Dienstag, 4. Januar 2022

Die Attentatspistole: FN Modell 1910 / 1922

 

Das FN Modell 1910 gilt als eine der ersten modernen Selbstlade- pistolen weltweit. Den hohen Bekanntheitsgrad erlangte sie unter anderem aufgrund ihrer Verstrickung in mehrere Attentate in der ersten Hälfte des Zwanzigsten Jahrhunderts. Das folgenschwerste Attentat löste den Ersten Weltkrieg aus




Das Attentat von Sarajewo am 28. Juni 1914 bei dem Erzherzog Franz Ferdinand zusammen mit seiner Gemahlin, der Herzogin Sophie von Hohenberg, von serbischen Nationalisten erschossen wurde, gilt als Ereignis von wahrhaft historischer Dimension: Gemeinhin wird das Attentat als Auslöser des Ersten Weltkriegs wahrgenommen. Die verwendete Pistole war eine FN Browning Modell 1910. Mehrere der serbischen Attentäter sollen mit diesem Pistolenmodell ausgerüstet gewesen sein. Geschossen hat nur Gavrilo Princip. Der Verbleib der Originalwaffe mit der Seriennummer 19074 ist ungeklärt. Dem Vernehmen nach wurde sie zusammen mit dem Projektil, das den Erzherzog tödlich traf, nach Ende des Zweiten Weltkriegs von US-amerikanischen Soldaten aus der Asservatenkammer der Polizei Salzburg entwendet.
Das Heeresgeschichtliche Museum (HGM) in Wien hat dem Attentat einen kompletten Raum gewidmet. Der Sarajewo-Raum wird von drei Objekten beherrscht: Dem Automobil, in dem das Thronfolger-Ehepaar ermordet wurde sowie in der Mitte vom blutigen Waffenrock des Erzherzogs und der Chaiselongue, auf der er starb. Zusätzlich finden sich Porträts und Erinnerungen an das Attentat sowie baugleiche FN 1910 im stark gealterten Zustand.

Drei FN Browning 1910 Exponate im Heeresgeschichtliche Museum (HGM)
in Wien. Ob es sich um die Originalwaffen der Sarajewo-Attentäter
handelt, ist ungewiss


Im Sarajewo-Raum des HGM sind des Weiteren zu sehen:
Der Gräf & Stift Doppelphaeton mit bulligen 30 PS, der blutige
Waffenrock des Erzherzogs und der Chaiselongue, auf der er starb


Paris 1932
Ein weiteres Attentat fand am 6. Mai 1932 in Paris statt. Der französische Staatsmann Paul Doumer wurde durch mehrere Projektile aus einer FN Browning 1910 getroffen, als er eine Buchmesse eröffnete. Trotz sofortiger notärztlicher Versorgung überlebte er die darauffolgende Nacht aufgrund eines Kopftreffers nicht. Der Attentäter war ein russischer Emigrant Namens Pawel Gorgulow.

Baton Rouge 1935
Am 8. September 1935 schließlich erschoss der US-amerikanische Arzt Carl A. Weiss den US-Politiker Huey Long in Baton Rouge, Louisiana mit einem einzigen Schuss in den Brustkorb aus einer FN 1910. Fußnote der Weltgeschichte: Die Leibwächter Longs erwiderten das Feuer und trafen Carl Weiss mit über 60 Schüssen. Daraus entspann sich der Mythos, dass auch Huey Long von einem seiner eigenen Leibwächter getroffen worden wäre. Diese Darstellung gilt heute jedoch als widerlegt.

FN Browning 1910 im gesicherten Zustand


FN 1910
Dass die FN 1910 im Zwanzigsten Jahrhundert bei mehreren Attentaten in Erscheinung trat, mag zum einen daran liegen, dass sie eine der ersten modernen Selbstladepistolen war. Gleichwohl war sie als Taschenpistole konzipiert und konnte verdeckt aber auch sehr sicher geführt werden. Außerdem erreichte sie aufgrund der hohen Produktionszahlen eine weite Verbreitung. Zwischen 1910 und 1983 sollen insgesamt über 700.000 Stück gefertigt worden sein. Die überwiegende Mehrzahl davon in der ersten Hälfte des Zwanzigsten Jahrhunderts.
Konstruktiv handelt es sich bei der FN 1910 um einen Rückstoßlader mit feststehenden Lauf und unverriegelten Masseverschluss. Die Masse des Schlittens und die Kraft der Schließfeder erlauben ein Öffnen des Systems erst, wenn das Geschoss den Lauf verlassen hat.
Das Browning Modell 1910 gilt als sehr sichere Waffe. Sie verfügt über drei Sicherungen: Einen manuellen Sicherungshebel, die in der Epoche weit verbreitete Handballensicherung sowie eine Magazinsicherung, die bei entferntem Magazin das Deaktivieren der Handballensicherung ausschließt. Der manuelle Sicherungshebel befindet sich linksseitig, kann mit dem Daumen der Schusshand manipuliert werden und dient in Zweitfunktion als Schlittenfanghebel.
Gefertigt wurde die FN 1910 in den Kalibern 7,65 mm Browning und 9mm Kurz.

