Samstag, 4. März 2023

Die Prunkvolle: Selbstladepistole Simson D. R. P. (6,35 mm)

 

„Die Selbstladepistole Simson ist ein weiteres Glied in der Kette hervorragender Präzisionserzeugnisse der Firma Simson & Co., Waffen-, Automobil- und Fahrradfabriken in Suhl.“, so der Einleitungstext der originalen Gebrauchsanweisung aus dem Jahr 1927. Dieser Beitrag beleuchtet Waffe aber auch die ereignisreiche Firmengeschichte

Simson Mod. 1927: Die zweite Variante der Simson hatte
acht Griffrillen am Verschluss. Die Oberfläche des
Sicherungshebels besitzt ein Checkering (Gitternetzstruktur)


Die Simson & Co. Waffenfabriken aus dem thüringischen Suhl durchliefen zwischen 1856 und 1993 mit den Epochen des Deutschen Kaiserreichs, der Weimarer Republik, des Nationalsozialismus und Zweiten Weltkrieg, über die Sowjetische Besatzungszeit hinein in die DDR bis hin zur Restitution und Treuhandabwicklung eine wahrhaft wechselvolle Firmengeschichte.
Auch völlig unabhängig vom hier vorgestellten Pistolenmodell, ist ein Befassen mit der epochalen Unternehmensgeschichte der Simsons ein erkenntnisreiches Unterfangen. Mit jedem politischen Systemwechsel entwickelte sich das Unternehmen fort, strukturierte sich neu und traf Arrangements mit den Herrschenden. Letztlich überlebte Simson nur das Wirken der Treuhandmanager nicht.

Auch nach einhundert Jahren ist die Beschriftung noch
perfekt zu erkennen. D. R. P. steht für Deutsches Reichspatent


Kaiserreich
Die Simson-Werke wurden 1856 von den Brüdern Loeb und Moses Simson gegründet. 1862 firmierten sie als Bajonett- und Ladestockfabrik. Einhergehend mit der Reichsgründung 1871 und der Einführung des Mausergewehrs M1871 (Gewehr 71) erlebte die Suhler Waffenindustrie ihren ersten Aufschwung. In Zusammenarbeit mit dem Mechaniker und Handwaffenspezialist Karl Luck wurde die Simson & Co. Lieferant für das Kaiserliche Heer. Die Simsons waren die ersten Unternehmer im Deutschen Reich, die moderne kapitalistische Produktionsstandards nach US-amerikanischen Vorbild einführten. Die Zeit zwischen 1890 und dem Ende des Ersten Weltkriegs wird daher auch gern als „Fordismus im Thüringer Wald“ bezeichnet.

Feldmäßiges Zerlegen einer Simson Pistole ist unproblematisch.
Beachtenswert: Die Ausziehkralle ist oberhalb, auf zwölf Uhr, angebracht


Weimarer Republik
Die Demilitarisierung Deutschlands ab dem Jahr 1918 bedeutete für alle Waffenfabriken im Reich tiefe wirtschaftliche Einschnitte. Einige Traditionsunternehmen überlebten diesen Umbruch nicht. Für die Simson & Co. markierte das Jahr 1925 einen Wendepunkt mit weitreichenden Konsequenzen. Das Unternehmen erhielt einen Mantelvertrag, der das reichsweite Monopol zur Herstellung leichter Maschinengewehre beinhaltete. In Folge wurde das Unternehmen alleiniger Ausrüster der Reichswehr mit Handfeuerwaffen. Aufgrund dieser starken wirtschaftlichen Position überstand Simson & Co. die Weltwirtschaftskrise ab 1929 gut. Neid und Missgunst waren aber die Folge. Verschiedene Konkurrenzunternehmen des Suhler Waffenbaus fanden in der erstarkenden NSDAP einen willfährigen Verbündeten, um gegen die Simson Werke wegen angeblicher ungerechter Verteilung staatlich subventionierter Aufträge vorzugehen.

