Es ist eine Diskussion, die immer mal wieder aufkommt:
Die Vorteilhaftigkeit von Rotpunktvisieren gegenüber der herkömmlichen
mechanischen Visierung. Welche Vor- und Nachteile gibt es beim Einsatz auf der
Kurzwaffe?
Von Tobias Bold, Christian Väth und Henning Hoffmann
Zu Beginn der 1990er-Jahre hielten Leuchtpunktvisiere (LPV)
vermehrt Einzug in den dynamischen Schießsport. Wettkampfteilnehmer traten
teilweise mit Cola-Dosen-ähnlichen Visiereinrichtungen auf ihren Sportpistolen
und Revolvern an. Aber schon damals zeigte sich, dass ein LPV noch lange keine
Sieger macht.
LPV im Privatbereich
In den vergangenen zwei Jahren sind kleine LPV auf
Gebrauchspistolen im Privatbereich immer häufiger anzutreffen.
Pistolenhersteller bereiten ihre Serienmodelle mit einer Schnittstelle zur
LPV-Aufnahme vor oder liefern diese inklusive Rotpunktvisier aus.
Der private Endanwender verspricht sich von der Verwendung
eines LPV auf seiner Pistole viel. Die Realität der täglichen Schießstandpraxis
sieht jedoch anders aus. Was von Leuchtpunktvisieren geheimhin erwartet wird,
sind schnellere Treffer, höhere Präzision und das Ganze bei weniger
Ausbildungs- und Trainingsaufwand. Mitunter wird auch die (ungerechtfertigte) Hoffnung
geäußert, mit einem LPV eine Sehschwäche kompensieren zu können.
Die Realität im
Privatbereich
Die Schießkurse von Akademie 0/500 bieten aufgrund der hohen
Anzahl und der Breite des Teilnehmerfelds eine ausreichend große Basis zur
Beurteilung von Trends, wie z.B. LPV auf Kurzwaffen. Folgende nachteilige
Faktoren sind bei Teilnehmern immer wieder zu beobachten und zwar unabhängig
vom Ausbildungsstand:
Der erhoffte schnelle oder gar schnellere Aufbau eines
Visierbildes findet nicht statt. Jeder Ziehvorgang der Waffe sollte mit einem korrekten
Visierbild abgeschlossen werden. Anwender mit einem LPV benötigen jedoch signifikant
mehr Zeit, am Ende des Ziehvorgangs den Rotpunkt vors Auge zu bekommen, als
Anwender mit Kimme und Korn.
Es kommt vermehrt zu Handhabungsfehlern, insbesondere bei
der Störungsbeseitigung.
Handhabungsfehler: Der Anwender nutzt das LPV als Indexpunkt
bei Ladetätigkeiten und Störungsbeseitigung und verdeckt dabei das
Auswurffenster mit seiner Hand
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Nachteilig beim
Ziehvorgang
Mit offener Visierung ist am Ende des Ziehvorgangs sofort
erkennbar, in welche Richtung die Mündungslinie abweicht. Es kann korrigiert
werden. Teils passiert das sogar unbewusst während des Ziehvorgangs. Die
Positionierung von Kimme und Korn ist in einem viel größeren Winkelbereich einschätzbar.
Der Rotpunkt verschwindet schon bei einer Abweichung von ein paar Grad aus dem
Sichtfeld.
Beim Rotpunkt gibt es nicht das "gut genug" der
offenen Visierung. Ein LPV auf einer Kurzwaffe ist entweder perfekt
ausgerichtet oder das Visierbild ist nicht vorhanden. Dieser Mangel lässt sich
nur mit entsprechend höherem Trainingsaufwand beseitigen, der einen absolut
wiederholgenauen Ziehvorgang zum Ziel hat. Die Hoffnung auf schnellere und
präzisere Treffer bei weniger Training hat sich damit zerschlagen.
