Freitag, 6. April 2018

Die Einsatzflinte


Flinten sind seit Jahrhunderten als ziviles Jagd-, Sport- und Verteidigungswerkzeug wohlbekannt. Die polizeiliche und militärische Verwendung liegt für viele Leser eher im Dunkeln. Waffenkultur hat die moderne Einsatzflinte betrachtet

Von Christian Väth

Von der ersten großflächigen Verbreitung von Feuerwaffen im Zuge des 14. und 15. Jahrhunderts an, waren die Armeen dieser Welt mit Langwaffen ausgestattet. Viele verschiedene Funktionsprinzipien und Fertigungsweisen wurden in zahlreichen Kriegen ab dem späten Mittelalter verwendet: Arkebusen, Tromblone, Musketen und viele andere Waffen verfügten allesamt über einen glatten Lauf ohne Felder und Züge. Bis in das 19. Jahrhundert standen sich ungezählte Infanteristen in Linien gegenüber, um auf kurze und kürzeste Entfernung aufeinander zu feuern. "Linieninfanterie" und "Linientaktik" sind Begriffe die aus der technischen Begrenzung des glatten Rohres geboren wurden. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts kam der waffentechnische Durchbruch und die massenhafte Verbreitung des Gewehres in seiner heutigen Form. Trotz der Verdrängung von Gewehren mit glattem Lauf sind Flinten vor allem für die militärische Nutzung immer wieder neu entdeckt worden.

Ursprung
Überall auf der Welt wurden Musketen immer wieder mit mehr als einem Geschoss geladen, um durch Streuung auf kurze Entfernungen eine höhere Trefferwahrscheinlichkeit zu erzielen. Besonders ausgiebig wurde diese Möglichkeit im 18. und 19. Jahrhundert in den heutigen Vereinigten Staaten von Amerika genutzt - hier waren solche Ladungen als "buck and ball" bekannt. Die Muskete wurde in Kombination mit diesem Kugel-Postenschrot-Gemisch hinsichtlich der Kampfweis und Einsatzmöglichkeiten zum Vorgänger der ersten Repetierflinten. Bereits 1887 entwickelte John Moses Browning mit dem Winchester Model 1887 eine Unterhebelrepetierflinte, doch der Urvater aller modernen Einsatzflinten und die erste relevante Vorderschaftrepetierflinte überhaupt ist das Winchester Model 1897. Die erste behördliche Anwendung fand die Waffe bereits in den 1890er Jahren bei der Aufstandsbekämpfung auf den Philippinen sowie bei diversen Grenzkonflikten mit mexikanischen Banden. Die europäischen Nationen waren hingegen vollkommen auf die Konfrontation großer Heere in der offenen Feldschlacht eingestellt. Die militärische Nutzung von Flinten war in dieser Zeit in Europa verschwindend gering bis nicht vorhanden.

Erste Vertreter der Einsatzflinte - Winchester "trench gun" aus dem ersten Weltkrieg (Foto: Winchester)


Flinten im Grabenkampf
Mit dem Eintritt der Vereinigten Staaten von Amerika in den Ersten Weltkrieg, setzte die US-Infanterie zahlreiche Flinten (Winchester M97 und M12) im Grabenkampf ein - mit großem Erfolg. Beide Modelle erwiesen sich als hoch effizient im schnellen Freikämpfen von Kampfständen und Schützengräben. Hier wurde auch eine Art "Sturmschießen" mit der Flinte angewendet: Den Abzug gedrückt haltend, wurde mit jedem Repetiervorgang direkt eine Ladung abgefeuert. Es wurde fast ausnahmslos Postenschrot ("00-buckshot") verwendet. So wurden die Modelle von Winchester auch als Grabenflinten ("trench gun") bekannt und waren eine willkommene Ergänzung in der ansonsten mit Repetierbüchsen und leichten Maschinengewehren wie dem BAR (Browning Automatic Rifle) oder der Lewis Gun bewaffneten Infanteriegruppe. Das deutsche Kaiserheer schlug hier einen anderen Weg ein und bevorzugte die Nutzung von modifizierten Pistolen (Luger 08 und Mauser C96) und Maschinenpistolen (Bergmann-MP 18), die auch als "Grabenfeger" berüchtigt waren.

