Es sieht aus wie ein Sturmgewehr, aber es ist keines. Das
Konzept des Automatikgewehrs ist ein Wiedergänger in den letzten 100 Jahren
waffentechnischer Entwicklung
Von Christian Väth
Unabhängig von Nationalität, Ausrüstung, Doktrin und
Weltanschauung gilt für Infanteriekräfte weltweit ein gemeinsamer Nenner: Der
Grundsatz von Feuer & Bewegung. Niemand bewegt sich irgendwohin, ohne
überwacht zu werden. Wenn es zum Feuerkampf kommt, wird das Feuer auch für
eigene Bewegungen genutzt. Auf niedrigster taktischer Ebene ermöglicht das
Maschinengewehr seit über 100 Jahren die Umsetzung dieses Einsatzgrundsatzes.
Taktisches Problem
Im Ersten Weltkrieg kam es zum ersten massenhaften Einsatz
von Maschinengewehren. Anfang des 20. Jahrhunderts waren diese Waffen noch
außerordentlich schwer. Um einen schnellen Stellungswechsel zu ermöglichen und
diese Kriegsmittel auch im Angriff einsetzen zu können, musste das Gewicht
drastisch reduziert werden. Die US-amerikanischen Streitkräfte setzten bei
Kriegsende zu diesem Zweck das „leichte“ Maschinengewehr M1918 Browning
Automatic Rifle (BAR) ein – mit fast zehn Kilogramm Kampfgewicht. Das Magazin
für 20 Patronen erwies sich für diesen Einsatzzweck als zu klein, das Gewicht
war zu hoch und der Lauf überhitzte zu schnell. Trotzdem blieb das Gewehr bis
zum Beginn des Vietnamkrieges in den Beständen. In kleineren Stückzahlen setzte
das Russische Reich (Fedorov Avtomat) zur gleichen Zeit eine ähnliche Waffe
ein, vergleichbare Konzepte kamen im Zuge des Zweiten Weltkrieges auf (AVS-36
in der Sowjetunion und das FG 42 im Deutschen Reich). Abgelöst wurde das BAR
vom M60 Maschinengewehr, einem Universalmaschinengewehr nach deutschem Vorbild.
In den 1980er-Jahren wurden in der US Army und bei der Marineinfanterie
automatische Waffen in größeren NATO-Kalibern durch leichte Maschinengewehre
(engl. squad automatic weapons – SAW) ersetzt. Diese Waffen weisen fast
identische Merkmale auf wie ihre großen Brüder: Schnell zu wechselnder Lauf,
Gurtzuführung und ein Zweibein. Hinsichtlich des Gewichts ist jedoch kein
Fortschritt erkennbar – zwar bringt ein heutiges M249 SAW deutlich mehr
Feuerkraft in Form eines großen Patronengurtes mit, es wiegt aber immer noch
zehn Kilogramm. Moderne Infanteriekräfte sind allerdings hoffnungslos
überladen. Tatsächlich trägt der Infanterist von heute so viel Ausrüstung,
Munition und Kampfmittel mit sich herum, wie keiner seiner Vorfahren.
Gewichtsreduktion in allen Bereichen führt zu einer erhöhten Kampfkraft,
längerer Durchhaltefähigkeit und ist mittlerweile zur absoluten Notwendigkeit
geworden.
