Dienstag, 7. August 2018

Die 23-Meter-Methode


…oder wie präzise kann eine AK sein? Es kursieren die wildesten Einschießkonzepte für das am weitesten verbreitete Sturmgewehr auf dem Planeten. Dabei ist es doch so einfach – Die Waffenkultur zeigt wie es geht.

Von Christian Väth

Wer als (Schieß-)Ausbilder tätig ist, hat auf täglicher Basis mit Mythen, Halbwissen und vollkommenem Blödsinn zu tun. Das ist auch in Ordnung so, denn dafür sind wir Ausbilder ja da – um Andere weiterzubringen. Trotzdem ist es mitunter erschreckend mit welcher Überzeugung Begriffe, Konzepte und vermeintliche Fakten zusammengedichtet werden. Dies ist vor allem im Umgang mit der AK-Baureihe und all ihren Nachfolgekonstruktionen zu beobachten.

Sind AK-Gewehre ungenau?
Häufig wird eine Untersuchung der United States Army aus den 1980er-Jahren angeführt, bei der die Ersttrefferwahrscheinlichkeit zwischen den Modellen AK-47, AK-74, M16A1 und M16A2 verglichen wurde. Die Ergebnisse: Bis auf 300 Meter Entfernung liegen M16 bei 100, AK-74 bei 99 und AK-47 bei 94 Prozent. Erst auf 500 Meter Entfernung zeigen sich deutliche Unterschiede: 90 (M16A2), 87 (M16A1), 81 (AK-74) und 67 Prozent (AK-47). AK-47 und M16A1 liegen also 20 Prozent auseinander. Das ist eine statistisch auffallende Größe. Wenn man weiß wie im Heimatland von Kalaschnikow die Präzision von Gewehren definiert wird, relativiert sich dieses Bild.

Erste Gruppe mit fünf Schuss (1, ein Ausreißer), zweite Gruppe mit drei Schuss (2) nach Kornverstellung. Ergebnis: Fleckschuss auf 23 Meter


Eine Frage der Sichtweise
Während im Westen beim Justieren von Waffen eine Treffergruppe nach ihrer Ausdehnung zu allen Seiten (Ist die Gruppe gut?) und der Nähe zum Haltepunkt (Liegt die Gruppe gut?) beurteilt wird, geht man im Osten anders vor. Hier wird eine Gruppe geschossen (fünf bis zehn Schuss) und bei der Trefferaufnahme die horizontale und vertikale Ausdehnung getrennt markiert. Dazu werden ein Kreis um den höchsten und den niedrigsten, sowie ein Kreis um den äußerst linken und rechten Treffer gezogen. Alle Treffer die nun außerhalb der beiden Kreise liegen werden nicht weiter betrachtet. Von den Treffern, die in den Kreisen liegen, wird nun nur die Hälfte verwendet. Mit der Ausdehnung dieser Einschläge wurde nun der Streukreisradius (CEP – Circular Error Probable) ermittelt. Dieser theoretische Wert war bei der Einführung verschiedener AK-Varianten die Grundlage für die Erfüllung von Präzisionskriterien. So erreichen AK-47-Typen üblicherweise auf 800 Meter Zielentfernung einen Streukreisradius von 50 x 35 Zentimeter – was eine Systemstreuung von etwa 0,6 Promille ergibt und ziemlich genau der Leistungsfähigkeit des momentan im Dauertest befindlichen Oberland Arms Black Label M4 nach hoher Schussbelastung entspricht. Da dies jedoch nur ein theoretischer Wert ist, ist fast jedes AR-15 in der Realität präziser als AK-47 oder AKM. Das liegt aber nicht daran, dass man im Osten grundsätzlich ungenaue Waffen fertigt, sondern die geforderte Präzision anders definiert wurde.

