Montag, 11. Februar 2019

Akademie 0/500®: Gewehrkurs


Vom „Old-School-Rifleman“ zum „Cool Guy“ und zurück. So lässt sich im Groben die Schießausbildung am Gewehr während der letzten einhundert Jahre zusammenfassen. Ein Beitrag zum überarbeiteten Gewehrkurs bei Akademie 0/500

„Performance ist, was wir zu jedem beliebigen Zeitpunkt leisten können und mit dem Material, was uns zur Verfügung steht.“, Pat McNamara ist mit seinen Ausbildungsansätzen sehr innovativ (Beachte: Referenzpunkt Kopf)

Von Arne Mühlenkamp

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erlebte die Schießausbildung am Gewehr eine Hochzeit. Selbstlade- oder Schnellfeuergewehre waren noch weitgehend unbekannt. Infanteriegewehre waren vor 100 Jahren noch relativ schwer und die rückstoßintensiven Kaliber erforderten stabile Anschlagsvarianten. Soldaten weltweit wurden nach einer ähnlichen Doktrin ausgebildet. Sie mussten in der Lage sein, mit einem Mehrladegewehr unter Verwendung von Kimme und Korn präzise Einzelschüsse anzubringen. Überliefert sind dabei Einsatzschussdistanzen von 800 Meter (Ersten und Zweiter Burenkrieg) oder 500 bis 700 Meter im Ersten Weltkrieg. Schießausbildung war auf das Detail bedacht. An dieser Doktrin änderte sich auch im Zweiten Weltkrieg kaum etwas. Das Gewehr des Infanteristen wurde als Instrument verstanden, das Kampfgeschehen auf Distanz zu halten. Wenngleich die Nachteile eines Infanteriegewehrs schon in den Grabenkämpfen des Ersten Weltkriegs offenkundig wurden.

„Jedes Abkrümmen ist eine in sich geschlossene Trainingseinheit für den Abzugsfinger.“, Larry Vickers gehört zweifelsohne zu den renommierten Ausbildern weltweit (Beachte: Referenzpunkt Kopf)


Kurzpatrone und Sturmgewehr
Erst mit der Einführung so genannter Kurzpatronen in den 1940er Jahren entstand ein völlig neuer Waffentyp: Das Sturmgewehr. Sturmgewehre veränderten in den folgenden Jahrzehnten die Schießausbildung grundlegend. Höhere Feuerkraft aufgrund schnellerer Schussfolgen bei geringerem Rückstoß ließ in der Ausbildung die aufs Detail bedachte präzise Schussabgabe in den Hintergrund treten.

Exzess und konzeptioneller Neubeginn
Den sprichwörtlichen Exzess erlebte diese Form der Schießausbildung zu Zeiten des Vietnamkriegs. In der Nach-Vietnamkriegs Ära waren US-amerikanische Soldaten querschnittlich kaum mehr in der Lage einen präzisen Schuss anzubringen. Mit der Einführung des M16 und der Patrone 5,56x45 wurden Treffer aufgrund schneller Schussfolgen sowie eines hohen Munitionsverbrauchs generiert. Aber nicht mehr durch die Anwendung einer sinnvollen Gewehrschießtechnik. Erst ein konzeptioneller Neubeginn in der militärischen Schießausbildung brachte hier in den 1980er Jahren Besserung.

Dezenter Hinweis am Eingang zum Schießstand von CSAT in Texas. Paul Howe ist nicht dafür bekannt, die Eitelkeiten seiner Teilnehmer zu streicheln


