Die Definition dieses Gewehrkonzeptes ist umstritten.
Dabei könnte es recht einfach sein: Der Karabiner ist eine kürzere, ansonsten
aber funktionsgleiche Variante des jeweils eingeführten Standardgewehres. Die
Waffenkultur hat sich mit den „kleineren Brüdern“ befasst
Von Christian Väth
Im deutschsprachigen Raum hat vor allem die offizielle
Bezeichnung des Infanteriegewehrs der Wehrmacht für eine nachhaltige
Begriffsverwirrung gesorgt: Der Karabiner 98k. Wie bei vielen anderen
Waffensystemen im Dritten Reich erfolgte auch bei dieser Waffe die Namensgebung
eher aus esoterisch-propagandistischen Gründen. Da der Kar 98k das Gewehr 98
nun endgültig ablöste und de facto zur neuen Standardwaffe wurde, handelte es
sich hierbei nicht mehr um einen Karabiner. Tatsächlich war die millionenfach
produzierte Mauser-Konstruktion das neue Standardgewehr. Die Bezeichnung
„Karabiner“ ist allerdings nur zutreffend, solange noch ein größeres
Standardgewehr eingeführt ist.
Der Paget-Carbine – ein Steinschloss-Karabiner der englischen Kavallerie Anfang des 19. Jahrhunderts (Foto: Royal Armouries) |
Taktisches Problem
Obwohl ein längerer Lauf Reichweiten- und Wirkungsvorteile
mit sich bringt, besteht der Krieg nicht nur aus Feuerkampf. Die meiste Zeit
verbringt der Soldat wartend oder mit einer Vielzahl anderer Tätigkeiten, die
häufig unter körperlicher Anstrengung (Marschieren, Schanzen, Sperren) oder in
beengtem Raum (Transport, Leben in der Stellung) stattfinden. In fast allen
Situationen bietet eine kompakte Langwaffe Vorteile im militärischen Alltag.
Darüber hinaus benötigt nicht jeder Soldat für die Erfüllung seiner Aufgabe ein
vollwertiges Gewehr. Trotzdem muss er nach dem Prinzip „every man a rifleman“
grundlegende infanteristische Aufträge übernehmen können. Doch der Bedarf an
kürzeren Gewehren ist nicht auf Unterstützungskräfte oder Fahrzeugbesatzungen
beschränkt: Militärische Führer wirken sich im Kampf durch schnelle
Entscheidungen aus und weniger durch die eigene Beteiligung am Feuerkampf.
Aufgaben wie die Selbstverteidigung auf kurze und kürzeste Entfernung,
Richtungsschüsse und das Eröffnen eines Feuerüberfalls können auch mit einem
Karabiner ausgeführt werden. Überall wo die Reichweite des Gewehres nicht
ausgespielt werden muss und die Umgebung enge Räume erzeugt, ist eine
kompaktere Waffe für alle Kämpfer von Vorteil. So profitiert zum Beispiel im
Ortskampf plötzlich jeder von einem kürzeren, leichter zu handhabenden Gewehr.
Auch im Dschungelkampf bewährte sich das Konzept – diese inoffiziell „Jungle Carbine“ genannte Version des britischen SMLE wurde vor allem in Südostasien eingesetzt (Foto: Great North Guns) |
Konzeptentwicklung
Ursprünglich wurden Karabiner für die Kavallerie entwickelt.
An den Waffen angebrachte Ringe ermöglichten in der Kombination mit Haken die
Befestigung am Reiter und zumindest in der Theorie auch den schnellen Schuss
vom Pferd. Wirklichen Erfolg hatten diese Gewehre aber vor allem dort, wo
meistens nicht oder mit anderen Waffen geschossen wurde: Pioniere,
Artilleristen und andere Kampfunterstützer führten ihre Handwaffen sowieso nur
zur Verteidigung auf kürzere Entfernungen mit. Hier wurden kompakte Gewehre zur
willkommenen Arbeitserleichterung. Wirkliche Feuerkraft entwickelten Karabiner
erstmals in der Form gekürzter Unterhebelrepetiergewehre. Als der moderne,
industrialisierte Krieg auf der Krim im 19. Jahrhundert seine schaurige
Premiere gab, konnten Karabiner ihre Vorteile im Grabenkampf ausspielen. Alle
Konfliktparteien setzten daraufhin im Ersten Weltkrieg Kompaktversionen ihrer
Standardgewehre ein. Die britischen Streitkräfte führten mit dem SMLE (Short
Magazine Lee Enfield) sogar bereits 1904 querschnittlich ein kürzeres Gewehr
ein, um nicht mehr zwei verschiedene Gewehrtypen nutzen zu müssen. Diesen
Schritt gingen die deutschen Streitkräfte erst gute 30 Jahre später. Die
Einführung verschiedener Langwaffen stellte auf den ersten Blick
Herausforderungen an die Ausbildung durch die Einführung einer weiteren Waffe.
