Donnerstag, 30. März 2023

Die Waffenkultur – Ausgabe 69 (März/April 2023)

 

Ausgabe 69 (März/April 2023)


Die März/April Ausgabe hat folgenden Inhalt:

Infanterieporträt (12): Das Alpenkorps
Schießposition Sitzend (5): Normalvariante
Avtomat Polski (1): Die WBP Mini-Jack (7,62x39)
Mindset-Schulung: Die Vital-Pyramide
Munitionssorten: Straight-wall bis Hyper Velocity
Standardübung (31): Dirty Thitry
Bewaffnete Konfrontationen (1): Die Studie
Helikon-Tex: Modern Combat Daily Uniform
Das Kalenderblatt: Das Maschinengewehr (Teil 2)
Buchempfehlung: „Minihandbuch der Stadtguerilla“ SPARTANAT Red Book 1
„Training beginnt im Gehirn“ von Lars Lienhard
„Deutsche Scharfschützen-Waffen 1914-1945“ von Peter Senich

http://waffenkultur.com


Donnerstag, 23. März 2023

Langzeittest: Black Label M4 – Nr. 161

 

2 Tage Gewehrkurs

Gesamtschusszahl: 17.220 + 160 = 17.380
Davon mit SD: 860
Neuer Lauf bei: 13.400
Neuer Abzug bei: 16.900

Störungen Typ I: 0
Störungen Typ II: 0
Störungen Typ III: 0
Störungen Typ IV: 0


Die beiden Langzeittestwaffen Black Label M4 und OA-15 M5
wurden mit den neuen Magazinen und mittlerweile
über eintausend Schuss problemfrei getestet


Auf zwei Gewehrkursen wurde das Black Label M4 zum Vorschießen aller Übungen genutzt. Der Einsatz verlief erwartungsgemäß störungsfrei.

Im Teilnehmerfeld zeigten sich an diesem Kurswochenende jedoch Defizite, die mit einem Mindestmaß an materieller und mentaler Vorbereitung absolut vermeidbar gewesen wäre.
Insgesamt sind zwei Waffen ausgefallen, bzw. konnten diese durch die Teilnehmer gar nicht erst zum Funktionieren gebracht werden. Bei beiden Gewehre handelte es sich um das Modell SIG MCX.
Eine große Anzahl von Teilnehmern hatte entweder unbrauchbare Optiken montiert oder brauchbare Optiken falsch montiert. In mindestens zwei Fällen kam es zum Totalausfall der Visiereinrichtung. Da keine Back-Up Visierung vorhanden war, bedeutete das ein vorzeitiges Kurs-Ende für die Betroffenen.
Fast alle Teilnehmer nutzten für Ihre Gewehre 10-Schuss-Magazine, die bündig mit dem Magazinschacht abschließen. Viele dieser Magazine funktionierten überhaupt nicht oder fassen maximal neun Patronen, um eine störungsfreie Funktion zu gewährleisten.
Eine zuverlässige Alternative stellen hierzu die sog. OA Active Magazine dar.

Diese Metall-Klappvisierung von Troy verrichtet
seit fast zehn Jahren zuverlässig ihren Dienst


Lehren
Jedes Gewehr sollte mit einer tauglichen Kimme-Korn-Klappvisierung aus Stahl ausgestattet sein, die auch eingeschossen ist. Kunststoff-Visiere, die vom Hersteller teilweise gratis dazugegeben werden, sind nutzlos.

Klappbare Magnifier, die als Vergrößerungsmodul hinter einem LPV sitzen, erfüllen fast nie den Zweck, für den sie angeschafft wurden.
Das Resultat ist darüber hinaus meistens noch zusätzlich eine Falschmontage des LPV auf dem Vorderschaft der Waffe.

Zielfernrohre sollten beim AR-15 so weit wie möglich nach vorn montiert werden, um eine stabile Kopfposition zu gewährleisten. Eine Montage auf dem Vorderschaft der Waffe ist hier ebenfalls zu vermeiden.

Von allen 10-Schuss-Magazinen, die bisher auf Kursen bei Akademie 0/500 getestet wurden, sind die OA Active Mag die einzigen, die wirklich funktionieren.

Bei der Montage einer Optik sollten diese drei Punkte berücksichtigt werden, um eine maximale Wiederholgenauigkeit zu erzeugen: Wiederholgenaue Montage einer Optik

LPV sollten direkt über
dem Hülsenauswurf montiert werden


Archiv
Beginn des Langzeittest im September 2014


Dienstag, 21. März 2023

Die Allgegenwärtige: Walther PPK (7,65 mm)

 

„Es gibt nur einen Mann, der eine Walther PPK benutzt: James Bond.“, lässt man Bösewicht Ernst Stavro Blofeld in einem der Bond-Filme sagen. Etwas höher waren die Verkaufszahlen der PPK und der Walther PP am Ende aber schon