Bedienungsanleitungen wurden vor einhundert
Jahren noch mit viel Liebe zum Detail erstellt


Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg
Schon gegen Ende der Weimarer Republik geriet die Familie Simson als Inhaber einer „jüdischen Waffenfabrik“ in den Fokus der thüringischen NSDAP. In einem mehrjährigen Gerichtsprozess wurde versucht eine Straftat zu konstruieren, um die Geschäftsführer der Simson & Co. als Wirtschaftskriminelle zu überführen. Federführend dabei war der thüringische Gauleiter Fritz Sauckel, dem es 1936 schließlich gelang, mit dem entschädigungslos enteigneten Geschäfts- und Privatvermögen der Familie Simson die Wilhelm-Gustloff-Stiftung ins Leben zu rufen. Aus der wiederum die Berlin-Suhler Waffen- und Fahrzeugwerke (BSW) entstanden und später die Gustloff-Werke als einer der größten Rüstungsbetriebe des Deutschen Reichs. Die Umbenennung der Suhler Betriebsstätte in „BSW“ wurde von ehemaligen Mitarbeitern auch als „Bis-Simson-Wiederkommt“ umgedeutet.

Das Deckblatt stellt keineswegs einen nordamerikanischen „Cowboy“ dar.
Es wird gemutmaßt, dass es sich um einen deutschen Schäfer handelt,
der zur erklärten Käuferschicht der kleinen Taschenpistole zählte


Sowjetische Besatzungszeit
Das Simson Werk in Suhl überstand den Zweiten Weltkrieg unbeschadet. Ab 1946 wurde das Werk in die „Sowjetische Aktiengesellschaft“ eingegliedert und wurde somit sowjetisches Eigentum. Die Produktion erstreckte sich auf Fahrräder, Motorräder und einige Jagdwaffen für die Besatzungstruppen.

Simson Mod. 1922: Die erste Variante der Simson hatte
zwölf Griffrillen am Verschluss. Die Oberfläche des
Sicherungshebels ist konzentrisch


DDR und Planwirtschaft
Schon im Jahr 1952 erfolgte eine Rückübereignung des Betriebsvermögens an die DDR. Der VEB Simson wurde zum alleinigen Hersteller der Kleinkrafträder „Simson“. Ab 1969 erfolgte im VEB Fahrzeug- und Jagdwaffenwerk Suhl (VEB FaJaS) auch wieder eine Waffenproduktion.

Die Simson Pistole ist ohne Werkzeug komplett zerlegbar. Der
Haltehebel (Bauteil 22) wird dazu nach vorn gedrückt. Der Verschluss
kann daraufhin ebenfalls noch vorn abgenommen werden


Restitution und Treuhandabwicklung
Seit 1990 firmierte der VEB FaJaS unter Jagd- und Sportwaffen Suhl GmbH (JuS) weiter. Die Nachkommen der Familie Simson bewarben sich bei der Treuhandanstalt um den Erwerb der JuS GmbH, um nach sechzig Jahren die betriebliche Tätigkeit in Thüringen wieder aufzunehmen. Die Treuhandmanager jedoch veräußerten den Betrieb an niederländisch-französische Investoren, die aber weder etwas sanierten noch etwas neu aufbauten, sondern ihr Kapital wieder abzogen. Die JuS GmbH wurde abgewickelt. Wie bei so vielen Trauhandgeschäften zu Beginn der 1990er Jahre liegt die Frage nahe, wer ein Interesse daran gehabt haben könnte, einen künftigen Konkurrenten aus dem Weg zu räumen.



Die Waffe
Das Funktionsprinzip der 6,35-mm-Browning Simson ist charakteristisch für alle Taschenpistolen ihrer Epoche. Sie besitzt einen unverriegelten Masseverschluss sowie das typische Schlagbolzenschloss. Das 6-Schuss-Magazin entriegelt über eine Arretierung am Boden des Griffstückes. Zählt man das Magazin nicht mit, besteht die Simson aus gerade einmal dreißig Einzelteilen und ist ohne Werkzeug zu zerlegen. Außenliegende Bedienelemente gibt es keine; außer der manuellen Sicherung.