Nachteilig bei
Waffenmanipulationen
Ist ein LPV auf einer Pistole montiert, neigt der Anwender
grundsätzlich dazu, bei Waffenmanipulationen wie Durchladen oder Störungsbeseitigung,
das Patronenauswurffenster mit seiner Hand zu verdecken. Eine einfache
Ladetätigkeit führt dann zu einer Störung. Eine unmittelbare Störungsbeseitigung
führt zu einer weiteren (komplexen) Störung. Diese Handhabungsfehler ließen
sich durch gezieltes Training reduzieren, werden aber bei LPV-bestückten
Pistolen immer signifikant öfter auftreten.
LPV bei militärischen
Anwendern
Mag sein, dass die Bundeswehr keine anderen
Beschaffungsprobleme hat, als in Erwägung zu ziehen, ihre Armeepistolen mit einem
LPV auszustatten. Wie dem auch sei.
Neben dem erwiesenermaßen höheren Trainingsaufwand in Bezug
auf motorische Abläufe, wie Ziehvorgang oder In-Anschlag-Gehen, kommen im
militärischen Bereich noch die Probleme Kosten und Allwettertauglichkeit hinzu:
Allen voran natürlich die höheren Kosten. Dem Handwaffensystem
„Pistole“ kommt zwar eine gestiegene Bedeutung zu, dennoch bleibt die Kurzwaffe
für militärische Anwender nachrangig. Der Bedarf für eine Modifizierung der
Kimme und Korn Visierung ist hier wirklich nicht erkennbar.
Leuchtpunktvisiere sind weit weniger allwettertauglich, als
man ihnen gemeinhin zutraut. Mitunter führen schon Regentropfen auf dem
LPV-Fenster zur Unbenutzbarkeit, bzw. irritieren den Schützen so sehr, dass
eine präzise Schussabgabe nur mit einem entsprechend höherem Ausbildungsaufwand
bewerkstelligt werden könnte. Die Verschmutzungsgefahr, welche durch
infanteristischen Einsatz entsteht, ist ungleich höher einzuschätzen, als ein
paar Regentropfen.
Es gibt zwar Schutzkappen, welche das LPV-Fenster vor
Schmutz und Beschädigung bewahren; diese müssen vorm Schießen aber manuell entfernt
werden. Eine Verwendung im Kampfeinsatz verbietet daher der gesunde
Menschenverstand.
Aus der Tatsache heraus, dass Pistolen beim Militär die
Zweitbewaffnung darstellen, ergibt sich vermutlich immer die Konsequenz, dass
ihr Einsatz eine Notmaßnahme sein wird, z.B. weil das Hauptwaffensystem
„Sturmgewehr“ unerwartet seinen Dienst versagt. Diese Notsituationen werden
immer geprägt sein durch: Zeitdruck, ein Stresslevel, welches korrekte
motorische Abläufe stark einschränkt und relativ kurze Distanzen zum Gegner.
Also genau die Rahmenbedingungen, bei denen ein LPV seine Schwächen zeigt.
Allwettertauglich? Nach einem kurzen Regenschauer wird jede
Linse nass sein. Der erhoffte schnellere Treffer wird zu einer Frage des
intensiven Trainings
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Die Studie
Zum Thema LPV gibt es zahlreiche Studien. Eine stammt aus
dem Jahre 2011 und heißt „Comparative Pistol Project“. In diesem Projekt wurde
vergleichsweise die Effektivität von traditionellen offenen Visiereinrichtungen
(Kimme und Korn) zu Leuchtpunktvisieren (in diesem Fall das RMR von Trijicon)
auf Pistolen untersucht. Insgesamt 27 Probanden nahmen an der Studie teil. 13
von ihnen nutzten Iron Sights und 14 nutzten die Trijicon Optik. Geschossen
wurden vier unterschiedliche Parcoursähnliche Übungen. Im Resultat waren die
Teilnehmer mit einer LPV signifikant besser.
Übung 1
Die erste Schießübung bestand darin, auf eine Entfernung von
15 Yards einen Einzelschuss ohne Zeitbegrenzung anzubringen. Insgesamt mussten
von jedem Teilnehmer zehn Schuss abgegeben werden.
Übung 2
Aus einer Entfernung von 5 Yards waren aus einer Bereitschaftshaltung
(center chest retention hold) zwei Schüsse abzugeben. Das Ganze insgesamt
zehnmal.
