Freitag, 25. Januar 2019

Bleiexposition (2): Primärliteratur


Von Dr. med. Simon Langer

Methodik
Mehrere Primärarbeiten als auch bereits bestehende Reviews der gesammelten Werke wurden analysiert und auf wissenschaftliche Korrektheit geprüft. In der medizinischen Forschung werden Thesen angenommen, wenn mehrere, methodisch korrekte Arbeiten unabhängig voneinander zu gleichen oder ähnlichen Ergebnissen kommen. Im Folgenden werden solche Erkenntnisse unter Angabe der Quellen vorgestellt.

Ergebnisse
Die wichtigste pathophysiologische Erkenntnis liegt darin, dass zwischen Bleigehalt in der Raumluft, der Aufenthaltsdauer in einem kontaminierten Bereich und dem Blutbleispiegel ein direkt proportionaler Zusammenhand besteht [1-6]. Auf Deutsch: Die Bleibelastung für den Schützen ist umso höher, je höher der Bleigehalt in der Luft des Schießstandes und je länger die Aufenthaltsdauer in selbigen. „aerogen lead“ nennt der Amerikaner diese lungengängigen Bleiverunreinigungen, welche leider effektiv vom Körper aufgenommen werden [3]. Bereits 1989 wurden in den USA erhöhte Bleispiegel im Blut von Rekruten des FBIs festgestellt, nachdem diese über Wochen hinweg mehrstündige Trainingseinheiten auf dem Schießstand absolvierten [1]. Der Bleiwert im Blut ist ein valider Parameter zur Identifikation von Bleiexposition und ein prädiktiver Wert für mögliche gesundheitsschädliche Folgen [7].
Es konnten mehrere Wege der Freisetzung von Blei in die Raumluft identifiziert werden. Zudem zeigten sich in mehreren Untersuchungen wirksame Methoden, diese Freisetzung entweder zu minimieren oder aber die Inkorporation des Bleis zu verhindern.

Empfehlungen

Raumluftanlage
Unbestritten ist, dass für geschlossene Schießanlagen eine hochwertige Raumluftanlage unabdingbar ist. Hierdurch lässt sich die Bleibelastung für den Schützen reduzieren bis annullieren [1-6, 8]. Die Richtlinien für Schießstände des Innenministeriums in Deutschland dürfen als ausreichend betrachtet werden [8]. Deren Umsetzung obliegt jedoch jeweils dem Standbetreiber. Neben der reinen Einrichtung einer solchen Anlage ist auch deren regelmäßige und sachgerechte Wartung für einen wirksamen Expositionsschutz notwendig [2, 9]. Für Stände, welche zum Bewegungs- und Verteidigungsschießen zugelassen sind, ist ein höheres Umwälzvolumen der Raumluftanlage vorgeschrieben [8]. Hierauf kann bei Auswahl des Standes zum regelmäßigen Training geachtet werden.
Damit die Raumluftanlage effektiv arbeiten kann, ist es unerlässlich, das alle Türen und ggf. Fenster des Schießstandes geschlossen sind! Ansonsten kommt es zu Luftverwirbelungen, die im schlimmsten Fall das freigesetzte Blei sogar in Richtung Schützen transportieren [2, 6].

Schadstoffreduzierte Munition
Alle Quellen, welche schadstoffreduzierte Munition untersuchten, konnten unabhängig voneinander eine Reduktion der Raumluftbelastung nachweisen [1-6]. Es existieren keine gegenteiligen Studien. Der Nutzen solcher Munition ist somit bewiesen. Als besonders effektiv hat sich der Einsatz schadstofffreier Zündhütchen gezeigt [3].

Schießstandreinigung
Eine ausgeprägte Belastung durch Blei entsteht auch bei Reinigungsarbeiten am Schießstand [2, 9]. Diese ist logischerweise besonders hoch beim Reinigen von Kugelfängen und Geschossblenden; jedoch entsteht auch eine messbare Belastung beim einfachen Zusammenfegen von Patronenhülsen. Hierbei werden mitunter auch Stäube aufgewirbelt, die Produkt von zahlreichen vorherigen Schützen sind. Die Bleibelastung in der Luft kann somit weit über die Grenzwerte ansteigen. Als wirksame Methoden zur Verhinderung des Aufwirbelns belasteter Stäube haben sich Staubsauger mit HEPA-Filter oder banales feuchtes Wischen etabliert [2, 8, 9]. Eine weitere Möglichkeit ist die Verwendung von FFP2-Masken, welche zwar nicht das Aufwirbeln, wohl aber die Inhalation effektiv verhindern [2, 5].

