Donnerstag, 17. Oktober 2024

Beschussversuch 300PRC vs. VPAM9

 

Die 300PRC gilt als eines der neuen Wunderkaliber im Long Range Schießen. Entwickelt wurde die Patrone speziell für die militärische Verwendung im Scharfschützenwesen, notabene gibt es auch Match-Laborierungen. Wir lassen die 300PRC gegen einige Beschussmedien antreten. Teils mit frappierenden Resultaten

Die VPAM9 hält das Geschoss auf. Der Wasserkanister
zerplatzt aufgrund der Traumatiefe (back face signature)
von annähernd Faustgröße


Spätestens mit dem Design der Kaliberserie der Precision Rifle Cartridge (PRC) vor etwa zehn Jahren erlebte die Longe-Range-Szene eine Zeitenwende. Erstmals wurden auf Grundlage sowohl mathematischer als auch praktischer Erfahrungen neue Projektile explizit für den Einsatz über weite Distanzen konzipiert. Diese Projektile, die sich vor allem durch höhere ballistische Koeffizienten auszeichnen, wurden mit neu entwickelten Hülsen verheiratet, die wiederum aus bewährten Mutterhülsen entstanden sind.
Das erste Kind dieser Serie war die 6.5PRC (in 2013/2018), die vornehmlich unter Wettkampfbedingungen eingesetzt wurde. Die 300PRC folgte in 2018/2019 und sollte vorwiegend zur Jagd auf 4-beinige oder 2-beinige Beute eingesetzt werden. Schnell zeigte sich die Austauschbarkeit beider Kaliber in der jeweiligen Rolle. Um Spannung aus der Debatte, welche Patrone die bessere sei, zu nehmen und Langdistanzgrabenkämpfe zu vermeiden, entschied sich Hornady zur Markteinführung einer dritten PRC-Patrone als Mittelweg: Die 7 mm PRC ist seit etwa zwei Jahren am Markt verfügbar.

Einfacher Versuchsaufbau:
VPAM9 vor einem 5-Liter-Wasserkanister


300PRC
Die Mutterhülse der 300PRC ist die .375 Ruger: Ein Kaliber, dass im Jahr 2007 ebenfalls von Hornady entwickelt wurde. Die Ursprungspatrone der .375 Ruger wiederum ist die legendäre .375 Holland & Holland Magnum.
Die Idee hinter den Neuentwicklungen jeweils war, eine neue Patrone mit höherer ballistischer Leistungsfähigkeit bei kürzerer Hülse oder weniger Patronengesamtlänge zu konstruieren. Wodurch die Patrone aus Gewehren mit kürzeren Systemen geschossen werden konnte. „Kürzere Systeme“ bedeuten weniger Verschlussmasse und kürzere Repetierwege.
Eine 300PRC hat heute knapp 66 Millimeter Hülsenlänge. Selbst Fabriklaborierungen kommen auf 5.500 bis 6.000 Joule Mündungsenergie. Ein Energiewert, für den die .375 Holland & Holland Magnum noch knapp zehn Millimeter mehr Hülsenlänge benötigte.

Idee
Die Idee des Beschussversuchs war es, die Geschosswirkung der 300PRC gegen verschiedene Zielmedien darzustellen und zu dokumentieren. Beschossen wurden die Schutzplatte „Tellus“ des Herstellers Altena Engineering mit dem sehr hohen Protection Level NIJ IV bzw. VPAM9, Baustahl der Güte S235, Hardox der Güte 400 sowie ein Baumstamm mit Durchmesser dreißig Zentimeter.

Die Back-Face-Signatur nach dem Treffer.
Etwa 35 Millimeter tief und etwa zwölf Zentimeter im
Durchmesser. Vermutlich wäre der Treffer letal gewesen


Aufbau
Der Aufbau eines Beschussversuchs sollte vor allem nachvollziehbar, dokumentierbar und damit auch reproduzierbar sein. Die Entfernung zum Ziel beträgt in diesem Fall 25 Meter. Die Zielmedien wurden jedes Mal frontal beschossen.
Der Aufbau des hier dokumentierten Beschussversuchs entspricht ausdrücklich nicht den standardisierten Vorgaben nach NIJ 0101-06 oder VPAM BSW 2006 (siehe Ende des Artikels).

Die Back-Face-Signatur aus einer anderen Perspektive


Durchführung
Waffe: Ruger Precision Rifle, Kaliber 300PRC, Lauflänge 66 Zentimeter (26“)
Munition: Hornady Fabrikmunition 300PRC mit 225 gr ELD® Match Geschoss (#82162), Mündungsenergie etwa 6.000 Joule
Versuch 1: Schutzplatte VPAM9
Versuch 2: Baustahl S235
Versuch 3: Hardox 400
Versuch 4: Baumstamm 30 Zentimeter

Ergebnisbetrachtung Versuch (1) VPAM9:
Kein Durchschuss. Die Schutzplatte „Tellus“ mit der Schutzklasse VPAM9 hielt das Projektil. Allerdings erzeugte das ELD-Geschoss rückseitig eine Traumatiefe (back face signature) von fast vier Zentimetern, die zum Zerplatzen des Wasserkanisters führte. Dieses stumpfe Trauma perforierte den Kanister sogar und riss ein Stück Kunststoff von vier mal fünf Zentimetern heraus. Vermutlich wäre dieser Treffer trotz Schutzplatte letal gewesen.