Cool Guy und Tactical Hipster
Einen weiteren Verlust an Wissen und Können erlebte die (private) Schießausbildung zu Beginn des 21. Jahrhunderts mit ihrer fortschreitenden Kommerzialisierung. Insbesondere in den USA schossen Schießschulen wie Pilze aus dem Boden. Jeder, der eines AR-15 habhaft werden konnte, gründete eine Ausbildungseinrichtung und bot seine individuelle Lehrmeinung feil. Das Ganze erfolgte natürlich möglichst „dynamisch“, „action-geladen“ und erlebnisorientiert. Der Verkaufserfolg fand nicht mehr über die Qualität der Ausbildung statt, sondern über den Coolness-Faktor des Ausbilders. Verkauft wurde keine Schießausbildung, sondern ein Lebensgefühl. Der „cool Guy with Carbine at Pistol Range“ etablierte eine Doktrin mit Übergewichtung von Distanzen innerhalb der 50 oder 80 Meter. Der „Carbine“, also ein Selbstladegewehr militärischen Ursprungs überwiegend im Kaliber 5,56x45 (.223 Rem), wird dabei fast ausschließlich als Einsatzmittel für den (in diesem Fall auch noch falsch definierten) Nahbereich verstanden.
Im Grunde begingen diese Tactical Hipster dieselben Fehler aus dem Vietnamkrieg zum wiederholten Male. Treffen war wieder einmal weniger en vogue. Schnelle Schussfolgen hingegen das Allheilmittel und ulkigen Schießpositionen das Alleinstellungsmerkmal. Marksmanship; die Lehre von Grundlagen des Gewehrschießens, wurde aus den Lehrplänen gestrichen. Die Unterweisung in den korrekten Aufbau einer stabilen Schießplattform wurde als lästig und zeitraubend empfunden.

Standardzielmedium in Größe 50x80 cm. In der Mitte eine maßstabsgerecht verkleinerte Scheibe für den Delta Drill geschossen aus 25 Meter Entfernung


The Good, the Bad and the Ugly
Ausbildungseinrichtungen bzw. Ausbilder, die sich diesem irrwitzigen Trend widersetzten, können a priori schon einmal als renommiert und empfehlenswert eingestuft werden. Dazu gehören: Paul Howe von CSAT in Texas, Larry Vickers, Pat McNamara von TMACS aber auch die Ausbilder von Project Appleseed oder James Yeager von Tactical Response in Tennessee.

Akademie 0/500®: Philosophie
Der Gewehrgrundkurs bei Akademie 0/500 läuft unter der Bezeichnung SL-Büchse 1 (SLB-1) und ist für Selbstladegewehre konzipiert. Das Konzept fußt dabei zu weiten Teilen auf der Lehrmeinung von Paul Howe, Project Appleseed und der ehemaligen Schweizer Lehreinrichtung NDS. Den Teilnehmern werden innerhalb eines Tages die Grundlagen in drei Bereichen der Waffenhandhabung vermittelt: Das Leben mit einer geladenen Waffe, die Fähigkeit, seine eigene Waffe permanent in Feuerbereitschaft zu halten sowie die präzise Schussabgabe. Was einfach klingen mag, stellt viele Teilnehmer vor eine Herausforderung. Selbstüberschätzung, Trainingsnarben und zu viele unnütze Anbauteile an der Waffe sind die häufigsten Gründe, weswegen sich Kursteilnehmer selbst im Weg stehen.



Ausbildungsziel und Methode
Das Ausbildungsziel ist bei 0/500 klar umrissen: Mit einem Gewehr und offener Visierung, stehend freihändig ein Zielmedium der Größe 50cm mal 80cm zu treffen; auf eine Entfernung bis zu fünfhundert Meter. Dieser 500-m-Schuss bietet keinen Spielraum mehr für Fehler. Das wiederum schlägt sich in der Methode der Wissensvermittlung nieder: Alles wird von Anfang an und immer richtig gemacht. Jeder Schuss wird so abgegeben, als wäre es der Schuss auf den es ankommt. Jede Schussabgabe ist eine präzise Schussabgabe. Zehn schnelle Schüsse in Folge sind zehn präzise Einzelschüsse. Jedes Betätigen des Abzugs ist eine in sich geschlossene Trainingseinheit für den Abzugsfinger. Diese Null-Toleranzpolitik gegenüber Fehlern führt zu einer enormen Steigerung der Lernkurve im Teilnehmerfeld. Nicht selten kommen Teilnehmer zu der Erkenntnis, zwei Schritte zurück machen zu müssen, um einen Schritt nach vorn tun zu können.
Bemerkenswert ist hier der konsequent modulare Aufbau der Ausbildung im Ganzen: Auf dem Grundkurs Pistole 1 wird dem Teilnehmer Fähigkeiten vermittelt, die er auf dem Gewehrkurs anwenden muss. Im Gewehrkurs wird der Teilnehmer vorbereitet, um auf dem Kursmodul ZF-Gewehr 1000 erfolgreich Schüsse über 800 Meter oder 1.000 Meter abgeben zu können. Schießtechnik ändert sich nicht; sie ist nicht entfernungsabhängig. Es gibt nur eine Schießtechnik. Und die sollte den Gewehrschützen dazu befähigen, sowohl im Nahbereich (bis 200 Meter), im absoluten Nahbereich (bis 20 Meter), als auch im mittleren und Langdistanzbereich einen präzisen Treffer anzubringen.

