Montag, 20. Mai 2024

Lehrmeinungen (4): Der New York Reload

 

Jim Cirillo hat zwar keine eigenständige Lehrmeinung begründet, er gehört aber dennoch zu den ikonenhaften Vertretern in der historischen Entwicklung von Schießausbildung. Die Idee des sog. „New York Reload“ geht auf ihn zurück. Wir beschreiben den Mann und die Idee

Die New York Stakeout Squad hatte eine hohe Quote an
Feuergefechten. Der New York Reload geht auf diese
Einheit und den Beamten Jim Cirillo zurück



Historisch ist Jim Cirillo in einer Epoche zu verorten, in der die Ausbildung an Feuerwaffen laufen lernte und durch den Einfluss der beiden US-Amerikaner Jeff Cooper und Chuck Taylor erstmalig auf konzeptionellen Ideen fußte. Jim Cirillo selbst ist dabei ein Protagonist, der durch regelmäßiges Schießtraining vor allem aber aufgrund seines überdurchschnittlichen Talents beachtliche Fähigkeiten im Umgang mit Schusswaffen besaß, jedoch nie die Reputation als Ausbilder erreichen konnte, wie sie heute Cooper oder Taylor zugesprochen wird.



Jim Cirillo
Gleichwohl verfügte Cirillo als Angehöriger der New York Police Department Stakeout Squad über mehr praktische Erfahrung im Führen (und Überleben) von Feuergefechten, als die meisten anderen Ausbilder seiner Zeit. Die NYPD Stakeout Squad entspräche heute wohl einer „Einheit zur Bekämpfung von Schwerstkriminalität“. Schusswechsel mit Kriminellen waren an der Tagesordnung. Der New Yorker Stakeout Squad werden in den Jahren zwischen 1968 und 1973 über 250 Schusswechsel nachgesagt. Jim Cirillo soll dabei an mehr als zwanzig Schießereien beteiligt gewesen sein.

Das Modell 10 von Smith & Wesson mit 4-Zoll-Lauf war
die Standardwaffe der New Yorker Polizisten in
den 1960er und 1970er Jahren


Bewaffnung
Cirillo hatte in dieser Epoche zu nutzen, was ihm sein Dienstherr vorgab. Diese Auswahl war sehr beschränkt und resultierte in den meisten Fällen in einem Smith & Wesson Revolver Model 10 mit einem 4-Zoll-Lauf. Die vom New York Police Department dienstlich gelieferten Holster für Waffen und Reservemunition waren auch nach damaligen Standards minderwertig. Schnelle Nachladevorgänge während eines Feuergefechts waren damals schon ebenso illusorisch, wie heutzutage. Das Sinnvollste, was man tun konnte, war zur Zweitwaffe zu wechseln, nachdem der erste Revolver leergeschossen war. Mit diesem „Revolverwechsel“ war der Begriff des New York Reload geboren.
Als Back-Up Revolver diente meist der Colt Detective Special mit einem 2-Zoll-Lauf. Somit hatte der Beamte insgesamt zwölf Patronen im Kaliber .38 Special zur Verfügung.
Einige wenige Beamte sollen auch eine Walther PPK geführt haben. Als Langwaffe stand die seinerzeit im Polizeidienst weit verbreitete Ithaca 37 Repetierflinte zur Verfügung.

Als Zweitwaffe (Back-Up Revolver) diente häufig
der Colt Detective Special mit einem 2-Zoll-Lauf


Trageweisen
Entscheidet man sich für den New York Reload, ist die Trageweise der Zweitwaffe wesentlich. Immer im Kontext zur Größe der Zweitwaffe betrachtet, läuft es auf zwei bevorzugte Trageweisen hinaus: Mit einem Pocket-Holster in der Hosen- oder Jackentasche oder mit einem sog. Knöchelholster am Fußgelenk. Außerdem gäbe es noch die Option des „Cross-Draw“, wobei die Zweitwaffe zwar auch mit der Haupthand (rechts) gezogen wird, sich aber in einem Holster an der linken Körperseite befindet. Davon abgeleitet entsteht die Option, die Hauptwaffe rechts zu führen und die Zweitwaffe links zu führen, aber auch mit Links zu bedienen. Was wiederum der Idee des Ausfalls der Haupthand aufgrund Verletzung Rechnung trägt.