In einer Serie zu Taschenpistolen und Oldtimern darf die kleine Walther PPK nicht fehlen. Über kaum ein anderes Pistolenmodell wurde derart reichhaltig publiziert. Auch dieser Artikel wird weder Neuigkeiten noch Geheiminformationen transportieren. Fragt man waffenfachkundige Personen nach Meilensteinen des Pistolenbaus ganz allgemein, wird die Pistole Walther PPK immer mit genannt. Die Gründe dafür sind mannigfaltig und spiegeln vor allem die Interessenlage des Gefragten wieder. In den 1920er Jahren war sie aufgrund ihres Abzugs eine technische Innovation. In den 1930er Jahren wurde sie mitunter zu einer Prunkwaffe hoher Funktionäre des nationalsozialistischen Systems stilisiert. In der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts war sie eine weitverbreitete Gebrauchspistole auch im behördlichen Einsatz bei Polizei und Kriminalpolizei. Nicht zuletzt wurde die PPK mit der Nutzung durch Geheimagent Ihrer Majestät James Bond zu einer Ikone, mit einer Durchschlagskraft, wie ein „Ziegelstein durch eine Fensterscheibe“. Aufgrund ihrer Variantenvielfalt stellt sie für Sammler heute noch ein eigenes Sammelgebiet dar. Ebenso gehört sie dieser Tage immer noch zu den zehn Taschenpistolen, die für das Führen zum Zwecke der Selbstverteidigung in die engere Wahl kämen, gemäß einer nicht repräsentativen Umfrage bzw. Aufstellung des NRA Magazins „Shooting Illustrated“.

Walther PPK in 7,65 mm Browning
aus Ulmer Fertigung

Auch nach knapp einhundert Jahren seit Erstvorstellung gelten
PPK Pistolen als zuverlässige Begleiter zur Selbstverteidigung


Die 1920er
Vor einhundert Jahren besaßen Pistolen entweder ein frühes Schlagbolzenschloss oder sie hatten den so genannten Single Action Abzug mit außenliegenden Schlagstück und Sicherung. Die Idee jedoch, einen Revolverabzug in eine Pistole einzubauen war neu. Erstmalig umgesetzt wurde diese Konstruktion durch den tschechischen Waffenbauer Alois Tomiska (1867 bis 1946).
Das Abzugssystem Double Action / Single Action (DA/SA) fand seit Ende des 19. Jahrhunderts im Revolverbau Anwendung. Beim Single Action Abzug muss der Abzugsfinger keine Kraft aufbringen, um das Schlagstück zu spannen. Er löst die im Schlagstück gespeicherte Energie nur aus. Beim Double Action System hingegen überwindet der Finger teils deutliche Federkraft, um das Abzugssystem zu spannen und in direkter Folge auch auszulösen. Weshalb man auch vom sog. Spannabzug spricht. Als Vorteile des Spannabzug Systems wird vor allem genannt, dass die Schlagbolzenfeder nicht permanent unter Spannung steht und es somit zu keiner ungewollten Schussabgabe durch eine herunter fallende Waffe kommen könne; die Pistole jedoch immer feuerbereit wäre. Auch die Bedienungsanleitung der PPK hebt den Vorzug der „steten Feuerbereitschaft“ deutlich hervor.
Alois Tomiskas Idee einer „Selbsttätig wirkenden Feuerwaffe mit Spannabzug“ mündete 1908 in einem Patent, aus der die  Pistole „Little Tom“ hervorging. „Little Tom“ hatte konstruktiv jedoch Mängel.
Der Deutsche Fritz Walther griff die Spannabzugsidee auf und führte sie ab 1924 zur Serienreife. Das Patent dafür datiert auf Juni 1927 und benennt eine „Selbstladepistole mit Magazin und Revolverselbstspannschloss mit Spannabzug“. Neben dem Novum „Spannabzug“ besaßen die neuen Waltherpistolen auch einen Sicherungs- und Entspannhebel für das Schlagstück sowie eine Ladestandsanzeige. Womit die Waffe Merkmale definierte, die im Pistolenbau für fast einhundert Jahre bestimmend bleiben sollten.
Mit den Pistolenmodellen PP (Polizei-Pistole) und PPK (Polizei-Pistole Kriminal) vollzog Walther auch eine Abkehr von den bisherigen Modellbezeichnungen der Modelle 1 bis Modell 9.
Die ersten Walther PP Modelle konnten 1929 ausgeliefert werden. Der Nummernkreis für die Seriennummern begann bei 750000. Heute sind noch die Prototypen mit den Seriennummern 7500001 und 750003. Zu Anfang wurde die Nummer der Prototypen an die Nummer 750000 angehängt und erst später als fortlaufende Nummer geschrieben.