Schießtechnik und Fähigkeiten
Zwei schießtechnische Elemente helfen dabei, aus jedem Schützen einen besseren Schützen zu machen. 0/500 vermittelt stringent das Referenzpunktekonzept sowie das Nutzen des Natürlichen Zielpunktes (Natural Point of Aim). Darüber hinaus muss der Teilnehmer auf Grundfertigkeiten des Schießens zurückgreifen, die er im Kurs Pistole 1 erworben hat. Eine Teilnahme am Gewehrkurs ohne vorheriges Absolvieren des Pistolenkurses erscheint als nicht sinnvoll. Der Pistole 1 ist daher auch Zugangsvoraussetzung.

Einschießmethode
Zum Einjustieren der Waffen greift 0/500 auf die 25-Meter-Methode zurück. Mit dieser Methode ist es möglich, jedes Gewehr innerhalb von zehn Minuten mit maximal zehn Schuss einzuschießen und dabei jedes gewünschte Einschießkonzept umzusetzen. Die 25-Meter-Methode ist gegenüber allen anderen Varianten des Einschießens aufgrund des Zeitvorteils, des geringen Munitionsverbrauchs und der knappen notwendigen Infrastruktur als absolut vorteilhaft anzusehen.

Schützenbedingte Durchschnittsstreuung
Als Instrument zur Beurteilung der eigenen Schießfertigkeiten hat sich die schützenbedingte Durchschnittsstreuung etabliert. Diese theoretische Betrachtung basiert auf dem Strahlensatz. Im Kurs ermitteln alle Teilnehmer ihre individuellen Werte im Anschlag Stehend und Liegend freihändig. Im Liegendanschlag sollte die persönliche Streuung nicht größer sein 1‰ (10 cm auf 100 Meter). Stehend freihändig sollte der Gewehrschütze eine Streuung von 2‰ (20 cm auf 100 Meter) oder besser erzeugen können. In die Praxis übertragen bedeutet das, der Gewehrschütze wäre in der Lage das Standardziel von 50 cm x 80 cm bis zu einer Entfernung von 250 bis 300 Metern stehend freihändig zu treffen. Bzw. wäre er in der Lage, auf 50 Meter ein Biathlon-Ziel von 11,5 cm zu treffen. Im Liegendanschlag entspräche seine Streuung auf fünfhundert Meter 50 cm x 50 cm, was einen sicheren Treffer auf das Standardziel bedeuten würde (die Kenntnis der eigenen Ballistik vorausgesetzt); ebenso würden seine Schießfertigkeiten ausreichen, um das Biathlon-Liegendziel von 4,5 cm zu treffen. Gemessen am Ausbildungsziel, den 500-m-Schuss stehend auf 50x80 cm zu platzieren, ist es ein langer Weg, der viel Trainingsfleiß und auch etwas Talent erfordert.