Die Sicherung dient gleichzeitig als Verschlussfanghebel


FN 1910 teilzerlegt


Kaliber 7,65 mm
Die Pistolenpatrone 7,65 mm Browning (7,65 x 17 HR) entstand am Ende des 19. Jahrhunderts auf Grundlage der Revolverpatrone .32 Smith & Wesson und gilt heute als bedeutender Meilenstein im Pistolenbau. Konstrukteur war John Moses Browning, der als erster die Vorteile einer zylindrischen Hülse für Pistolenmunition erkannte. Ab 1903 wurde die Patrone auch in den USA unter der Bezeichnung .32 Automatic Colt Pistol (.32 ACP) produziert. Sie zählt zu den am weitesten verbreiteten Pistolenpatronen weltweit; auch weil besonders in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts viele Pistolenmodelle eigens für die 7,65 mm Browning entwickelt wurden. Die Hülsenlänge beträgt 17 Millimeter. Das acht Gramm schwere Geschoss erreicht durchschnittlich etwa 295 Meter pro Sekunde und damit eine Energie etwa 200 Joule.
Aus heutiger Sicht und im direkten Vergleich mit relativ modernen Pistolenpatronen, wie der .40 S&W, einer .357 SIG oder gar einer 10mm Auto, ist die ballistische Leistungsfähigkeit als gering zu bewerten. Aus damaliger Sicht und dem Einsatzzweck in Taschenpistolen oder kompakten Dienstwaffenwaffen entsprechend, war die 7,65 Browning die Königin ihrer Epoche.

Eine FN 1922: Lauf und Griffstück sind länger
als bei der kleineren FN 1910


FN 1922
Um den Absatzmarkt zu erweitern, plante die Fabrique Nationale (FN) eine Behördenausführung der bis dato sehr erfolgreichen Taschenpistole Modell 1910. Die Weiterentwicklung FN 1922 erlebte ihre Markteinführung 1922. Sie verfügte über einen längeren Lauf, ein längeres Griffstück, welches die Magazinkapazität erhöhte sowie eine markantere Visiereinrichtung. Die FN 1922 wurde zuerst im Kaliber 9 mm Kurz (9x17) produziert (acht Patronen im Magazin) und erst später in 7,65 mm Browning (neun Patronen im Magazin).
Obwohl das Griffstück der FN 1922 im Vergleich zur FN 1910 größer im Umfang ist, ist die Bedienung für normalgroße Männerhände alles andere als komfortabel. Es erfordert fast schon artistisches Geschick, den Abzug zu betätigen und dabei gleichzeitig die Handballensicherung gedrückt zu halten.
Zwischen 1922 und 1976 wurden ebenfalls mehr als 700.000 Stück gefertigt. Davon etwa 500.000 bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs.

Bei einem entnommenen Magazin ließe sich die
Handballensicherung nicht deaktivieren


FN 1922 teilzerlegt


Zerlegen
Zum Zerlegen der Waffe gibt es zwei Wege. Bei der einfachen Variante wird lediglich der Verschluss vom Griffstück abgenommen. Dazu wird der Schlitten zuerst mittels Fanghebel arretiert und der Lauf um 90 Grad im Uhrzeigersinn gedreht (immer in Schussrichtung gesehen). Der Lauf verbleibt dabei im Verschluss.
Zum feldmäßigen Teilzerlegen (mit Entnahme des Laufs) ist es jedoch erforderlich, die Führungshülse an der Laufmündung zu entfernen. Diese Führungshülse ist an der FN 1922 etwa Daumenbreit, über einen kleinen Sperrriegel gesichert und muss ebenfalls um 90 Grad im Uhrzeigersinn gedreht werden. Daraufhin wird der Lauf durch Drehen entriegelt und kann nach vorn entnommen werden.
Bei der Taschenpistole FN 1910 ist zum Entfernen der Führungshülse ein Zusatzwerkzeug in Form eines Dorns notwendig.
Beim Zusammenbau erfordert das Aufsetzen der Führungshülse jedenfalls ausreichend Fingerkraft und kann etwas hakelig werden.

Fazit
John Moses Browning (1855 bis 1926) gilt zurecht als einer der bedeutendsten Waffenkonstrukteure überhaupt. Ihm werden 128 Patente der Waffentechnik zugeschrieben. Er erkannte als erster die Vorteile, die eine zylindrische Hülse für Pistolenmunition bietet. Seit Ende des 19. Jahrhunderts konstruierte er Pistolen mit Masseverschluss; später mit verriegeltem Masseverschluss. Die Pistolenpatrone 7,65 mm Browning sowie die FN 1910 gelten als frühe Meilensteine im Waffenbau.


Technische Daten
Modell: FN Browning 1910
Hersteller: FN, Herstal, Belgien
Produktionszeitraum: 1910 bis 1983
Stückzahl: 700.000
Waffenart: unverriegelter Masseverschluss
Kaliber: 7,65 Browning, 9 mm Kurz
L x B x H: 152 x 20 x 100 mm
Lauflänge: 88 Millimeter
Gewicht: 600 Gramm
Magazinkapazität: 7 bzw. 6 Patronen

Technische Daten
Modell: FN Browning 1922
Hersteller: FN, Herstal, Belgien
Produktionszeitraum: 1922 bis 1976
Stückzahl: 700.000
Waffenart: unverriegelter Masseverschluss
Kaliber: 9 mm Kurz, 7,65 Browning
L x B x H: 178 x 29 x 117 mm
Lauflänge: 113 Millimeter
Gewicht: 680 Gramm
Magazinkapazität: 8 bzw. 9 Patronen

Mehr dazu in "Die Waffenkultur" Nr. 60


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