Freitag, 12. Januar 2024

8.000 Schuss später: SIG P320 in 9x19

 

Alle namhaften Hersteller haben eine moderne Gebrauchspistole mit Schlagbolzenschloss (sog. „striker-fired Pistol“) im Programm. SIG Sauer hat im Jahr 2014 seine P320 in den Ring geworfen. Mit beachtlichem wirtschaftlichen Erfolg. Seit nunmehr sechs Jahren befindet sich die Compact-Version der P320 im Langzeittest


Die Kaufentscheidung für eine Kurzwaffe kann durch viele Kriterien beeinflusst werden. Kaliber, Größe, Preis. Ein weniger geeignetes Kriterium ist das „Aussehen“. Im schlimmsten Fall kauft man eine Pistole rein fürs Ego oder folgt einer Empfehlung aus dem Schützenverein. Übertreibung? Nein, passiert täglich. Meistens sind diese Waffen dann groß und silbern und haben goldene Bedienelemente.

Das Griffstück besitzt keine Seriennummer. Diese
ist lediglich in der Abzugseinheit eingraviert


Ausbildungsaufwand
Sinnvoller wäre es, die Pistole nach dem zu erwartenden Ausbildungsaufwand auszusuchen. Und hier hat der Waffenbau spätestens seit der österreichischen Pistole P80 einen Quantensprung vollzogen. Mit der Serienreife des Schlagbolzenschlosses wurde vieles einfacher. Die Zahl der Bedienelemente verringerte sich. Abzugscharakteristiken wurden universal. Für den Sektor der modernen Gebrauchspistolen gelten seither alle vorherigen Abzugssysteme als veraltet. Das Single Action Prinzip ist über einhundert Jahre alt. Double Action / Single Action Pistolen sind seit annähernd einhundert Jahren im Gebrauch. Sie galten mit ihrem Prinzip der zwei Abzugsvarianten (lang & schwer und kurz & leicht) zumindest für Männer wie Jeff Cooper schon immer als „Antwort auf eine Frage, die keiner gestellt hat“. Für Anwender von DA/SA Pistolen verdoppelt sich bspw. bei der Arbeit am Abzug der Ausbildungsaufwand. Sie müssen sowohl die Charakteristik des leichten Single Action Abzugs beherrschen, als auch den Double Action Abzug, da dieser bei jedem ersten Schuss zu bewältigen ist.
Mit jedem Bedienelement und Hebelchen, über das eine Pistole nicht verfügt, verringert sich der Ausbildungsaufwand überproportional. Gleichzeitig verringert sich natürlich auch der Trainingsaufwand und darüber hinaus die Wahrscheinlichkeit einer Fehlbedienung. Schlagbolzenschlosspistolen entsprechen damit dem Konzept einer robusten Waffenhandhabung. Der Reigen an Schlagbolzenschlosspistolen mit Polymergriffstück wird seit 2014 durch die SIG Sauer P320 ergänzt.

Der Magazinauslöser ließe sich auch auf die andere
Seite stecken. Die Kimme ist robust genug für
verletzungsbedingtes, einhändiges Repetieren am Gürtel
oder anderen Ausrüstungsteilen


P320
Die P320 wurde auf Basis der Double Action Only Pistole P250 entwickelt. Die Griffstücke sind identisch. Eine Besonderheit bei der SIG P250 und somit auch der P320 ist der modulare Aufbau, der die Waffe zu einer ganzen Pistolenfamilie werden lässt.
Zum einen gibt es drei Rahmengrößen: Fullsize, Compact und Subcompact. Für jede Rahmengröße gibt es wiederum drei Griffgrößen Large, Medium sowie Small. Außer für Subcompact Pistolen; hier gibt es nur Griffstückumfang Small. Um eine perfekte Ergonomie bei maximaler Magazinkapazität zu erreichen, hat sich SIG Sauer in die Geheimwelt der Anthropologie begeben und die Hände von 20.000 Probanden ausgewertet. Das Resultat ist eine außerordentlich komfortabel zu greifende Pistole; egal ob Frauenhand, Männerhand, links- oder rechtshändig.