Analogien der Zielgrößen
Gewehrschießausbildung ist ein ständiger Kompromiss, der sich nach vorhandener Infrastruktur auf den Schießständen richten muss. Standardübungen, die eigentlich für Distanzen von einhundert Meter konzipiert sind, können auf den meisten Anlagen nicht durchgeführt werden. Akademie 0/500 arbeitet hier mit maßstabsgerecht angepassten Zielmedien. Die Standardzielgröße 50 cm x 80 cm wird entsprechend verkleinert, um Schüsse über Distanzbereiche von einhundert Meter oder sogar fünfhundert Meter zu simulieren. So ist es möglich, Standardübungen, wie z.B. den „Delta-Drill“ oder „Rifleman“ oder den 500-m-Schuss sinnvoll zu üben.

Die Schießübung Rifleman gehört zum Standardprogramm in jedem 0/500-Gewehrkurs. Nur 10% aller Teilnehmer absolvieren sie fehlerfrei


Robuste Waffenhandhabung
Wie bei allen anderen 0/500-Kursangeboten auch, ist die robuste Waffenhandhabung ein zentraler Baustein der Ausbildung. Alle Manipulationen müssen auch noch bei Dunkelheit, bei Kälte, unter Zeitdruck und dem Einfluss von Angst anwendbar bleiben. Die eigene Waffe in Feuerbereitschaft zu versetzen und in Feuerbereitschaft halten, gehört zu den Manipulationen, die ein Waffenbesitzer zuerst lernt und am meisten anwendet. Das sind u.a. Lade- und Entladetätigkeiten, das Beseitigen von Störungen aller Art, bei Gewehren das Einschießen der jeweiligen Visiereinrichtung sowie das Durchführen von kleineren Reparaturen und nicht zuletzt die Überprüfung, ob sich die Waffe im Status der Feuerbereitschaft befindet (Ladezustandskontrolle). Diese Handgriffe müssen standardisiert und robust sein.
Heutzutage ist das Überprüfen der persönlichen Waffe Bestandteil der Grundlagenausbildung in fast allen Ausbildungskonzepten. Im militärischen Sprachgebrauch nennt man es Persönliche Sicherheitskontrolle (PSK). Der US-Amerikaner nennt es Pre-Combat Check (PCC). Akademie 0/500 bildet hierbei das gleiche System aus, welches auch von Paul Howe für Waffensysteme der Baureihe AR-15 vermittelt wird.

Eine Ladezustandskontrolle durchführen zu können, gehört zur Grundausbildung an jeder Waffe

Akademie 0/500 vermittelt eine Technik, die auch bei Dunkelheit noch funktioniert


Waffen und Anbauteile
In den vergangenen zwei Jahren geht der Trend eindeutig hin zum Waffensystem AR-15. Etwa 80 bis 90% aller Teilnehmer nutzen Modelle dieses Typs in verschiedenen Konfigurationen diverser Hersteller. Zu oft jedoch, so die Ausbilder Henning Hoffmann und Christian Väth, kommen die Teilnehmer mit unnötigen und manchmal auch unsinnigen Anbauteilen. Vordergriffe jedweder Ausführung bspw. sind bei 0/500 verpönt. Sie bieten nicht den geringsten Vorteil, sondern hindern den Teilnehmer ausschließlich am Erlernen einer effizienten Gewehrschießtechnik. Um die persönliche Lernkurve zu maximieren, sollen Teilnehmer mit einer einfachen, offenen Visierung aus Kimme und Korn antreten. Alle „Kimme und Korn“-Absolventen bisher empfanden den Kurstag als besonders wertvoll für die Entwicklung ihrer Schießfertigkeiten.

Zu oft kommen Teilnehmer mit unnötigen und manchmal auch unsinnigen Anbauteilen. Ein Gewehr in dieser Grundkonfiguration reicht für einen sinnvollen Gewehrkurs völlig aus


Fazit
Gewehrschießausbildung auf hohem Niveau ohne Tactical Hipster Habitus. Vermittelt wird eine kohärente Lehre; doktrinfrei und robust. Jede Schießübung besitzt einen methodischen Sinn. Dieser Gewehrgrundkurs bereitet den Teilnehmer mit Leichtigkeit auf einen Langdistanzschuss vor.

Service
Kommende Termine für SL-Büchse 1 hier: https://0-500.org/page/Termine

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