Die beschriebene Simson vorm Vergolden. Offensichtlich war
die Waffe ab Werk mit einem exklusiven Goldfinish versehen


Besonderheit: Sicherung
Der Hersteller weist hier auf eine Besonderheit hin. Im Gegensatz zu den meisten anderen Taschenpistolen mit 90-Grad-Sicherungen, muss der Sicherungshebel der Simson um volle 180 Grad gedreht werden, um die Waffe zu sichern oder zu entsichern. Ein versehentliches Entsichern beim Tragen in der Tasche, wäre somit ausgeschlossen.
Außerdem wirkt sich das Drehen der Sicherung direkt auf die Abzugsstange aus, welche in horizontaler Richtung verschoben wird. Im gesicherten Zustand ist die Abzugsstange somit vom Abzug getrennt. Es gibt in der Position „Gesichert“ also keine direkte Verbindung zwischen Abzug und Schlagbolzen mehr.

Auch an Lauf und Verschluss gibt es Spuren
der originalen Oberflächenveredlung


Zwei Varianten
Die Pistole Simson sollte die einzige Pistole der Suhler Simson Werke bleiben. Allerdings gibt es zwei Ausführungen, die als Mod. 1922 und Mod. 1927 bekannt sind. Die abgebildete goldene Simson ist Mod. 1927. Erkennbar ist diese zweite Variante vor allem an den Griffrillen am Verschluss (sog. Serrations). Beim Mod. 1927 sind das acht. Auch Ausführungen mit sieben Griffrillen sind beim Mod. 1927 bekannt. In der ersten Ausführungen sind es zwölf Serrations.
Die Oberfläche des Sicherungshebels ist verschieden gearbeitet. Bei der ersten Ausführung ist die Struktur konzentrisch. Beim Mod. 1927 besitzt die Sicherung eine Gitternetzstruktur.
Ein weiteres auffälliges Unterscheidungsmerkmal ist die Form des Griffstücks. Während der Rahmen der ersten Variante noch eine ovale Formgebung besitzt, ist Variante zwei gerade.

Vorserienmodell einer Simson Pistole Mod. 1922 mit Holzgriffschalen.
Die Waffe hat die Seriennummer 102 (Foto: Ed Buffaloe)


Nummernkreise
Die Seriennummer wurde bei Simson Pistolen untypischerweise an der Frontseite des Griffstücks eingestanzt sowie linksseitig am Lauf auf Höhe des Patronenlagers. Die Besonderheit hierbei ist, dass bei fünfstelligen Seriennummern lediglich die letzten vier Ziffern am Lauf gepunzt wurden.
Die niedrigste dokumentierte S/N ist die 102. Vermutlich handelt es sich dabei um einen Prototyp oder Vorserienmodell. Die Holzgriffschalen sind hier nicht geschraubt. Der Klemmmechanismus erinnert an den, der Ortgies Pistolen aus dem Jahr 1916.
Der Nummernkreis der ersten Variante mit Produktionszeitraum 1922 bis 1926 endet etwa bei S/N 2226. Was einen relativ geringen Produktionsausstoß vermuten lässt.
Die kleinste S/N von Variante 2 ist derzeit mit 2271 dokumentiert und stammt aus dem Jahr 1926 oder 1927. Die höchste S/N ist 34645 mit unbekanntem Produktionsjahr.
Seriennummern im Zehntausender Bereich sind nicht dokumentiert. Die derzeit bekannten Simson Pistolen weisen eine Lücke zwischen den S/N 4935 und 20379 auf, für die es bisher keine Erklärung gibt.

