Dienstag, 21. Januar 2020

South Armagh Sniper


Vor 23 Jahren am 10. April 1997 verhaftete der britische SAS die als South Armagh Sniper bekannten Scharfschützen der Provisional IRA im nordirischen Cullyhanna. Damit endete eine siebenjährige Phase von Heckenschützen-Attentaten auf Soldaten der britischen Armee in Nordirland


Das Schild „Sniper at Work“ hat seinen Ursprung in South Armagh


Der rote Mazda 626, der am frühen Abend des 12. Februar 1997 an einer Bushaltestelle im nordirischen Bessbrook stand, war unauffällig. Selbst die halb geöffnete Kofferraumklappe erregte kein Aufsehen. Auf den umgelegten Rücksitzen lag IRA Volunteer Micheál Caraher hinter einem Barrett M90 im Kaliber .50 BMG. Im Sichtfeld des Schützen befand sich eine Straßensperre der britischen Armee keine 120 Meter weit entfernt. Als Caraher den Abzug betätigte, ruhte das Fadenkreuz des Leupold ZF auf Lance Bombardier Restorick. Das .50-Projektil durchschlug zuerst das SA80 Sturmgewehr des Soldaten und tötete ihn anschließend auf der Stelle.
Lance Bombardier Stephen Restorick war das letzte von insgesamt neun Todesopfern durch Heckenschützen der IRA in South Armagh. Verzeichnet sind insgesamt 24 Scharfschützenattacken durch die IRA in South Armagh. In 16 Fällen wurde dabei ein PKW als mobile Plattform genutzt. Neben den neun Toten gab es einen Schwerverletzten. Beim letzten bekannt gewordenen Einsatz, am 29. März 1997, wurde Constable Ronnie Galwey in der rechten Hüfte getroffen. Er überlebte nur knapp.
Begonnen hatten die Scharfschützen-Attentate im März 1990 in der Nähe von Darkley. Sowohl der erste als auch der zweite Attentatsversuch auf britische Soldaten endete jedoch mit einem Fehlschuss. Erst im insgesamt dritten Einsatz wurde der erste Soldat getötet. Der 18-jährige Privat Paul Turner wurde am 28. August 1992 in Crossmaglen erschossen, als er Kameraden seiner Patrouille sicherte, während diese einen verdächtigen LKW kontrollierten. Die Schussentfernung betrug wiederum nur etwa 120 Meter. Das Geschoss durchschlug die Schutzweste und Privat Paul Turner war sofort tot.
In den Folgemonaten bis Januar 1993 gab es mindestens fünf weitere Attentatsversuche, die ebenfalls mit Fehlschüssen endeten.

Mindestens eine Barrett M82 wurde von der IRA gegen die britischen Streitkräfte sowie gegen die Royal Ulster Constabulary (RUC) eingesetzt



Taktik der Briten
Obwohl das Verhältnis von Hit und Miss zu diesem Zeitpunkt 1:7 betrug, erkannten die Briten sehr wohl die Gefahr durch gegnerische Scharfschützen der IRA. Darüber hinaus war ihnen spätestens seit August 1992 klar, dass der Gegner über eine Waffe im verheerenden Kaliber .50 BMG verfügte. Auf britischer Seite führte das zu umfassenden Counter-Sniper Maßnahmen. Die Versorgung der Militärstützpunkte erfolgte nur noch aus der Luft mittels Hubschraubern; nicht mehr über den Landweg. Zur Hochzeit der Scharfschützenaktivitäten im Jahr 1993 befanden sich bis zu 50 Angehörige des SAS in South Armagh. Diese operierten entweder offen oder verdeckt in Undercover-Einsätzen, um die Stellungen sowie die Rückzugsorte der South Armagh Sniper zu lokalisieren.

Taktik der IRA
Bei den ersten Einsätzen waren die IRA Sniper rund 500 bis 600 Meter von ihren Zielen entfernt. Was die hohe Zahl der Fehlschüsse erklärt. Erst als die Sniper die Entfernungen zu ihren Zielen kontinuierlich auf deutlich weniger als 200 Meter verkürzten, erhöhte sich die Trefferquote. Auch in Bezug auf Infiltration und Exfiltration war die Lernkurve der IRA extrem steil.
Eine 15 Kilogramm schwere und etwa ein Meter vierzig lange Scharfschützenwaffe unbemerkt in Stellung zu bringen sowie nach dem Schuss ebenso unerkannt wieder zu verschwinden, stellte sich alsbald problembehaftet dar. Die Infiltration eines einzelnen Scharfschützen zu Fuß begleitet von einem oder zwei Nahsicherern wurde spätestens zu Beginn 1993 gründlich geändert.

Der Scharfschützentrupp
Seither bestand ein Scharfschützentrupp der South Armagh Brigade aus vier Mann. Da in den meisten Fällen ein PKW als mobile Plattform genutzt wurde, brauchte es einen Fahrer. Der Beifahrer übernahm gleichzeitig die Nahsicherung und war meistens mit einer AK bewaffnet. Der Schütze selbst lag im präparierten Rückraum des PKW und feuerte durch die halbgeöffnete Kofferraumklappe. Der vierte Mann im Trupp fuhr das so genannte Scoutfahrzeug, welches dem Sniperfahrzeug vorausfuhr, um eventuelle Straßensperren rechtzeitig aufzuklären. Im Falle einer Straßensperre wäre das Sniperfahrzeug auf eine Nebenroute ausgewichen. Auf der Nebenroute befand sich wiederum ein Scoutfahrzeug in Bereitschaft. Für gewöhnlich wussten die Bereitschaftsfahrzeugführer auf den Nebenrouten nicht um welche Art von Einsatz es sich handelte. Das konnte bspw. die Verbringung einer Autobombe sein aber auch nur eine normale Fahrt zu Schmugglerzwecken über die nahe Grenze zur Republik Irland.
Unmittelbar bei der Rückkehr wurden die Waffen wieder in einem Versteck eingelagert. Die während des Einsatzes getragene Bekleidung wurde in Säcke verpackt und zeitnah verbrannt. Zur Exfiltration wurden „saubere“ Privat-PKW genutzt, die keine forensisch nachweisbaren Spuren von Treibladungspulver oder Sprengstoff enthielten.
Diese Vorgehensweise zeigt, dass die South Armagh Sniper wesentlich mehr Augenmerk auf den An- und Abmarsch legten, als auf den präzisen Schuss über die weite Distanz. Bei lediglich zehn von insgesamt 24 dokumentierten Sniper Einsätzen wurde auch ein Treffer generiert. Nicht jeder endete tödlich.

