Über die kleine Taschenpistole Radium 6,35 ist kaum Primärliteratur vorhanden. Der Hersteller Gabilondo Y Urresti jedoch brachte es zwischen den beiden Weltkriegen mit preisgünstigen Kopien der Colt M1911 unter dem Markenname Llama zu wirtschaftlichem Erfolg
Die Automatic Pistol Radium besitzt nur eine Daumensicherung |
Die Geschichte der Automatic Pistol Radium beginnt am Anfang des Zwanzigsten Jahrhunderts im spanischen Baskenland. Die Firma Gabilondo Y Urresti wurde 1904 in Eibar gegründet, trat aber erst gegen 1907 als Waffenhersteller offiziell in Erscheinung. Die frühe Produktpallette erstreckte sich auf Kopien bekannter Handfeuerwaffen meist ohne Zustimmung oder Lizenzvereinbarung mit den Patentinhabern. Gabilondo Y Urresti fertigte unter anderem Kopien des russischen Nagant Revolvers, des Colt New Service Revolvers sowie der FN Browning Modell 1903.
Radium und Ruby
Die erste Eigenentwicklung soll die Pistole Radium gewesen sein. Der Produktionszeitraum beläuft sich auf lediglich fünf Jahre zwischen 1910 und 1915. Die Radium Pistole gilt heute als der direkte Vorgänger der wesentlich bekannteren Pistole Ruby aus dem Jahr 1914. Einer Ruby Pistole wäre nach heutigen und vermutlich auch nach damaligen Standards kaum Erfolg beschieden gewesen, hätte sich historisch nicht die zwanghafte Notwendigkeit ergeben, eine ganze Armee mit Faustfeuerwaffen ausrüsten zu müssen. Mit Beginn des Ersten Weltkriegs erhielt Gabilondo Y Urresti in Eibar einen Vertrag der Französischen Armee, das gesamte französische Heer mit der Pistole auszustatten. Bei der Ruby handelte es sich um eine recht einfache Kopie der FN Browning Modell 1903. Produktionsstandards und Qualitätsmanagement bei Gabilondo Y Urresti sowie all seinen Vertragsherstellern waren so schlecht, dass selbst Magazine aus unterschiedlichen Produktions-Losen nicht für alle Ruby-Pistolen kompatibel gewesen sein sollen. Die Gesamtausbringungsmenge an Ruby-Pistolen wird auf weit über 700.000 Stück geschätzt.
Der unverriegelte Masseverschluss ist typisch für die Epoche und für Pistolen im Kaliber 6,35 |
Automatic Pistol Radium
Die kleine Radium besitzt, wie die meisten anderen Pistolen ihrer Epoche, einen unverriegelten Masseverschluss. Sie verfügt über lediglich eine Sicherung auf der linken Waffenseite, welche mit dem Daumen der Schusshand bedient wird. Der Sicherungshebel dient gleichzeitig als Schlittenfanghebel.
Durch ein Merkmal erhält die Radium jedoch ihren Alleinstellungscharakter. Sie besitzt kein austauschbares Magazin. Zum Laden der Pistole wird die linke Griffschale entriegelt und nach unten geschoben. In den frei gewordenen Laderaum werden die Patronen einzeln geladen. Diese Erfindung geht auf die beiden Konstrukteure Guillermo Echeverria und Valentin Vallejo zurück.
Von der Automatic Pistol Radium wurden nur geringe Stückzahlen gefertigt. Die überwiegende Mehrzahl im Kaliber 6,35 mm Browning (.25 ACP). Noch seltener ist die Pistole im Kaliber 7,65 mm Browning (.32 ACP) zu finden.
Das Produktionsende für die Radium Pistole kam schnell. Im Jahr 1915 wurden sämtliche Produktionskapazitäten zur Fertigung des Militärauftrags der Ruby Pistole benötigt. Die Idee der verschiebbaren Griffschale wurde im Waffenbau nie wieder aufgegriffen.