Ein mit zweckmäßiger Ausrüstung gefüllter Rucksack sollte der ständige Begleiter eines Gewehrschützen sein


Die vaterländische Methode
Das Einschießkonzept der Roten Armee gestaltete sich wie folgt: Der Schütze befindet sich in 100 Meter Entfernung zum Ziel und stellt seine Kimme auf die Marke „3“ (300 Meter) ein. Als Ziel dient ein schwarzes Rechteck mit den Maßen 35 x 25 Zentimeter. Die relative Breite des Korns bei einem Standardkorn entspricht exakt der Breite dieses Ziels auf dieser Entfernung. Man lässt das schwarze Rechteck aufsitzen und schießt eine Gruppe. Der mittlere Treffpunkt sollte bei 25 Zentimetern über der Unterkante des Rechtecks liegen – so wird ein 300-Meter-Fleckschuss simuliert. Notwendige Einstellungen werden mit einem entsprechenden Korndreher vorgenommen. Grundsätzlich verlagert eine volle Umdrehung des Korns bei AK-Gewehren den Treffpunkt auf 100 Meter um 20 Zentimeter. Im Zweifelsfall muss dieser Wert durch Viertel-Umdrehungen (5 Zentimeter Verlagerung) und Trefferaufnahmen überprüft werden. Das Gewehr kann nun unter Verstellung der Visiermarken auf die jeweilige Entfernung mit dem Haltepunkt Zielmitte genutzt werden.

Zu Beginn der 1990er Jahre wurde die Chance vertan, militärisches Gerät der NVA in großen Mengen zu Ausbildungszwecken in die Bundeswehr zu übernehmen - heute sind nur noch wenige Ausbilder der Bundeswehr mit fremden Waffensystemen vertraut


Die 23-Meter-Methode
Diese Methode ist sehr einfach: Um das Justieren flexibler und im Ablauf schneller zu gestalten ist es möglich AK-Gewehre, analog zur 25-Meter-Methode bei AR-15-Gewehren, auf 23 Meter einzuschießen. Justierte Waffen erzeugen bei einer Einstellung der Visierung auf Position „2“ (200 Meter) einen 23-Meter-Fleckschuss – Praktisch! Der Schütze positioniert sich demnach in einer Entfernung von 23 Metern zum Ziel und schießt eine Gruppe auf ein Punktziel (Hier kann ein normales CSAT-Ziel oder auch die Justierscheibe der 25-Meter-Methode verwendet werden). Durch Verstellungen am Korn wird ein Fleckschuss auf 23 Meter erzeugt. Es gelten alle Vorteile der 25-Meter-Methode hinsichtlich Verfügbarkeit und Auswertung im Vergleich zur 100-Meter-Methode.

Der durchgehende Visierbereich
Um nun einen durchgehenden Visierbereich zu erhalten stellt man die Visierung auf die Position unterhalb der „1“ ein - je nach Variante ist diese Position mit einem „P“, „N“, „S“ oder überhaupt nicht markiert, aber immer vorhanden. Wurde die Justierung korrekt durchgeführt erzeugt die Waffe mit dieser Einstellung einen Fleckschuss auf 18 Meter Entfernung. Der zweite Schnittpunkt der Geschossflugbahn mit der Visierlinie liegt dann munitionsabhängig zwischen 240 und 250 Metern. So wird bis zu diesem zweiten Schnittpunkt ein maximaler Hochschuss von 17,8 Zentimetern erzeugt und auf 300 Meter ein Tiefschuss von 12,7 Zentimeter. Das Ergebnis ist ein durchgehender Visierbereich (Definition: Maximale Abweichung um eine halbe Zielhöhe von 20 Zentimetern) bis auf 350 Meter Entfernung. Die Ersttrefferwahrscheinlichkeit kann mit diesem Wissen noch etwas gesteigert werden, indem man bei bis zu 250 Meter entfernten Zielen das Ziel aufsitzen lässt und anschließend einen höheren Haltepunkt wählt oder kleinere Ziele ganz verschwinden lässt.




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