Die IRA Sniper schossen durch eine halb geöffnete Kofferraumklappe eines Mazda 626


Die Waffen
Nachgewiesen ist die illegale Einfuhr von mindestens zwei Barrett M90 im Kaliber .50 BMG im Frühjahr 1995 aus den USA. Die Waffen wurden über einen Barrett-Händler in Texas an einen Privatmann verkauft, der sie an einen US-Amerikaner irischer Abstammung weiterveräußerte. In Einzelteile zerlegt, gelangten sie samt Munition nach Nordirland. Bestückt waren die beiden .50er-Repetiergewehre mit Zielfernrohren Vari-X III des US-Herstellers Leupold. Vermutlich in der Dimension 3,5-10x40. Eines der beiden Gewehre wurde bei der Ergreifung im April 1997 sichergestellt. Das andere dürfte demnach heute noch im Umlauf sein.
Aber schon seit den frühen 1980er-Jahren muss sich mindestens eine Barrett M82 im Arsenal der IRA befunden haben. Sowohl im Juli 1982 als auch im Mai 1983 wurden an Tatorten Patronenhülsen des Kalibers .50 BMG gefunden. Auch hier lassen sich wiederrum Spuren zur Beschaffung in den USA zurückverfolgen.

Das Ende
Das Ende der South Armagh Sniper kam im Frühjahr 1997. Die im August 1994 durch die IRA ausgerufene Waffenruhe nutzten die Briten intensiv zur nachrichtendienstlichen Auswertung aller Scharfschützenangriffe. Die Schlinge um mögliche Rückzugsorte der Sniper zog sich immer enger.
Als mit dem Dockland Bombenanschlag vom 9. Februar 1996 der Waffenstillstand durch die IRA aufkündigte wurde, nahm die South Armagh Brigade ihre Scharfschützenaktivitäten wieder auf. Der britische SAS war den Snipern so nah, wie noch nie.
Am 10. April 1997 konnten die IRA Sniper Bernard McGinn, Micheál Caraher, Seamus McArdle und Martin Mines bei der Vorbereitung eines weiteren Anschlags in einer Scheune im nordirischen Cullyhanna lokalisiert werden. Der SAS stürmte das Objekt. Entgegen der sonst herkömmlichen Vorgehensweise verzichtet der SAS auf Schusswaffeneinsatz. Die IRA Männer sollten um jeden Preis lebend und unversehrt gefasst werden.

Eine der beiden Barrett M90 (Beispielbild), die aus USA eingeschmuggelt worden waren, konnten in der Scheune in Cullyhanna sichergestellt werden. Die zweite ist vermutlich heute noch im Umlauf

Das Urteil
Die vier Angehörigen des Sniper-Trupps wurden in Folge vor Gericht gestellt. Bernard McGinn wurde am 19. März 1999 wegen 34 Straftaten zu insgesamt 490 Jahren Haft verurteilt. Aufgrund des Karfreitagsabkommens erfolgte seine Haftentlassung knapp ein Jahr darauf am 28. Juli 2000.
Micheál Caraher bekam 25 Jahre, Seamus McArdle weitere 20 Jahre zu den 25 Jahren, die er für die Dockland Bombings bereits erhalten hatte. Martin Mines ebenfalls 20 Jahre.
Die vier Verurteilten verließen das Gerichtsgebäude bei bester Laune. Wussten Sie doch, dass jeder von Ihnen unter die Amnestieregelung des Good Friday Agreement fallen würde und deswegen nicht mehr als 18 Monate in den H-Blocks des Hochsicherheitsgefängnissen Maze abzusitzen hatte.

Der Nachhall
Während Politiker wie John Major oder Billy Clinton es sich nicht nehmen ließen, die Scharfschützeneinsätze der IRA als feige Morde zu bezeichnen, kommentierten Armeeangehörige die Taktik der South Armagh Sniper grundlegend anders. Ein Major des britischen SAS bspw. sagte: „Die Taktik der Sniper war klug und die Ausführung bemerkenswert. Die Sniper suchten die direkte Konfrontation mit einer überlegenen, schwer bewaffneten Streitmacht. Es war mehr, als nur eine Mörsergranate abfeuern und sich dann verpissen. Es ging darum, ein Gewehr auf einen anderen bewaffneten Mann zu richten, der wiederum 15 ebenfalls bewaffnete Kameraden um sich hatte. Dafür braucht es Eier. Besonders bei den für Scharfschützen extrem kurzen Distanzen. Dabei seine Atmung und seinen Herzschlag zu kontrollieren, ist nicht einfach. Ich empfinde großen Respekt für die Männer. Sie waren alles andere als feige.“

Urbane Sniper Konzepte
In einem Seminar mit Vorlesungscharakter wird Akademie 0/500 die Geschichte der South Armagh Sniper sowie einige andere Sniper-Attentate thematisieren:
Termine für Urbane Sniper Konzepte hier: 

 








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