Einige wenige Beamte sollen auch eine Walther PPK
in den Kalibern .32 ACP bzw. .380 ACP geführt haben


Auf dem Schießstand
Im sehr praxisnahen Testaufbau des Shooting Illustrated Redakteurs Kevin Creighton werden fünf Nachladevarianten miteinander verglichen: Nachladen des Revolvers mit einem Speed Loader bzw. einem Speed Strip. Ziehen der Zweitwaffe aus einem Pocket-Holster. Ziehen der Zweitwaffe aus einem Knöchelholster bzw. Cross-Draw.
Die Zeiten sprechen für sich. Mit einem Speed Loader dauert der Nachladevorgang im Schnitt zehn Sekunden. Mit dem Speed Strip erhöht sich die Zeit auf 13 Sekunden. Ziehen vom Pocket-Holster kann in etwas mehr als vier Sekunden bewerkstelligt werden und Ziehen vom Knöchelholster in knapp unter vier Sekunden. Am schnellsten ist die Variante des Cross-Draw mit 3,2 Sekunden.

Die Repetierflinte Ithaca 37 war
im US-Polizeidienst weit verbreitet


Kritische Würdigung
Im Cross-Draw ist der Waffenwechsel genauso schnell, wie der Magazinwechsel bei einer Selbstladepistole, wo das Reservemagazin etwa an derselben Position getragen wird, wie die Back-Up Waffe. Der Gesamtbewegungsablauf beim Waffenwechsel gestaltet sich aber vermutlich weniger feinmotorisch und damit weniger übungsintensiv als bei einem Magazinwechsel.
Ziehen aus einem Pocket-Holster erfordert neben einem geeigneten Holster auch erheblichen Trainingsfleiß.
Das Führen der Zweitwaffe in einem Knöchelholster am Fußgelenk ist grundsätzlich eine der gewöhnungsbedürftigsten Methoden des Führens. Und daher für viele Anwender kaum alltagstauglich. Kann man sich dennoch mit dieser Methode anfreunden, ist die Zweitwaffe in weniger als vier Sekunden in Einsatz gebracht.

Holster, die das Führen in Hosen- oder Jackentaschen
ermöglichen (sog. Pocket-Holster), haben eine bestimmte
Formgebung. Haifisch-Flossen ähnliche Widerhaken gewährleisten
den Verbleib des Holsters in der (Hosen-)Tasche


Weitere Gründe für 2 Waffen
Die New Yorker Polizei führte zwei Kurzwaffen, um die relativ geringe Trommelkapazität von sechs Patronen zu verdoppeln. Zu geringe Magazinkapazität ist seit der Verbreitung von Pistolen mit zweireihigen Magazinen mit fünfzehn oder mehr Patronen nicht mehr der primäre Grund für die Zweitwaffe. Dennoch wird dieses Konzept auch heute noch im Bereich des Selbstschutzes angewandt. Meistens ist die Zweitwaffe dabei kleiner und damit einfacher verdeckt zu führen, sie besitzt vielleicht eine geringere Magazinkapazität und hat mitunter auch ein kleineres Kaliber.
Gründe für die Zweitwaffe können sein, um schnell auf eine Störung an der Hauptwaffe reagieren zu können oder die Bewaffnung eines weiteren Schützen in einer bewaffneten Konfrontation zu ermöglichen sowie der Verlust der Erstwaffe aus welchen Gründen auch immer.

Fazit
Der New York Reload gem. Jim Cirillo hat auch ein halbes Jahrhundert danach nichts von seiner Praxisrelevanz eingebüßt. Lediglich das zur Verfügung stehende Material hat sich signifikant verbessert. Selbstladepistolen mit einer von Haus höheren Magazinkapazität und für den Anwendungszweck maßgefertigte Holster für alle Tragevarianten, machen den New York Reload eher noch effektiver, als zu Cirillos Zeiten.

Mehr dazu in "Die Waffenkultur" Nr. 74



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