Montag, 12. Juli 2010

Vollkommenheit vs. Purismus

"Vollkommenheit entsteht nicht dann, wenn man nichts mehr hinzufügen kann, sondern, wenn man nichts mehr wegnehmen kann.“ In diesem Zitat von Antoine de Saint-Exupéry steckt sehr viel Wahrheit. Leider wird zu oft versucht, mangelnde Grundfertigkeiten im Schießen durch immer mehr Waffenanbauteile auszugleichen.


Im Sportschießen kann Waffentuning und der Anbau verschiedener Zusatzteile sinnvoll sein, da der Sportschütze in der Regel genau weiß, in welcher Wettkampfdisziplin er starten möchte. Er kennt das Reglement des Verbandes und besitzt daher die Möglichkeit, das Leistungspotential seiner Waffe auszureizen. Er kennt den Ablauf der Übung, er weiß wann diese beendet sein wird, kennt unter Umständen schon vorher die genaue Menge und Sorte an Munition, die er benötigt und weiß, unter welchen Rahmen- und Umweltbedingungen er den Wettkampf absolvieren muss.
Taktische Erfordernisse bieten jedoch nie dieses Maß an Planbarkeit. Der Schütze hat mit dem zu Recht zu kommen, was er in der Hand hat. Deshalb sollte das universell einsetzbar sein. Jede Spezifikation kann diese Universalität einschränken und zum Nachteil ausarten. In der Taktiklehre sollte nie nach dem theoretischen Optimum für eine bestimmte Situation gesucht werden, sondern nach einem praktikablen Maximum für den allgemeinen Fall.
Technisch umsetzbar wäre eine Vielzahl von Eingriffen in das serienmäßige Waffensystem. Häufig diskutiert werden in diesem Zusammenhang der Austausch von Bedienelementen und Visierung, eine Reduzierung des Abzugsgewichts, der Anbau von Zweibein, Vordergriff sowie einer Weißlichtquelle und eines Lasermoduls. Aber nicht alles, was technisch machbar wäre, ist auch taktisch vorteilhaft.


Bedienelemente

Durch den Wechsel zu größeren Bedienelementen verspricht sich der Nutzer eine bessere Erreichbarkeit und somit eine schnellere Bedienung. Fraglich ist allerdings, ob durch den meist nur minimal vorhandenen Zeitgewinn wirklich eine Steigerung des Gefechtswertes einer Waffe erreicht werden kann. Dieser geringe und selten gebrauchte Vorteil wird mit dem Nachteil erkauft, dass größere Bedienteile öfters unbeabsichtigt ausgelöst werden können oder einen zügigen Ziehvorgang durch Hängenbleiben an Holster oder Kleidung einschränken können. Im Langwaffenbereich steht beispielsweise für das AR-15 System ein vergrößerter Spannschieber (so genannter Tactical Latch) zur Verfügung, der das Durchladen merklich erleichtert. Hängt die Waffe aber im Tragegurt am Körper, kommt es erfahrungsgemäß regelmäßig vor, dass sich der Tactical Latch in der Ausrüstung verfängt und ein unabsichtliches Entriegeln des Verschlusses verursacht.



Abzugsgewicht
Eine Reduzierung des Abzugsgewichts kann für den vorgesehenen Einsatzzweck sogar kontraproduktiv sein. Die Verringerung des Abzugswiderstandes auf das Maß einer Sportwaffe ist vor dem Hintergrund der nicht mehr vorhandenen Feinmotorik während bewaffneter Konfrontationen sogar gefährlich. Unbeabsichtigte Schussabgaben können die Folge sein. Abzüge an Gebrauchswaffen sollten nie leichter auslösen als 2,5 Kilogramm. Der Pistolenhersteller Glock bietet sogar eine Variante mit wesentlich höherem Abzugswiderstand an. Der so genannte New York Trigger wurde speziell für Polizisten in den USA hergestellt, um den Wechsel von Revolver zur Selbstladepistole einfacher zu gestalten. Das Abzugsgewicht liegt hier bei etwa 4,5 Kilogramm und die Abzugscharakteristik ähnelt der eines Revolvers.

Visierung
Neben den Bedienelementen wird auch öfters die Forderung nach Austausch der Visierung erhoben. Auch hierbei sollten Lösungsvorschläge aus dem Schießsport nicht unreflektiert übernommen werden. Sportpistolen haben mitunter Visiereinrichtungen mit feinsten Verstellmöglichkeiten, um entsprechende Schießergebnisse zu erzielen. Da Präzision keine Primärforderung für Gebrauchswaffen darstellt, sind die werksmäßig angebrachten Visierungen meist ausreichend. Der Nachteil den verstellbare Mikrometervisiere aus dem Sportbereich mit sich bringen, liegt in deren komplizierten Aufbau. Meist bestehen sie aus mehreren Bauteilen mit kleinen Schrauben und Federn, die sehr schlag- und stoßempfindlich sind. Ein Totalausfall des Visiers ist somit wahrscheinlicher als bei einer einfachen Kimme der robusten Bauart.

Ein Wechsel der Visiereinrichtung kann aber dennoch sinnvoll sein. Einen sehr guten Lösungsansatz stellen so genannte XS-Sights dar. Bei diesem Visier ist das Korn sehr markant ausgeprägt und zusätzlich noch mit einem Tritium Einsatz versehen. Diese Bauweise erleichtert dem Schützen zum einen, sich beim Schießen ganz auf das Korn zu konzentrieren zum anderen ist durch die Verwendung von Tritium ein Schießen bei schlechten Sichtverhältnissen besser machbar. XS-Sights sind für alle Waffentypen universell lieferbar. Für Pistolen genau so wie für Flinten oder die Selbstladegewehre AR-15 und Kalaschnikow. Dem Anwender wird damit außerdem noch eine Möglichkeit der Standardisierung all seiner Visiereinrichtungen gegeben. Beim Zielvorgang fokussiert er das Ziel nur noch über eine Kornform an, egal welche Waffenart er verwendet. Diese Vereinfachung durch Standardisierung sollte im Gesamtsystem des taktischen Schusswaffengebrauchs nicht unterschätzt werden.



Ein Leuchtpunktzielgerät kann die Gefechtseigenschaften eines Gewehrs in bestimmten Grenzsituationen steigern. Aber es macht aus einem Schützen keinen besseren Schützen.
Optische Zielhilfen sind kein Allheilmittel gegen mangelnde Grundfertigkeiten, die eine rudimentäre Schießausbildung nicht oder nur ungenügend vermitteln konnte. Viele Gewehrschützen unterschätzen ihre natürlichen Fähigkeiten, einen präzisen Treffer über eine Entfernung von 600 Metern nur mit einer offenen Visierung anbringen zu können. Sie überschätzen gleichzeitig den Vorteil von Leuchtpunktzielgeräten im Nahdistanzbereich.

Nur weil man eine Gitarre besitzt, heißt das nicht zwangsläufig, dass man auch Gitarrespielen kann. Nur weil man die tatsächliche Gewalt über eine Schusswaffe ausübt, bedeutet das nicht gezwungenermaßen, dass man diese auch beherrscht. Leider erliegen nicht nur zu viele private Waffenbesitzer nach wie vor diesem Irrglauben, sondern auch behördliche Waffenträger bei Militär und Polizei.

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