Freitag, 13. August 2010

"Sul" vs. "Norte"

 

Im taktischen Einsatz einer Schusswaffe muss die Bereitschaftshaltung anderen Anforderungen genügen als im reinen Sportschießen. Die Praxis brachte hierzu in der Vergangenheit verschiedene Lösungsansätze hervor. Dieser Beitrag befasst sich mit den Positionen „Sul“ und „Norte“

Der taktische Schusswaffengebrauch unterliegt wie auch Taktik selbst einem ständigen Prozess der Weiterentwicklung. In welcher Position eine Waffe gehalten werden sollte, wenn gerade nicht mit ihr geschossen wird, ist eine kontrovers diskutierte Frage und ein wichtiger Baustein im Gesamtkonzept einer auf taktische Belange ausgerichteten Schießausbildung. Die Art und Weise der Bereitschaftshaltung wird im taktischen Schusswaffengebrauch durch mehrere meist unbekannte Faktoren determiniert. Ein Kompromiss ist daher meist unumgänglich. Zieht man in Betracht, dass eine „sichere Richtung“ nicht existiert, sondern vielmehr eine reale 360°-Umgebung, wird Mündungsdisziplin zu einer Hauptforderung. Schließlich soll eine Gefährdung eigener Teammitglieder durch das so genannte „Sweeping“ ebenso vermieden werden, wie die Gefährdung von umherstehenden Unbeteiligten.

Position Sul
Position Sul wurde im Jahre 1997 vom amerikanischen Schießausbilder Max Joseph entwickelt. Joseph ging zu dieser Zeit einem Engagement als Ausbilder bei der brasilianischen Polizei nach. Daher auch der Name Sul, was im Portugiesischen „Süd“ bedeutet. Der Schütze hält die Waffe eng am Oberkörper auf Höhe des Solarplexus mit der Mündung nach unten – südwärts – gerichtet. Die Mündung zeigt dabei auf den Boden etwa 30 Zentimeter vor dem Schützen, was per se als sicher für das Vorgehen im Rahmen einer Kleingruppe angesehen werden kann. Die linke Hand liegt flach auf dem Solarplexus bzw. Bauch. Der Schlitten der Pistole befindet sich auf den Knöcheln der linken Hand, welche gleichzeitig als Indexpunkte dienen. Der Finger ist lang und berührt den Abzug nicht. Wahlweise kann der Schütze seine beiden Daumen gegeneinander pressen. Bei einer etwas abgewandelten Ausführung von Sul befindet sich die linke Hand nicht hinter der Waffe, sondern liegt darüber. „Sul“ ermöglicht sowohl ein schnelles Einnehmen des Anschlags als auch ein sicheres Holstern der Waffe. Sul bietet aber nur ungenügende Möglichkeiten für das Nachladen der Pistole.

 

 

Position Norte
Eine weitere Option wäre, die Mündung in die entgegengesetzte Richtung, nämlich nach oben zu halten. In Anlehnung an die portugiesische Bezeichnung Sul heißt diese Position auch Norte, also Nordwärts. Von Kritikern wird sie mitunter ins lächerliche gezogen und als „Sabrina-High-Ready“ bezeichnet. Die Schauspielerin Kate Jackson war mit der Serie „Drei Engel für Charlie“ öfters auf einem Kinoplakat mit Pistole in Position Norte abgebildet, was dieser Waffenhaltung eine unverhoffte und auch ungewollte Popularität einbrachte. Um die Position „Nordwärts“ einzunehmen, wird die Kurzwaffe aus dem Anschlag heraus zurückgebracht und die Mündung nach oben gerichtet. Der beidhändige Waffengriff bleibt dabei bestehen. Der Abzugsfinger sollte lang an der Waffe anliegen. Die Pistole befindet sich jetzt auf Kopfhöhe jeweils rechts bzw. links neben dem Kopf. Das Sichtfeld wird somit nicht eingeschränkt. Eine Variante kann das einhändige Ausführen von Norte sein. Aus der reinen Bereitschaftsposition wird somit eine Nachladeposition. Die Waffe wandert dabei unmittelbar ins Sichtfeld des Schützen, was ihm weiterhin eine Vorfeldbeobachtung erlaubt. Der US-amerikanische Schießtrainer Ken Hackthorn war es, der als erster ausbildete dabei durch den Abzugsbügel zu sehen.