Flinte der Generation drei - Benelli M4 Tactical, Basisversion der in den US-Streitkräften eingeführten M1014 JSCS (Foto: Benelli)


Dschungelkampf
Die US-Streitkräfte setzten Flinten auf allen Kriegsschauplätzen ein, besonders interessant ist jedoch deren Verwendung im Pazifikkrieg. Beim Vorgehen im Dschungelkampf wurde sehr häufig ein Flintenschütze an der Spitze eingesetzt, da keine andere Feuerwaffe auf kurze Entfernung eine vergleichbare Ersttrefferwahrscheinlichkeit bieten konnte. Außerdem zeichnete sich der grobe Funktionsmechanismus als äußerst zuverlässig unter den widrigen Bedingungen amphibischer Landungen, bei denen Sand und Salzwasser zahlreiche Störungen verursachen konnten. Allerdings zeigten sich die eingeführten Flinten längerfristig wie andere Handwaffen auch anfällig für Rost durch die enorme Luftfeuchtigkeit. Dieser Tatsache geschuldet wurden bis in die 1960er-Jahre (Einführung der Plastikkartusche) Flintenpatronen mit reinen Messinghülsen verwendet, da gewachste Papierkartuschen unter der Feuchtigkeit litten oder bei schnellen Schussfolgen durch schmelzendes Wachs zu Störungen führten. Die im Kampf gegen die Japaner gewonnen Erfahrungen ließen die Flinte bei vielen Nationen zu einer festen Größe im Dschungelkampf werden. Im Zuge der postkolonialen Konflikte wurden Flinten durch die britischen Streitkräfte in Burma und Malaysia, durch US-amerikanische Truppen im Koreakrieg und durch das französische Heer in Indochina mit großem Erfolg eingesetzt. Flächendeckende Verwendung fand das Waffensystem auch bei der US-Infanterie im Vietnamkrieg sowohl im Häuser- als auch im Dschungelkampf.

Flinte der letzten Generation - Saiga 12K mit AK-Bedienelementen und Magazinzuführung (Foto: Kalashnikov Group)


Häuserkampf
Ab den 1980er-Jahren wurde der Orts- und Häuserkampf in den Streitkräften der NATO durch die zunehmende Verstädterung der Welt als Schlachtfeld der Zukunft begriffen. Daraus resultieren zahlreiche Änderungen in der taktischen Ausbildung und der Bewaffnung von Kampftruppen. Ein zentrales Problem stellte dabei die Beschleunigung des für gewöhnlich sehr verlustreichen und zeitraubenden Kampfes von Haus zu Haus dar. Um verbarrikadierte Türen schnell und überraschend öffnen zu können wurden vermehrt Flinten mit Zinkstaubpatronen eingesetzt, allerdings musste dazu neben dem Sturmgewehr eine zweite Langwaffe mitgeführt werden. Der Hersteller Knight's Armament Company entwickelte in den 1980er-Jahren zur Lösung dieses Problems die erste Unterlaufflinte aus der Basis einer Remington 870 - den "Masterkey". Das Flintenmodul konnte mittels Montage unter dem Handschutz eines M16-Sturmgewehres angebracht werden und erhöhte das Waffengewicht um etwa 1,3 Kilogramm. Mittlerweile wird der dieses Modell mit Röhrenmagazin durch eine Variante des Herstellers C-More mit Stangenmagazin ersetzt, dem M26 MASS (Modular Accessory Shotgun System).

Die Einsatzflinte als Aufbruchwerkzeug in Verbindung mit Zinkstaubpatronen oder anderen spezialisierten Munitionssorten (Foto: Bundeswehr)


Wundballistisches Potential
Der überragende Vorteil der Flinte liegt in der Wirkung von Postenschrotpatronen auf kurze Entfernung. Die gewollte Streuung führt auch bei geringem Ausbildungsstand zu einer enormen Ersttrefferwahrscheinlichkeit. Waffe und Munition sind dabei auf eine hohe, direkte Energieabgabe bei geringer Geschossgeschwindigkeit und Durchschlagsleistung ausgelegt. Das, im Vergleich zu Pistolen- und Sturmgewehrgeschossen, wesentlich höhere Geschossgewicht führt auch bei geschützten Gegnern zu schweren Sekundärverletzungen. Ergänzt wird das Potential durch die in der polizeilichen Praxis vielfach belegte psychologische Wirkung, die eine Flinte auf einen Kontrahenten haben kann: Die martialisch anmutende Handhabung dieser Handwaffe hat schon einige Gegner zur Aufgabe bewegt.