Die Holzgriffschalen sind bei der Vorserienfertigung nicht
geschraubt. Der Klemmmechanismus erinnert an die Ortgies Pistolen
(Foto: Ed Buffaloe)


Zerlegen der Simson

Das feldmäßige Zerlegen ist denkbar einfach. Nach Entfernen des Magazins wird der Zerlegehebel im vorderen Bereich des Abzugsbügels (in der Originalbeschreibung als „Haltehebel“ Bauteil Nr. 22 bezeichnet) durch den linken Daumen eingedrückt, während der rechte Daumen den Verschluss nach vorn schiebt und damit vom Griffstück trennt. Den rechten Daumen sichernd an das hintere Ende des Verschlusses / Schlittens zu legen, ist bei allen Taschenpistolen dieser Epoche eine gute Idee. Mitunter lässt sich so der Verlust der Schlagbolzeneinheit oder Teilen davon vermeiden.
Ist der Verschluss abgenommen, können Schlagbolzen (14) und Schlagfeder (15) entfernt werden.
Zum Entnehmen des Laufs muss der Schließfederbolzen (7) ungefähr einen Zentimeter zurückgezogen werden.

„Zweifelhafte Neuerungen“
Die Gebrauchsanweisung stellt auch heraus, dass die Konstruktion der Simson „klar und übersichtlich“ ist; sie „vermeide unnütze Spielereien und Experimente zweifelhafter Neuerungen“. Ruft man sich das Produktionsjahr 1927 in Erinnerung, kann schnell gemutmaßt werden, auf welche zweifelhaften Neuerungen im Pistolenbau die Simson & Co. Waffenwerke hier abstellen: Die Firma Walther aus dem benachbarten Zella-Mehlis erhielt 1927 den Gebrauchsmusterschutz für ihre neue „Selbstladepistole mit Revolverspannschloss mit Spannabzug“. Die ab 1929 unter der Bezeichnung Walther PP weltweite Bekanntheit erlangen sollte und alle anderen Pistolenhersteller in Zugzwang brachte. Die Firmen J. P. Sauer & Sohn (Suhl) und die Mauser Werke AG (Oberndorf) reagierten mit Neuentwicklungen vergleichbarer, möglichst besserer Abzugssysteme.



Weltwirtschaftskrise
Die abgebildete Simson Taschenpistole erhielt zwar im Jahr 2016 eine Neuvergoldung, es gilt dennoch als sicher, dass die Waffe im Original schon vergoldet war. Anhand der Seriennummer 29766 dürfte das Produktionsjahr zwischen 1929 und 1933 zu verorten sein. In diesen Jahren herrschte auch in Deutschland Weltwirtschaftskrise einhergehend mit Hyperinflation, Existenz- und Hungersnot. Die Käuferschicht für eine derartige elegante, prunkhafte Waffe dürfte damals einige hundert Personen nicht überstiegen haben.

Neuvergoldung 2016
Bei der Anschaffung im Jahr 2016 war die ursprüngliche Vergoldung sehr abgenutzt. Die Simson wies aber weder Rost- noch Gerbsäurelöcher auf und alle Beschuss- und Waffenzeichen waren noch sehr tief eingeschlagen. Die neue Vergoldung wurde im Galvanik-Verfahren aufgebracht. Dazu wurde die Waffe komplett zerlegt und der Lauf mit Fett gefüllt. Das Ergebnis kann sich sehen lassen und macht die Simson für jede Taschenpistolensammlung zu etwas Besonderem.

Literaturempfehlung
Simson: Vom unwahrscheinlichen Überleben eines Unternehmens 1856-1993
von Ulrike Schulz

Literaturempfehlung



Technische Daten
Modell: Selbstladepistole Simson D. R. P.
Hersteller: Waffenfabriken Simson & Co., Suhl
Produktionszeitraum: 1922 bis 1936?
Waffenart: unverriegelter Masseverschluss
Kaliber: 6,35 mm Browning (.25 ACP)
L x B x H: 114 x 20 x 80 Millimeter
Lauflänge: 55 Millimeter
Gewicht: 380 Gramm
Magazinkapazität: 6 Patronen

Mehr dazu in Waffenkultur Nr. 62

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