Durch Drehung des Zerlegehebels
wird der Abzug deaktiviert


Kein wesentliches Waffenteil
Das Griffstück ist aus Polymerkunststoff gefertigt und enthält keine Seriennummer. Er ist somit kein wesentliches Waffenteil und kann frei erworben werden. Die Seriennummer ist in der Abzugseinheit eingraviert. Genau diese Einheit wird beim Griffstücktausch gewechselt. Ein Vorgang von wenigen Sekunden.
Die P320 ermöglicht den Umbau auf Linksbetrieb. Der Magazinauslöser kann mit wenigen Handgriffen auf die andere Seite verlagert werden. Der Schlittenfanghebel ist serienmäßig beidseitig ausgeführt. Nicht jede Schießtechnik favorisiert die Bedienung eines Schlittenfanghebels. Mitunter wird seine Verwendung gar nicht ausgebildet, sofern sich alle relevanten Handhabungen aus einem Baukastensystem heraus erledigen lassen. Der Schlittenfanghebel an der P320 ist sehr dezent gehalten, was ein unbeabsichtigtes Aktivieren nahezu ausschließt. Auch in diesem, sprichwörtlich  winzigen Detail, zeigt sich, dass die Entwickler bei SIG Sauer ihre Hausaufgaben gemacht haben.

Die Abzugseinheit kann entnommen werden


Zerlegen
Das feldmäßige Zerlegen zum Reinigen erfolgt SIG Sauer typisch mit einem Zerlegehebel an der linken Griffstückseite. Wird dieser Hebel herausgezogen, kann auch die Abzugseinheit entnommen werden. Ein Zerlegen ist nur möglich, wenn sich kein Magazin in der Waffe befindet. Der Zerlegehebel deaktiviert bei seiner Drehung über eine kleine Schubstange den Abzug. Demnach ist es möglich, jede P320 zu zerlegen, ohne vorher den Abzug betätigen zu müssen. Eine Anforderung, die so in diversen behördlichen Ausschreibungen gestellt wird.
Nach dem Zusammenbau bleibt der Abzug deaktiviert. Auch das Einführen eines Magazins ist in diesem Zustand nicht möglich. Erst, wenn der Schlittenfanghebel bewusst betätigt wurde, kann wieder ein Magazin eingeführt werden und die Abzugseinheit ist wieder aktiviert.

Oben die Abzugseinheit der P250 Double Action Only (DAO).
Unten die der P320. Der Schlittenfanghebel wurde
noch einmal verkleinert


Testwaffe
Die Testwaffe ist eine P320 Compact im Kaliber 9 mm Luger, die in den letzten sechseinhalb Jahren etwa achttausend Schuss absolviert hat. Die meiste Zeit davon diente die SIG als Leihwaffe für Teilnehmer auf Schießkursen von Akademie 0/500. In diesem Zeitraum wurde nicht einmal negative Kritik zur Waffe oder dem Schussverhalten geäußert.
Die Reinigungsintervalle waren mit eintausend bis zweitausend Schuss immer sehr lang. Trotz dieses knappen Pflegeaufwands arbeitete die P320 erwartungsgemäß störungsfrei. Beim Schießen bewahrheitet sich das Herstellerversprechen einer besonders ausgereiften Handergonomie und Haptik. Das Griffstück der P320 Compact ist ein Handschmeichler, ebenso wie das Fullsize Griffstück der P250.
Die Bauart der Kimme (SIG Sauer verzichtet auf die Verwendung einer sog. Novak Kimme) erlaubt auch einhändiges Repetieren am Gürtel oder anderen Ausrüstungsteilen, sollte das die Situation bspw. aufgrund einer Verletzung an der zweiten Hand erforderlich machen.

Im Vergleich zum Fullsize Griffstück der P250 ist die
P320 Compact deutlich führiger. Die 17-Schuss Magazine
der P250 passen auch in die P320


Zubehör
Im Lieferumfang ist ein Kydex-Holster mit Paddel enthalten. Dieses Holster genügt vollumfänglich allen Anforderungen und ist für den Alltagsgebrauch bestens geeignet.
Der Zubehörmarkt für die P320 hat sich seit der Einführung als neue Dienstpistole M17 bei den US Streitkräften in 2017 erwartungsgemäß explosionsartig vergrößert.

Griffstückumfänge: Links die M Version der P320 Compact,
Fullsize Large, Fullsize Medium und Fullsize Small


Fazit
Die P320 ist ein durchdachtes Pistolenkonzept. Die Waffe liegt gut in der Hand. Sie trifft alles, was man treffen will und sie arbeitet störungsfrei. Die typische „striker-fired“ Abzugscharakteristik ist schon mit wenig Trainingsaufwand beherrschbar. Auch für einhändige Waffenmanipulationen ist die Waffe bestens gerüstet.

Striker-fired: Per Definition verfügt die P320
über kein Schlagstück. Rechts die DAO P250


Technische Daten
Modell: SIG Sauer P320 Compact
Waffenart: Selbstladepistole
Abzugssystem: Schlagbolzenschloss
Kaliber: 9 mm Luger
L x B x H: 183 x 135 x 36 mm
Lauflänge: 99 mm
Visierlinie: 147 mm
Abzugsgewicht: 2.500 g
Gewicht, inkl. Magazin: 750 g
Magazinkapazität: 15 Schuss


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