In den Laderaum passen sechs Patronen |
Kaliber 6,35 mm Browning
Die von John Moses Browning entwickelte 6,35 Millimeter gilt als eine der am weitesten verbreiteten Pistolenpatronen. Die Entwicklung begann Anfang des Zwanzigsten Jahrhunderts beim belgischen Waffenhersteller FN. Auch die Firma Colt fertigte die Patrone unter der Bezeichnung .25 ACP. Die Nominalmaße betragen 6,35 x 15,5 HR. Das Geschossgewicht beträgt 3,25 Gramm und erreicht eine Mündungsgeschwindigkeit von etwa 230 Meter pro Sekunde. Die Mündungsenergie liegt bei lediglich 86 Joule. Die kleine und leistungsschwache Patrone wurde in der ersten Hälfte des Zwanzigsten Jahrhunderts hauptsächlich aus Taschenpistolen verschossen. Aufgrund des Halbrand ist ein Verschuss aus Revolvern ebenfalls möglich. Versuche, auch Kleinmaschinenpistolen im Kaliber 6,35 mm Browning zu bauen, scheiterten an der geringen ballistischen Leistung.
Ladestandskontrolle bei einer Radium: Die Griffschale wird nach unten geschoben |
Entwicklung in den 1930er Jahren
Ruby Plus Ultra
Ein Intermezzo war das Pistolenmodell Ruby Plus Ultra, welches Ende der 1920er- bis Beginn der 1930er Jahre gefertigt wurde. Der Name entlehnt sich der Devise des Spanischen Wappens plus ultra. Bei der Ruby Plus Ultra wurden Lauf und Griffstück verlängert. Die Magazinkapazität erhöhte sich auf 22 Patronen im Kaliber 7,65 mm Browning. Das Magazin war zweireihig. Die Ruby Plus Ultra war damit eine der ersten Selbstladepistolen überhaupt mit einem Doppelreihigen Magazin.
Pistole Ruby Plus Ultra im Kaliber 7,65 mm Browning, Magazinkapazität 22 Patronen (Foto: Internet / Auktion) |
Pistole Ruby im Kaliber 7,65 mm Browning, Magazinkapazität neun Patronen (Foto: Klaus Heller) |
Llama
Es schien, als ob Pistolenkonstrukteur Gabilondo den Makel der massenhaften und mit starken Qualitätsschwankungen gefertigten Ruby Pistolen hinter sich lassen wollte. Im Jahr 1932 gründete er die Llama-Gabilondo y Cia SA ebenfalls im baskischen Eibar. Auch als Llama Firearms bekannt, sollte der Firma mit der Herstellung von Kopien des Modells Colt 1911 beachtlicher wirtschaftlicher Erfolg zufallen. Bis Mitte der 1950er Jahre wurden die Modellvarianten Llama I bis Llama VII produziert. Unter anderem auch in Kalibern, die für die Pistole Colt M1911 oder M1911A1 untypisch waren, wie bspw. 7,65 mm Browning, 7,63 mm Mauser, 9mm Largo oder 9mm Kurz. Die meisten Llama Pistolen erhielten keine Griffrückensicherung und waren kaliberabhängig auch als unverriegelte Masseverschlüsse ausgelegt.
Pistole Llama im Kaliber .22lfB (Foto: Klaus Heller) |
Pistole Llama im Kaliber 7,65 mm Browning (Foto: Klaus Heller) |
Das Ende
In den 1990er Jahren musste Llama-Gabilondo y Cia SA Insolvenz anmelden. Es erfolgte zwar ein Management-Buy-Out durch die beschäftigten Büchsenmacher, die Verkaufszahlen entwickelten sich aber nicht in einen Bereich hinein, der die Tilgung der Schulden zugelassen hätte. Das Ende von Gabilondo Y Urresti erfolgte daher nach etwa einhundert jähriger Firmengeschichte.
Technische Daten
Modell: Automatic Pistol Radium
Hersteller: Gabilondo Y Urresti, Eibar, Spanien
Produktionszeitraum: 1910 bis 1915
Waffenart: unverriegelter Masseverschluss
Kaliber: 6,35 mm Browning (.25 ACP)
L x B x H: 115 x 23 x 82 Millimeter
Lauflänge: 58 Millimeter
Gewicht: 370 Gramm
Magazinkapazität: 6 Patronen
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