Vermeiden einer Kontaktexposition
Ein weiterer, bisher selten beachteter Expositionsweg ist die „Mitnahme“ von abgelagertem Blei am Körper. Besonders beim Schießen in liegender Position können größere Mengen an Blei an die Kleidung gebunden werden [2, 3]. Untersuchungen zeigten dadurch sogar in der Wohnung von Schützen erhöhte Bleiwerte in der Raumluft und eine Exposition auch bei Familienmitgliedern. Das Nutzen einer Schießmatte wird daher dringend empfohlen. Zudem sollte jeder Schütze nach dem Schießstandbesuch die Klamotten wechseln und sich einer Dusche unterziehen [2, 3].

Zusammenfassung
Wer nur 1-2 Mal pro Jahr einen Schießstand besucht, darf die Bleibelastung vermutlich vernachlässigen. Der Waffenbesitzer 2.0 aber, welcher regelmäßig seine Fertigkeiten trainiert und verbessert, sollte den Eigenschutz keinesfalls vernachlässigen. Während auf die technische Ausrüstung des Schießstandes und deren Wartung in den meisten Fällen vermutlich kein Einfluss genommen werden kann, kann jeder Schütze durch Auswahl der verwendeten Munition, Schutzmaßnahmen bei der persönlichen Endreinigung sowie Hygienemaßnahmen sein Expositionsrisiko minimieren. Wer sich beruflich oder als Schießstandaufsicht regelmäßig für längere Zeit auf Schießständen aufhält, kann sich seinen persönlichen Bleispiegel im Blut als Parameter für stattgehabte Kontamination messen lassen.

Literatur

1. Valway, S.E., et al., Lead absorption in indoor firing range users. Am J Public Health, 1989. 79(8): p. 1029-32

2. National Institute for occupational Safety and Health, Preventing Occupational Exposures to Lead and Noise at Indoor Firing Ranges. Departement of Health and Human Services Journal, 2009. 2009–136

3. Laidlaw, M.A., et al., Lead exposure at firing ranges-a review. Environ Health, 2017. 16(1): p. 34

4. Gulson, B.L., J.M. Palmer, and A. Bryce, Changes in blood lead of a recreational shooter. Sci Total Environ, 2002. 293(1-3): p. 143-50

5. Mühle, P., Untersuchung der Bleiaufnahme bei kurzzeitigen Aufenthalten in Schießständen LMU München, 2010

6. National Academy of Siences, Potential Health Risks to DOD Firing-Range Personnel from Recurrent Lead Exposure. 2013

7. Liu, K.S., et al., Neurotoxicity and biomarkers of lead exposure: a review. Chin Med Sci J, 2013. 28(3): p. 178-88

8. Bundesministerium des Inneren, Schießstandrichtlinien. Bundesanzeiger, 2012

9. Scott, E.E., N. Pavelchak, and R. DePersis, Impact of housekeeping on lead exposure in indoor law enforcement shooting ranges. J Occup Environ Hyg, 2012. 9(3): p. D45-51



Unangenehme Wahrheiten

von Henning Hoffmann

Manchmal lässt es sich nicht vermeiden, unangenehme Wahrheiten auszusprechen. Die Reaktionen auf unseren Beitrag zur Bleiexposition bei Schützen hätten kontroverser nicht sein können. Es besteht offensichtlich viel Informationsbedarf


Im Groben lassen sich die Wortmeldungen zum Bleikontaminationsartikel in Ausgabe 40 in zwei Kategorien einteilen: Die Klugen und die Ignoranten. Die Sichtweise der Ignoranten ist geprägt durch Falschinformation und einer Indoktrination, wonach jeder der „bleifrei“ im Sinne von schadstofffreier Munition fordert in die Ecke grüner Ideologen geschoben wird, die dem Waidmann seine Traditionsjagd madig machen wollen.
Bei den Klugen führte der Artikel zu einem Nachdenken und auch zu einem Umdenken, was eigene Verhaltensweisen angeht. Die Blutbleiwerte, die uns von Lesern mitgeteilt wurden, liegen zwischen 150 und 300 µg pro Liter. Also um gut das Doppelte bis Dreifache erhöht. Spätestens bei 300 µg besteht ein Gesundheitsrisiko und damit Handlungsbedarf. Dieser Handlungsbedarf kann bspw. sein, im Verein die Verwendung von schadstofffreier Munition anzustoßen oder einfach das eifrige und beflissene Zusammenfegen von Patronenhülsen zu unterlassen.
Wer jetzt hoffnungsvoll sein Munitionskontingent auf schadstofffrei umgestellt hat, aber dennoch an einer Schießveranstaltung teilnimmt, bei der der Veranstalter weiterhin zulässt, dass jeder jeden Dreck schießen darf, dem nützt sein Nontox-Bestreben überhaupt nichts. Er atmet weiterhin den Bleidampf aller anderen Teilnehmer ein, wie eine Beispielrechnung zeigt.