Bedienelemente und Referenzpunkte sind deckungsgleich mit
denen des Sturmgewehrs – das spart wertvolle Ausbildungszeit (Foto: United
States Marine Corps)
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Konzeptentwicklung
Ein normales Sturmgewehr ist nicht das richtige Werkzeug, um
Gegner mit Dauerfeuer niederhalten zu können – für diese Belastungen sind diese
Waffen nicht konstruiert worden. Die moderne Interpretation des Automatic Rifle
verlangt nach einem Gewehr, welches in der Handhabung vom Sturmgewehr kaum
abweicht. Dadurch reduziert sich die Ausbildungszeit – vermutlich die
kritischste Ressource moderner Armeen. Es muss eine hohe Schussbelastung in
kurzer Zeit tolerieren können und im Dauerfeuer kontrollierbar bleiben. Die
Magazine der Sturmgewehre sollten mit diesem Gewehr nutzbar sein, dementsprechend
stellt sich auch keine Kaliberfrage. Die Nachladezeit reduziert sich deutlich
(einen Gurt einzulegen dauert länger als ein Magazin zu wechseln) und der
Rohrwechsel fällt weg. Je nach Einsatzart bleibt der Schütze länger im
Feuerkampf. Im Jahre 1999 konkretisierte das United States Marine Corps
erstmals seinen Bedarf an einem „light automatic rifle“. Sechs Jahre später
wurde das Beschaffungsprogramm für ein Infantry Automatic Rifle gestartet, als
Leitverband für alle Feldversuche wurde das 2. Bataillon des 7.
Marineinfanterieregiments ausgewählt. In die engere Auswahl kamen zwei
Varianten von Colt, ein modifiziertes SCAR von Fabrique National Herstal und
eine Version des HK416 von Heckler & Koch. Seit 2010 wurden einige tausend
Gewehre des letzten Herstellers als Sieger der Ausschreibung beschafft und als
M27 Infantry Automatic Rifle eingeführt.
Einsatzgrundsätze
Der Automatikschütze erfüllt taktisch gesehen die gleiche
Rolle, wie der leichte Maschinengewehrschütze: Er hält Gegner durch Dauerfeuer
nieder, um den Gewehrschützen die Möglichkeit zum Stellungswechsel zu geben.
Hier kann es nun bei zwei oder gar drei vorhandenen Automatikgewehren in der
Gruppe zwei Ansätze geben. In der ersten Variante werden diese Schützen zu
einem Deckungselement zusammengefasst und können über einen verhältnismäßig
langen Zeitraum das Feuer aufrechterhalten, indem sie zu unterschiedlichen
Zeitpunkten beginnen zu schießen. So ist gewährleistet, dass mindestens ein
Schütze immer schießt während die anderen nachladen. In der zweiten Variante
erhält jeder Trupp einen solchen Schützen und während er nachlädt übernehmen
die Gewehrschützen sein Feuer - wie bisher beim Rohrwechsel, Nachladen und
Störung des Maschinengewehrs auch. Letztere Variante ist in der Grundgliederung
der Infanteriegruppe des USMC implementiert. Die 13-Mann starke Gruppe besteht
aus einem Gruppenführer und drei gleich gegliederten Vier-Mann-Trupps (engl.
fire team) mit je einem Truppführer, zwei Gewehrschützen (einer davon mit
Granatwerfer im Kaliber 40 x 46 mm) und einem Automatikschützen. Ein
wesentlicher Vorteil: Der M27-Schütze ist optisch nicht mehr vom Gewehrschützen
zu unterscheiden und wird so seltener zum lohnenden Ziel. Die kommenden
Konflikte werden zeigen, ob sich das IAR-Konzept des United States Marine Corps
oder das derzeit anlaufende Programm Next Generation Squad Weapon der US Army
durchsetzen kann. In dieser Beschaffung soll eine Neuentwicklung in zwei
Varianten (Rifle / Automatic Rifle) die bisherige Gruppenbewaffnung gänzlich
ablösen und zeitgleich ein neues Kaliber (6,5 mm General Purpose Projectile)
eingeführt werden. Das deutsche Heer bleibt vorerst, ebenfalls aus guten
Gründen, mit dem Maschinengewehr MG5 bei einem Universalmaschinengewehr im
größeren NATO-Kaliber 7,62 x 51 Millimeter.
