Mittwoch, 20. Mai 2015

Scharfschützenwesen: Verstelltürme an einem ZF


Der Kauf eines Zielfernrohrs unterliegt diversen Kriterien: Vergrößerung, Absehen und oft auch der Preis stehen im Vordergrund. Meist zählt die Funktion der Verstelltürme nicht zu den primären Anforderungen. Die Maßeinheit der Klicks und vor allem die Verstellrichtung sind aber relevant, können sie doch die Arbeit des Schützen erheblich vereinfachen




Die Drehrichtung der Verstelltürme ist beim Zielfernrohrkauf meist ein gering geschätztes und daher kaum beachtetes Qualitätsmerkmal. Als Kunde nimmt man es meist als gegeben hin. Bei einer durchschnittlichen Anwendung des Waffensystems kann über die Drehrichtung auch gern hinweggesehen werden. Große Bedeutung erhält sie jedoch beim praxisorientierten Gebrauch, bei dem Stresssituationen nicht ausgeschlossen werden können, schnelles Handeln aber unabdingbar bleibt.

Motorik & Alltagsroutine
Menschen; vermutlich nicht nur aus Mitteleuropa; unterliegen der Alltagswahrnehmung, dass eine Rechtsdrehung an einem Regler grundsätzlich mit einem positiven Ergebnis verknüpft ist: Das Radio wird lauter, die Temperaturregelung im Auto bringt mehr Wärme und Licht wird durch das Rechtsdrehen am Dämmerungsschalter heller.

Standardkonfiguration der Verstelltürme:
cw-Drehrichtung und 1-cm-Klickverstellung (0.1 mrad)

Standardhandhabung: Bei einer cw-Drehrichtung werden die Türme
mit der rechten Hand bedient und zur Daumenspitze hin gedreht.
Was einer Korrektur nach oben bzw. nach rechts entspricht

Standardhandhabung Seitenturm:
Rechte Hand Richtung Daumenspitze


cw (clockwise)
Eine Rechtsdrehung am Verstellturm eines Zielfernrohrs sollte ebenfalls eine positive Auswirkung haben. Lies, den Treffpunkt in eine positive Richtung verlagern. Im Koordinatensystem eines Fadenkreuzes sind die positiven Richtungen nach Oben und nach rechts. Das Gleichnis des Koordinatensystems ist bewusst gewählt. Vom Nullpunkt aus führen die Abszissenachse (x-Achse) horizontal nach rechts und die Ordinatenachse (y-Achse) vertikal nach oben jeweils in den positiven Bereich hinein. Beides ist mittels Rechtsdrehung an den Türmen zu bewerkstelligen. Man spricht in diesem Fall auch von einer „clockwise“-Verstellrichtung (cw).

ccw (counterclockwise)
Bei Optiken aus US-amerikanischer Produktion sind die Türme fast immer mit der konträr verlaufenden Verstellrichtung hinterlegt. Das bedeutet eine Rechtsdrehung verlagert den Treffpunkt nach links bzw. unten. Es entsteht eine Dissonanz bzgl. unserer Alltagswahrnehmung. Der Turm müsste in die entgegengesetzte (falsche) Richtung gedreht werden, um eine Verlagerung in den positiven Bereich des Koordinatensystems zu erreichen. Somit ist ein Denkschritt mehr erforderlich. Unter Umständen ein Denkschritt, für den in einer stressbeladenen Situation keine Kapazitäten frei sind. Diese Ausführung der Drehrichtung wird auch als counterclockwise (ccw) bezeichnet.

Typisch US-amerikanische Turmkonfiguration:
ccw-Drehrichtung. In diesem Fall allerdings keine MOA-Rastung,
sondern 0,1 mrad (1-cm-Klickverstellung)

Auch hier hilft die Analogie „Linke Hand Daumenspitze“
weiter, um eine stressresistente Handhabung abzusichern

Das Arbeiten am (rechten) Seitenturm mit der linken Hand ist motorisch
gewöhnungsbedürftig, sollte aber exakt so geübt werden


Maßeinheit der Rastung
Die Rastung der Klickverstellung kann die Arbeit für Schütze oder Beobachter ebenfalls vereinfachen. Zielfernrohre basieren entweder auf einer MOA-Rastung, auf einer metrischen (Zentimeter-) Rastung oder auf mrad. Letztere kann in Bezug auf die Anwendung mit einer Zentimeter-Rastung gleichgesetzt werden. Eine Klickverstellung in 1/4- oder 1/8-MOA Schritten erfordert für uns Europäer immer Umrechenarbeit im Kopf. Unser Alltag basiert auf einem metrischen System. Nicht auf einem System von Zoll und Yards oder Bogenminuten.
Empfehlenswert ist daher ein Zielfernrohr mit einer 1-cm-Klickverstellung auf einhundert Meter Entfernung. Die Kopfrechenarbeit ist leicht, da es sich entfernungsabhängig immer um ein Vielfaches von einem Zentimeter handelt.