Übung 3
Identisch zu Übung 2; allerdings aus einer Entfernung von 10
Yards.
Übung 4
Aus einer Entfernung von 10 Yards waren zwei Ziele zu
beschießen; jeweils mit einem Schuss. Die Ziele standen dabei sechs Fuß (1,83 Meter)
auseinander. Insgesamt mussten sechs Durchgänge absolviert werden.
Auswertung in der
Studie
Die Auswertung, welche in der Studie vorgenommen wurde,
zeigt folgendes Bild: Bei Übung 1, dem präzisen Einzelschuss erreichte die
Iron-Sight-Gruppe 75 Prozent der möglichen Treffer. Die LPV-Gruppe erreichte 98
Prozent an Treffern. Was in der Studie als „statistisch signifikant“ bewertet
wird. Bei allen anderen Übung, welche alle gegen die Zeit aus einer
Bereitschaftsposition heraus geschossen werden mussten, betrug der prozentuale
Unterschied zwischen den beiden Gruppen 95 zu 99 Prozent bzw. 81 zu 96 Prozent
und 83 zu 96 Prozent. Nach dem Urteil der Durchführenden waren diese
Unterschiede „statistisch nicht signifikant“.
Ergebnis
Die Studie kommt zu dem Schluss, dass die Trijicon RMR
Rotpunktoptik effektiver ist, als Kimme und Korn der offenen Visierung.
Kritische Würdigung
des Ergebnisses
Das Ergebnis der Studie lässt Spielraum für Interpretationen:
Der einzige als signifikant zu bewertende Unterschied in der Trefferleistung
ist beim präzisen Einzelschuss ohne Zeitbegrenzung zu sehen. Die Ursache könnte
hier sein, dass keinem der Teilnehmer der Umgang mit Kimme und Korn schon
jemals richtig erklärt worden ist. Somit kann nicht zwingend behauptet werden,
die LPV-Gruppe wäre besser. Sie ist nur weniger schlecht als die
Kimme-und-Korn-Gruppe. Bei dieser Gruppe wiederum offenbaren sich die
Ausbildungsmängel schonungslos. Während die LPV-Gruppe Ausbildungsmängel durch
die Verwendung besserer Ausrüstung kaschieren kann.
Leider endet die Studie an dem Punkt, wo es interessant
wird. In einem zweiten Teil hätte untersucht werden können, wie sich die
Trefferergebnisse ändern, wenn beide Probandengruppen mit dem gleichen Material
ausgestattet wären.
These a): Beide
Gruppen schießen ohne LPV
In die Praxis übertragen hieße das, es steht kein
optoelektronisches Zielhilfsmittel zur Verfügung.
Vermutlich wäre hier zu beobachten gewesen, dass die Gruppe,
welche im Teil 1 mit Iron Sights schoss im Teil 2 signifikant bessere
Ergebnisse erzielt hätte, als die Gruppe, die aus Teil 1 heraus an das Schießen
mit einem Rotpunkt Zielhilfsmittel gewöhnt war.
These b): Beide
Gruppen schießen mit LPV
Vermutlich wäre hier das Ergebnis gewesen, dass ebenfalls
die Iron-Sight-Gruppe aus Teil 1 die besseren Ergebnisse gehabt hätte, weil sie
aus Teil 1 heraus einen höheren Trainingseffekt durch das Nutzen der Offenen
Visiereinrichtung mit in den Teil 2 hätte nehmen können.
Fazit
Die Vorteile, die ein LPV auf einer Langwaffe mit sich
bringt, sind nicht eins zu eins auf eine Kurzwaffe übertragbar. Das
In-Anschlag-Gehen mit einer LPV-Pistole erlaubt keine Fehler in der Motorik,
wie sie von einer Kimme/Korn-Pistole toleriert werden. Ladetätigkeiten und
Störungsbeseitigung können zum Desaster werden, wenn der Anwender nicht auf
eine absolut korrekte Handposition achtet. Das alles erfordert vergleichsweise
mehr Ausbildungs- und Trainingsaufwand. LPV können darüber hinaus aufgrund
eines technischen Defekts jederzeit ausfallen und sind weit weniger
allwettertauglich als Kimme und Korn.
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