Klassische Vertreter der Flinte Generation zwei als moderne Einsatzflinte - die Mossberg 590-Serie (hier gezeigt) sowie die Waffenfamilie Remington 870 (Foto: Mossberg)


Generationenunterschied
Flinten lassen sich grundsätzlich in vier Generationen kategorisieren. Klassische Kipplauf-Jagdflinten stellen die erste Stufe dar, Vorderschaft-Repetierflinten mit Röhrenmagazin die zweite und Halbautomaten mit Röhrenmagazin die dritte. Die letzte Generation wird durch halb- und vollautomatische Flinten mit Stangenmagazin repräsentiert. Rein funktionstechnisch besteht kein Grund eine frühere Generation der Stufe vier vorzuziehen: Sie vereint die größte Feuerkraft mit der einfachen Handhabung eines Sturmgewehrs. Allerdings sind Vorderschaft-Repetierflinten günstiger, weitgehend störungsfrei und robuster. Aus diesen Gründen hat sich dieser Typ vor allem im polizeilichen und militärischen Bereich bewährt und stellt daher den Standard dar.

Einfache Eisenvisierung (unten) oder modernere "ghost ring sights" mit Seitenschutz bilden die beste Wahl als robustes Mittel zur Zielerfassung (Foto: Mossberg)


Der Standard
Die moderne Einsatzflinte bleibt also vorerst ein Vertreter der Generation zwei im Standardkaliber 12/76. Das Waffensystem sollte dabei über eine robuste Eisenvisierung verfügen. Schnittstellen für einen Gewehrriemen sowie eine Mindestkapazität von sieben Patronen (sechs plus eins) sind Pflicht, eine Picatinny-Schiene für Rotpunktvisiere und ein Pistolengriffstück optional. Besteht die rechtliche Möglichkeit ein Waffenlicht zu nutzen, ist das Nachrüsten eines Vorderschaftes mit integrierter Lichtquelle anzuraten. Bei Röhrenmagazinen mit aufgeschraubten Endkappen (Beispiel: Magazinerweiterungen für Modelle der Remington 870-Reihe) sowie jeglichen Mündungsaufsätzen sollte als Handlungsroutine die regelmäßige Kontrolle auf festen Sitz zwingend durchgeführt werden - diese Bauteile lösen sich erfahrungsgemäß. Alternativ können die Gewinde auch mit Schraubenkleber gesichert werden (Loctite 243). Bei der Wahl der Munition muss je nach Waffenmodell individuell durch die Anwendung der Wirkungszonenmethode die richtige Postenschrot- und Flintenlaufgeschosspatrone gefunden werden.

Ausblick
Im Jahr 1995 wurde eine Ausschreibung der US-Streitkräfte veröffentlicht, die auf die Einführung einer halbautomatischen Flinte der Generation drei abzielte. Der italienische Hersteller Benelli entwickelte daraufhin die Benelli M4 Super 90, die ab 1999 als M1014 JSCS (Joint Services Combat Shotgun) eingeführt wurde. Die Waffe bewährte sich grundsätzlich, es konnte jedoch kein wesentlicher Mehrwert festgehalten werden. Deshalb befinden sich nach wie vor auch Flinten der Generation zwei in der querschnittlichen Nutzung. Trotzdem folgten auch andere Nationen wie Großbritannien und auch die Privatanwender diesem Beispiel: Die Einführung der M1014 JSCS hat weltweit zu einem erhöhten Absatz von halbautomatischen Flinten im Endkundenmarkt geführt. Regelmäßig versuchen die Hersteller, durch Innovationen Bedürfnisse zu schaffen: Im Januar 2018 präsentierten gleich zwei namhafte Flintenhersteller, Remington und Mossberg, eine Vorderschaft-Repetierflinte mit Stangenmagazin (weitere Informationen hierzu in der IWA-Berichterstattung in Waffenkultur-Ausgabe 39). Ob diese Generation "zweieinhalb" sich etablieren kann, bleibt abzuwarten.

Fazit
Egal ob edle Jagdflinte, abgenutzter Repetierer oder nagelneuer Halbautomat: Wer eine Flinte sein Eigen nennen kann, besitzt ein potentiell hocheffizientes Werkzeug. Der Schlüssel, um dieses Potential auch nutzen zu können liegt, wie immer, in der Ausbildung -  am Ende entscheiden die Fähigkeiten des Schützen und nicht das Waffenmodell. Eine moderne Einsatzflinte wie hier beschrieben ist in jedem Fall eine leistungsfähige und preiswerte Ausgangsbasis, die für alle Zwecke geeignet ist.

Der nächste Flintenkurs findet am 15.09. in Bocholt statt
http://0-500.org/page.php?al=Termine 

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