 (4,5 mm Diabolo bzw. 4,5 mm BB)
Magazinkapazität: 5 Schuss / 350 Schuss
Visierung: offen, Lochkimme und Korn
Gesamtlänge: 78 - 86 cm (verstellbarer Schubschaft)
Energie: max. 7,5 Joule
Gewicht: 1,7 Kilogramm
Preis: ab 120 Euro

 

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