Handhabung
Für das stressresistente Drehen an den Verstelltürmen gibt es einen erprobten Trick in der Handhabung, der ein Verstellen in die falsche Richtung nahezu ausschließt und darüber hinaus sogar eine ccw-Verstellrichtung praktikabel werden lässt.

Handhabungstrick Teil 1
Bei einer normalen (also einer cw-) Verstellrichtung greift der Schütze mit seiner rechten Hand den Verstellturm so, dass die Daumenspitze in Verstellrichtung zeigt. Daraus resultiert: Ein Drehen hin zur Daumenspitze ist gleich ein Verstellen des Zielfernrohrs in den positiven Bereich und bringt eine Treffpunktverlagerung nach oben bzw. nach rechts mit sich.

Handhabungstrick Teil 2
Besitzt das Zielfernrohr jedoch an beiden Türmen eine ccw-Verstellung, greift der Schütze mit seiner linken Hand den Turm so, dass die Daumenspitze in Verstellrichtung zeigt. Das Resultat ist identisch: Ein Drehen hin zur Daumenspitze bewirkt eine Treffpunktverlagerung nach oben bzw. nach rechts. Wesentlich ist in beiden Fällen lediglich das Drehen hin zur Daumenspitze.

Sonderfall: Seitenturm links
Der Hersteller Kahles bietet Zielfernrohre mit Seitenturm links an. Dieses Konstruktionsmerkmal beruht vermutlich auf der Idee, dass bei einem Rechtsschütze das Verstellen mit der Unterstützungshand erfolgen soll, die Haupthand aber am Griffstück verbleibt. Für diesen Sonderfall sollten die Türme des Zielfernrohrs zwingend eine counterclockwise (ccw) Verstellrichtung haben und mit Handhabungstrick 2 (linke Hand) bedient werden.

Kahles-Variante Seitenturm links: Diese Sondervariante sollte
grds. mit Türmen in ccw-Drehrichtung ausgestattet sein

Bei ccw-Drehrichtung bedient die linke Hand die Türme,
dreht aber dennoch „zur Daumenspitze“. Das Resultat bleibt identisch,
da es eine Korrektur nach oben bzw. nach rechts bewirkt

Dieselbe Analogie wird beim Verstellen des Höhenturms angewandt:
Zur Daumenspitze hin ist gleich eine Korrektur in den positiven Bereich


Fazit
Wird eine ZF-bestückte Waffe lediglich zum Schießen auf einer 100-m- oder 300-m-Bahn genutzt, spielen Turmdrehrichtungen und Maßeinheiten der Rastung kaum eine Rolle. Die Waffe wird entsprechend der bekannten Distanz einjustiert. Seitenwind kann vernachlässigt werden. Jeder Schuss ist mehr oder weniger gleich.
Beim Schießen in der realen Welt allerdings muss der Schütze bzw. der Beobachter auf eine Vielzahl unbekannter und veränderlicher Faktoren reagieren. Distanz, Wind, Luftdruck und Spindrift bei weiten Schüssen. Die Voraussetzungen sind immer anders. Jeder Schuss wird einzigartig. Vor jeder Schussabgabe müssen Korrekturen an Höhen- und Seitenturm vorgenommen werden. Nicht selten unter Zeitdruck, nicht selten bei widrigen Witterungsverhältnissen in Form von Regen, Kälte, Schnee und Wind. Mitunter auch unter dem Einfluss von Kampfhandlungen. Für Überlegungen, in welche Richtung der Turm gedreht werden soll, ist dann kein Spielraum mehr. Einfache motorische Abläufe, die im besten Fall unseren Alltagsroutinen nahe kommen, begünstigen das Herbeiführen einer richtigen Entscheidung.

Mehr dazu in Waffenkultur Nr. 75

 

 

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