Technik
Im Vergleich zum leichten Maschinengewehr M249 ist das M27
sogar zu einer etwas höheren Kadenz von 900 Schuss pro Minute in der Lage,
allerdings liegt das reale Feuervolumen deutlich niedriger, da die Magazine nur
30 Patronen enthalten. Die Beschaffung von Trommelmagazinen wurde erwogen,
allerdings erfüllt derzeit noch kein marktverfügbares Produkt die militärischen
Anforderungen an die Funktionssicherheit. Ergonomisch ist das M27 ein klarer
Fortschritt: AR-15 Bedienelemente und verstellbare Schulterstütze erlauben eine
unveränderte Umsetzung der Schießtechnik, wie bei einem Sturmgewehr. Einer der
größten Vorteile ist jedoch das mehr als halbierte Gewicht – feuerbereit wiegt
die Waffe nur noch viereinhalb Kilogramm. Auch die Gesamtabmessungen sind
deutlich reduziert, was dem Schützen mehr Manövrierfähigkeit in engen Räumen
und in Fahrzeugen ermöglicht. Im Vergleich zum Sturmgewehr ist es jedoch
weniger handlich, da es über einen 16,5-Zoll-Lauf verfügt. Aufgrund der im
Vergleich zum M4A1 deutlich hochwertigeren Rohrverarbeitung und günstigeren
Bettung ist das M27 IAR auch im Einzelfeuer auf längere Distanzen vermeintlich
das bessere Werkzeug. Es wiegt allerdings fast das Doppelte, da es hohe
Feuerraten über viele Magazine ohne Laufüberhitzung und Störungen aushalten
muss. Theoretisch gesehen ist die Waffe von Heckler & Koch vielleicht das
bessere Sturmgewehr – in der taktischen Realität jedoch nicht. Wie bei allen
anderen HK416 Varianten ist das M27 ein Gasdrucklader mit
Kurzhub-Gaskolbensystem. Zur Ausstattung gehören ein Harris-Zweibein, ein
Zwei-Punkt-Trageriemen von Blue Force Gear sowie ein ACOG (TA11SDO / 3,5 x 35)
von Trijicon mit einem aufgesetzten RMR-Reflexvisier des gleichen Herstellers.
Ein Not-Eisenvisier ist ebenfalls vorhanden.
Fazit
Für den Kampf in zunehmend urbanen Umgebungen und schnell
wechselnden Einsatzszenarien hat sich das Infantry Automatic Rifle innerhalb
des letzten Jahrzehnts bewährt. Die Truppe ist begeistert von der Waffe.
Deshalb hat die Führung des Marine Corps die Einführung des M27 für alle
Infanteristen durchgesetzt, die Beschaffung soll bis 2021 abgeschlossen sein.
Eine Zielfernrohrgewehrvariante (M38) des Systems ist bereits eingeführt, so
dass in naher Zukunft jeder US-amerikanischer Marineinfanterist mit einem
Gewehr von Heckler & Koch arbeiten wird, dass fast zwei Kilogramm schwerer
ist, als sein altes M4A1. Durch diese Entscheidung wird der taktische Vorteil
zumindest teilweise relativiert – hier wurde klar über das Ziel
hinausgeschossen. Ein funktionales militärisches Beschaffungswesen sollte
allerdings sich an taktischen Erfordernissen und einem Kostenrahmen
orientieren. Genauso verhält es sich mit dem nächsten privaten Gewehrkauf.
Gewehrkonzepte (1): Mk 12 Special Purpose Rifle
Gewehrkonzepte (2): Infantry Automatic Rifle
Gewehrkonzepte (3): Anti-Material-Gewehr
Gewehrkonzepte (4): Der Karabiner
Gewehrkonzepte (5): Cooper’s Scout Rifle
Gewehrkonzepte (6): Die Panzerbüchse
Gewehrkonzepte (7): Long Rifle
Gewehrkonzepte (8): Liberty Training Rifle
Gewehrkonzepte (9): Das Sturmgewehr
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