Dieses Stück Kunststoff von vier mal fünf Zentimetern
wurde durch das stumpfe Trauma der Back-Face-Signatur
aus dem Kanister gestanzt

Einschussloch Vorderseite der Tellus VPAM9


Ergebnisbetrachtung Versuch (2) S235:
Durchschuss. Der Stahlgong mit der Stahlgüte S235 stellt für das 300PRC Projektil kein Hindernis dar. Die etwa fünfzehn Millimeter Stahl werden problemlos durchdrungen.

Baustahl der Güte S235 stellt für die 300PRC kein Hindernis
dar. Einige andere und wesentlich weniger leistungsstarke
Kaliber allerdings auch nicht, wie aus der Geschichte des
Stahlgongs hervorgeht



Ergebnisbetrachtung Versuch (3) Hardox:
Kein Durchschuss. Die Stahlplatte der Güte Hardox 400 stoppt das Projektil. Das 225-gr-ELD-Geschoss fragmentiert vollständig. Die etwa vierzehn Millimeter dicke Hardox-Platte erhält keine Delle und nicht einmal einen Kratzer. Der Abdruck, den das Projektil auf der Platte hinterlassen hat, ist lediglich Bleistaub, der mit dem Daumen wieder weggewischt werden konnte.

Die Hardox-400-Platte im Versuchsaufbau

Die Hardox-400-Platte zum Zeitpunkt des Treffers

Am linken Bildrand fliegt ein Stück des Geschossmantels


Die Hardox-400-Platte nach dem Treffer ist unbeschädigt.
Der Bleiabdruck, den das Projektil auf der Platte
hinterlassen hat, lässt sich mit dem Daumen wegwischen


Ergebnisbetrachtung Versuch (4) Holz:
Durchschuss / Kein Durchschuss. Die Fähigkeit, ein dreißig Zentimeter starkes Holz zu durchdringen, hängt maßgeblich von der Eigenbewegung des Zielmediums während des Treffers ab. Hat das Zielmedium (Baumstamm) keine Möglichkeit der Eigenbewegung, wird es vom Projektil durchschlagen. Liegt eine Eigenbewegung des Zielmediums vor, erhöht sich die Energieabgabe im Ziel, was wiederum dazu führt, dass kein Austreten des Projektils stattfindet.

Taktische Würdigung
Dass Baustahl für Gewehrmunition dieser Energieklasse kein Hindernis darstellt, ist nicht verwunderlich. Die VPAM9-Schutzplatte hält das 6.000-Joule-Projektik zwar ab, verursacht aber rückseitig eine Traumatiefe, die zu schwersten inneren Verletzungen geführt hätte und daher höchstwahrscheinlich letal gewesen wäre.
Die wirklich frappierende Erkenntnis des Beschussversuchs ist die Widerstandsfähigkeit der Hardox-400-Platte. Der Hardox-Stahl trägt nicht einmal im Geringsten eine Delle oder einen Kratzer davon. Das Geschoss fragmentiert vollständig ohne dabei Wirkung auf dem Zielmedium zu hinterlassen.
Die Frage ist, ob Schutzplatten aus Hardox, u.U. mit einer höheren Güte als 400 und dafür mit geringerer Dicke als vierzehn Millimeter, nicht die absolut vorteilhaftere Schutzoption für einen Plattenträger wären.

NIJ IV bzw. VPAM9
Das National Institute of Justice (NIJ) des U.S. Department of Justice hat den sogenannten NIJ Standard-0101 geschaffen. Darin werden Aufbau, Durchführung und Auswertung von Beschussversuchen festgelegt. Die Schutzklasse NIJ IV sagt grds. aus, dass die Schutzplatte einen Schuss eines armor piercing (AP) Projektils der Kaliberklasse .30 mit einem Geschossgewicht von 10,8 Gramm und einer Geschwindigkeit von 869 Meter pro Sekunde oder weniger aufhalten muss.
Die Vereinigung der Prüfstellen für angriffshemmende Materialien und Konstruktionen (VPAM) hat mit der Prüfrichtlinie „Ballistische Schutzwesten“ ebenfalls einen Standard zu Anforderungen, Klassifizierungen und Prüfverfahren aufgelegt.
Gemäß des Testprotokolls, das die Firma Altena Engineering ihren Platten beim Kauf beilegt, erfüllt das Modell „Tellus“ den Standard NIJ IV und den Standard VPAM9.

Mehr dazu in "Die Waffenkultur" Nr. 78

 

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