Ersetzt der Karabiner jedoch bei ausgewähltem (Führungs-)Personal die zuvor
übliche Pistole, wird die wertvolle Ausbildungszeit reduziert und die
Kampfentfernung erhöht. Dabei müssen Bedienelemente und Handhabung möglichst
dem Standardgewehr entsprechen. Heutzutage ist dieser Vorteil weitestgehend
obsolet da mittlerweile vermehrt Pistolen als Zweitbewaffnung geführt werden.
Neben der Ausbildung sollten auch die Baugruppen und notwendigen Ersatzteile
eine größtmögliche Deckungsgleichheit aufweisen. So können die Auswirkungen auf
die logistische Versorgungskette und die Instandsetzung gering gehalten werden.
Moderne Karabiner in rückstoßarmen Kalibern ermöglichen dem Schützen mehr Möglichkeiten in der Schießtechnik – der Autor in der Schießposition SBU Prone (Foto: Henning Hoffmann) |
Einsatzgrundsätze
Es gab Anwendergruppen die bereits zur Zeit ihrer Entstehung
mit Karabinern ausgestattet wurden. Dazu zählen die Gebirgsjäger und die
Fallschirmjäger. Die österreichischen Gebirgstruppen wurden bereits vor dem
Ersten Weltkrieg mit dem Stutzen M95a ausgestattet – einer kürzeren Variante
des Infanteriegewehres Mannlicher 95 im Kaliber 8 x 50 Millimeter R. Die in den
1930er-Jahren entstehenden Fallschirmjägerkräfte verschiedener Nationen
benötigten ebenfalls kompakte Waffen. Für die Luftlandekräfte wurden meist die
bereits vorhandenen Maschinenpistolen (MP 40, Sten, Thompson) und einige wenige
Neuentwicklungen (M1 Carbine, FG 42) genutzt. Echte Karabiner erhielten die
meisten Fallschirmjäger erst mit der querschnittlichen Einführung der ersten
Sturmgewehrgeneration nach dem Weltkrieg (FAL, G3). Der Umstieg auf kleinere
Gewehrkaliber in der NATO ab den 1960er-Jahren und in den Warschauer
Pakt-Staaten einige Jahre darauf, ermöglichte wesentlich leichtere
Konstruktionen. Als Paradebeispiel ist hier die Ultra-Kurzversion der AK-74
(AKS-74U) für Spezialkräfte und Besatzungen von Fahrzeugen zu nennen. Die
Entwicklung von Gewehren nach dem Bullpup-Prinzip ermöglichte Waffen in
Karabinerlänge bei gleichbleibender Lauflänge – viele Staaten stiegen um. Die
in ihren Abmessungen weiter reduzierten Varianten dieser Handwaffen führten zu
einer ungeahnten Führigkeit. Auf dem zivilen Markt erfreut sich in den letzten
Jahren das „Short Barreled Rifle“ einer fragwürdigen Beliebtheit.