 

US-Trainer Andy Stanford demonstriert eine Variante
von "Norte" (Aufnahme aus dem Jahr 2009)

 

Der größte Vorteil von "Nordwärts" ist das Herstellen einer 360°-Sicherheit. Weitere Vorteile sind beispielsweise, dass die Waffe in dieser Position nachgeladen werden könnte, sie dient außerdem in gewisser Weise als Kopfschutz und die Waffe befindet sich in einer günstigen Position, um sie zum Schlagen nutzen zu können, sollte das die Situation erforderlich machen. Im Gegensatz zu Sul muss die Griffhaltung an der Waffe nicht aufgegeben werden. Ein wesentlicher Punkt, der ebenfalls noch für die Anwendung von „Nordwärts“ spricht, ist die Körpersprache. Dadurch, die Waffe auf Augenhöhe zu halten, wird vermieden eine gebückte und gekrümmte Körperhaltung einzunehmen. Das ist leider viel zu oft bei Schützen zu beobachten, die Nachladetätigkeiten unmittelbar vor dem Oberkörper ausführen oder gar in einer Haltung, wo beide Arme 45° nach vorn unten ausgestreckt werden. Eine gekrümmte Körperhaltung signalisiert dem Gegner Angst, Wahrnehmungsentkopplung und Hilflosigkeit. Wohingegen eine aufrechte Körperhaltung hohe Wahrnehmungsfähigkeit und Bereitschaft zum Kampf ausdrückt. Napoleon soll sinngemäß gesagt haben: Es ist besser und manchmal einfacher, den Feind mental zu schwächen, als körperlich. 

Eine High Ready Position, wie sie auf den
Kursen von Tactical Response vermittelt wird
(Foto: Tactical Response)

  

Beim Herstellen der Position „Nordwärts“ ist unbedingt darauf zu achten, dass sich die Waffe neben dem Kopf befindet und nicht unterhalb des Kinns. Überstreicht die Mündung Teile des Kopfs, kann das fatale Folgen bei einer unbeabsichtigten Schussabgabe haben. „Nordwärts“ wohnt im Grunde nur ein Nachteil inne: Soll die Waffe aus dieser Position heraus direkt geholstert werden, muss der Schütze hohe Mündungsdisziplin walten lassen. Anatomisch bedingt neigt ein Rechtsschütze dazu, mit der Waffe den Bereich zu seiner Linken zu überstreichen und somit unter Umständen Teammitglieder oder Unbeteiligte zu gefährden. Hier einen korrekten Bewegungsablauf ins Training zu integrieren und regelmäßig zu üben erhöht die Stresssicherheit.

Sul und Norte mit Langwaffen
Spricht man über Techniken des taktischen Schusswaffengebrauchs, reicht es nicht aus, diese Techniken isoliert zu betrachten. Vielmehr muss man sie als Baustein eines ganzheitlichen Konzeptes sehen. Das beinhaltet in diesem Fall auch eine Analyse, wie sich Position Norte oder Sul in die Handhabung einer Langwaffe, lies: Sturmgewehr, einbinden lassen. „Nordwärts“ stellt sich diesbezüglich unkompliziert dar. In vielen Konzepten ist ohnehin ein Hochanschlag mit der Langwaffe vorgesehen. Diese Waffenhaltung kommt der Pistolenbereitschaftshaltung „Nordwärts“ sehr nahe und kann im Grunde als ihr Langwaffenäquivalent angesehen werden. Auch beim Hochanschlag mit dem Sturmgewehr macht sich der Anwender die Vorteile von Norte zu Nutze: Es existiert 360°-Sicherheit ohne nennenswerte Einschränkung des Sichtfeldes, Nachladetätigkeiten werden ergonomisch unterstützt und der Schütze verfügt dennoch über eine ausreichende Bewegungsfreiheit.

  

Wird Sul beim Einsatz von Gewehr und Flinte zur Anwendung gebracht, darf diese Waffenhaltung jedoch nicht mit dem Low-Ready Anschlag verwechselt werden. Bei Low-Ready verbleibt die Langwaffe mit dem Schaft in der Schulter. Lediglich die Mündung wird abgesenkt. Bei Sul mit einer Langwaffe befindet sich das Gewehr direkt auf der Körpermittellinie. Die Mündung zeigt wiederum in „Richtung Süden“, auf den Grund, einige Zentimeter vor dem Schützen. Mit „Langwaffen-Sul“ soll keine andere Bereitschaftshaltung ersetzt werden, sie sollte lediglich als Option zu anderen Waffenhaltungen wie High-Ready oder Low-Ready angewandt werden.

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