Rechenbeispiel
Das Zündelement (ZE) einer Patrone im Kaliber 9 mm Luger enthält eine Nettoexplosivmasse von 25 Milligramm. Eine durchschnittliche Bleikonzentration darin von 20% ist bei Billigmunition nicht unüblich. Insbesondere sind das die Verbindungen Bleidioxid und Bleistyphnat. Bleistyphnat gilt dabei als zuverlässiger Initialsprengstoff im ZE. Bei einem Schießkurs mit zehn Teilnehmern und einem Munitionsverbrauch von etwa 300 Schuss pro Schütze und Tag, ließe sich folgendes Rechenbeispiel zu Grunde legen: 25 mg x 20% x 300 Schuss x 10 TN = eine Emission von 15 Gramm Bleidampf pro Tag in einer Raumschießanlage. Typischerweise findet diese Emission unmittelbar beim Schütze statt. Zuzüglich der Bleidampfemission, die durch nicht verkapselte Geschosse (offener Geschossboden) erzeugt wird. Was grob geschätzt vielleicht noch einmal 5 Gramm Bleidampf entstehen lässt. Je nach Wertigkeit der Schießstandlüftung werden von den insgesamt 20 Gramm Bleidampf etwa 50% abgesaugt. Das bedeutet, die verbleibenden zehn Gramm Bleidampf teilen sich die zehn Teilnehmer durch Inhalation.
In diese Rechnung ist die Bleistaubbelastung noch nicht mit eingeflossen, die entweder grundsätzlich in Raumschießanlagen vorhanden ist oder aufgrund eines Lamellenkugelfangs durch zerplatzende Geschosse entsteht.
Das Zündelement einer Gewehrpatrone im Kaliber .30 (.308 Win oder 7,62x39) hat eine Nettoexplosivmasse von 40 Milligramm. Die Bleidampfbelastung durch Bleistyphnat unmittelbar beim Schütze erhöht sich um den Faktor von etwa 1,5.

Die ersten Kurse
Akademie 0/500 hat seit der Umstellung auf schadstofffreie Munition bisher mehr als zwölf Kurstage in Raumschießanlagen absolviert. Der Unterschied ist frappierend. Beim Schießen findet kaum eine Rauchentwicklung statt. Die Ablagerungen auf dem Schießstandboden durch unverbranntes Treibladungspulver und sonstigen Staub am Ende des Kurstages sind deutlich geringer und eigentlich kaum erwähnenswert. Die Patronenhülsen der Sintox®- oder Nontox-Munition sind innen fast spiegelblank. Kurzum: Teilnehmer auf unseren Kursen sehen die Forderung nach schadstofffreier Munition mittlerweile als eine besondere Form der Fürsorge. Und dafür nehme ich die Verbalattacken der Ignoranten gern in Kauf.

Militärmunition
Sowohl die AD60 der Bundeswehr als auch die AA59 (Weichkern) und AA61 (Doppelkern) werden von RUAG und MEN mit verkapseltem Geschoss und schadstoffarmen Anzündelementen ohne Bleianteil gefertigt. Laut MEN standen diese Eigenschaften sogar bei der Ausschreibung in den 1990er Jahren auf der Forderungsliste der Bundeswehr, um dem Arbeitsschutz in Raumschießanlagen gerecht zu werden.
Die GP90 der Schweizer Armee hat ein Geschoss mit Heckabdeckung und ein schadstoffarmes Zündelement mit stark reduziertem Bleianteil. Das trifft im zivilen Bereich ebenfalls auf die .223 Rem von GECO mit dem 62 gr Geschoss zu.

Eine Zusammenfassung der Artikelreihe zu Bleiexposition (1) bis (4) kann hier herunter geladen werden: https://0-500.org/page.php?al=sonstige-Informationen

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