Auch aufgrund der zahlreichen weiteren Ausrüstungsgegenstände führen Spezialkräfte häufig Karabiner mit sich: Hier Fernspäher der Bundeswehr mit dem G36KA4 (Foto: Bundeswehr) |
Technik
Aus technischer Sicht stellt die Herstellung eines
Karabiners keine komplexe Aufgabe dar. Eine Kürzung der Gesamtabmessungen, die
fast immer durch einen kürzeren Lauf erreicht wird, ist hierbei das erste
Merkmal dieses Gewehrs. Schub- oder Klappschäfte können die Waffe im Transport
noch kompakter gestalten. Geänderte Zubehörteile können mitunter auch notwendig
sein. Die Verwendung eines zum Standardgewehr abweichenden Kalibers
disqualifiziert die Waffe hingegen als Karabiner. Dies gilt zum Beispiel für
den US-amerikanischen M1 Carbine – der ursprünglich als leichte Kompaktvariante
des M1 Garand entwickelt wurde. Zu dieser Zeit konnte jedoch keine Lösung
gefunden werden, die recht leistungsstarken Patronen im Kaliber .30-06
Springfield aus einer solchen Waffe zu verschießen. Daher wurde eigens das
Kaliber .30 Carbine eingeführt. Weiterhin muss dieses Konzept von anderen Ideen
abgegrenzt werden. Während der Karabiner auf kein Funktionsprinzip hin
definiert ist, weist eine Maschinenpistole beispielweise zumindest die
Fähigkeit zum halbautomatischen Feuer auf. Außerdem grenzt sie sich durch die
Verwendung einer anderen Kalibergruppe ab. Der Pistolenkarabiner ist
schließlich einzig und allein wortverwandt. Er stellt eine Faustfeuerwaffe dar,
die durch Zubehörteile schießtechnische Vorteile bietet und gewehrähnlich zu
handhaben ist. Der nicht mehr gebräuchliche Begriff Maschinenkarabiner ist eng
mit der Entwicklung des Sturmgewehr 44 verknüpft und bezeichnet streng genommen
eine halb- oder vollautomatische Kompaktvariante. Merke: Nicht überall, wo
Karabiner draufsteht ist auch einer drin.
Dienstwaffen des Autors - Standardgewehr G36A2 (unten) mit 48 Zentimetern Lauflänge und der Karabiner G36KA4 (oben) mit 31,8 Zentimetern |
Fazit
Vor allem in den letzten zwei Jahrzehnten haben einige
wenige Staaten damit begonnen flächendeckend die Ausstattung auf Karabiner
umzustellen. Ein prominentes Beispiel ist die Ablösung des M16 durch den M4
Carbine in der United States Army. Derzeit sind Sturmgewehre mit einer
Lauflänge zwischen 30 und 40 Zentimetern die technische Untergrenze, um Ziele
innerhalb des infanteristischen Halbkilometers bekämpfen zu können.
Infanteriegewehre mit längerem Lauf haben Leistungsreserven die möglicherweise
entscheidend sind. Wer bei Sonnenschein im Frieden mit einem M4 ein Ziel von 50
x 50 Zentimetern geradeso trifft, wird dieses Ergebnis im Gefecht mit hoher
Wahrscheinlichkeit nicht reproduzieren können. Solange reguläre
Vollmantelgeschosse verwendet werden, bleibt die Wirkung im Ziel bei diesen
Gewehren potentiell reduziert. Durch die geringere Geschossgeschwindigkeit
sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass eine wünschenswerte Fragmentation eintritt,
drastisch. Während ein G36A2 mit der aktuellen Standardpatrone diese Wirkung
bis etwa 110 Meter mit hoher Wahrscheinlichkeit bietet, kann ein kompaktes
G36KA4 die entsprechenden Werte nur bis 50 Meter Entfernung aufrechterhalten.
In vielen Fällen kann der Griff zum „cooleren Aussehen“ also fatale Folgen
haben: Der Trend zu immer kürzeren Gewehren ist deutlich zu hinterfragen. Das
grundlegende Karabiner-Konzept ist allerdings eine Erfolgsgeschichte die sich
weltweit durchgesetzt hat.
Gewehrkonzepte (1): Mk 12 Special Purpose Rifle
Gewehrkonzepte (2): Infantry Automatic Rifle
Gewehrkonzepte (3): Anti-Material-Gewehr
Gewehrkonzepte (4): Der Karabiner
Gewehrkonzepte (5): Cooper’s Scout Rifle
Gewehrkonzepte (6): Die Panzerbüchse
Gewehrkonzepte (7): Long Rifle
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