Walther PPK feldmäßig zerlegt


Die 1930er
Nach den ersten Verkaufserfolgen der Walther PP, entstand 1931 die Walther PPK. Und schon im Jahr 1933 verlautbarte die Firma Walther, dass die Absatzmenge von einer Million Pistolen PP und PPK erreicht sei. Was großzügig gerechnet einer durchschnittlichen Ausbringungsmenge von etwa eintausend Pistolen pro Werktag entspräche und gemessen an damaligen Produktionsstandards als unglaubwürdig betrachtet werden sollte.
Beginnend mit der Nummer 760000 erfolgte die Serienfertigung der PPK Modelle.
Verkaufsgenie Fritz Walther erkannte sehr früh den Nutzen, der aus einer Nähe zu den Mächtigen entstehen kann. Trophäen und Präsentpistolen gingen regelmäßig an Landesgruppen der SA, hohe NSDAP-Funktionäre, an Carol den II. König von Rumänien (SN 741249) und sogar an den Schah von Persien.

Pistolen mit unverriegeltem Feder/Masse-Verschluss
gelten als robust


Die 1950er
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurden nicht nur Polizisten der Bundesrepublik mit Walther PPK Pistolen ausgerüstet, sondern auch das Ministerium des Inneren (MdI) der DDR griff auf vorhandene Beutewaffen zurück. Bis Mitte der 1950er diente sie als Strukturwaffe bei der Volkspolizei; danach lediglich als Zweitwaffe für das verdeckte Führen, bspw. beim Personenschutz. Für die sog. „ständigen Waffenträger“ blieb die Walther PPK jedoch bis zum Ende der DDR Strukturwaffe. So soll Erich Mielke bis zum Schluss eine Walther PPK zumindest besessen haben.
Bemerkenswert ist der Umstand, dass bei Verschleiß der Originalgriffschalen keine Neubeschaffung aus Ulmer Produktion getätigt wurde. Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) ließ in einem Suhler Kleinbetrieb Holzgriffschalen zum Austausch fertigen. Die Produktionsmenge soll bei etwa zweihundert Stück hergestellt aus Nussbaumholz gelegen haben.
Ebenso wurden verschlissene Magazine in DDR-Eigenproduktion hergestellt. Das Ausgangsmaterial hierfür war durch Sicherstellung durch die Sowjetarmee unmittelbar nach Kriegsende noch reichlich vorhanden. Diese Magazine tragen lediglich den Stempel „PPK“ sowie den Volkspolizeistern der DDR und sind heute bei Sammlern begehrtes Zubehör.

Sowohl für die PP als auch PPK gab es ab Werk Griffverlängerungen.
Die Magazinkapazität erhöhte sich dadurch nicht



Die 1970er und 1980er
Ab 1974 wurde die Walther PP im Kaliber .22lfB als L66A1 bei den britischen Streitkräften eingeführt. Sie diente vorrangig in Nordirland stationierten Soldaten als Zweitwaffe zum Selbstschutz. Hierbei handelt es sich um einen der wenigen dokumentierten Fälle, wo eine Faustfeuerwaffe im Kaliber .22lfB offiziell in größeren Stückzahlen (etwa 3.000) militärisch beschafft und genutzt wurde. Die 22er-PP wurden direkt von Walther gekauft und hatten keinen eigenen Seriennummernkreis. Überliefert ist, dass die Seriennummern der Pistolen alle im niedrigen vierzigtausender Bereich liegen (41xxx bis 42xxx) und zumindest auf dem Griffstück mit einem „LR“ enden; was für Long Rifle steht. Eine Besonderheit dieser Waffen ist, dass sie vom britischen Militär chargenweise mit stärkeren Schlagbolzen ausgestattet wurden.
Außer Dienst gestellt wurden die L66A1 im Jahr 1989 und durch die Modelle Walther P5 und SIG230 ersetzt.

Die L66A1 erkennbar am militärischen Beschusszeichen wurde von
britischen Soldaten im Nordirlandkonflikt als Zweitwaffe geführt
(Foto: Internetauktion)


Funktionsweise
Die Pistolenmodelle PP und PPK sind Waffen mit unverriegeltem Feder/Masse-Verschluss. Der außenliegende Sicherungsflügel arbeitet entweder mit einem 60-Grad- oder einem 90-Grad-Schwenkbereich. Die Sicherung wirkt unmittelbar auf den Schlagbolzen. Das am häufigsten anzutreffende Kaliber dürfte die 7,65 mm Browning sein. Einige PP / PPK Modelle existieren auch im Kaliber 6,35 mm Browning. Im Jahr der Markteinführung der PPK galt die relativ schwache 6,35 mm Browning aber bereits als überholt und international wurden kaum noch Taschenpistolen in 6,35 hergestellt. Das Kaliber 9 mm Kurz hingegen stellt die obere Grenze dar, die aus der Masseverschluss verriegelten PP / PPK verschossen werden kann.
Tatsächlich existiert eine Pistole Walther PP im Kaliber 9 mm Parabellum, welche sich als Fälschung bzw. Eigenumbau des italienischen Besitzers entpuppte und vom Beschussamt als schussunfähig eingestuft wurde. Heute soll diese Pistole Teil einer US-amerikanischen Sammlung sein.

Literaturempfehlung:
Walther eine deuche Legende, 1997, ISBN 3-00-001356-3


Fazit
Das Konzept und das Design der Walther PPK mag in der ersten Hälfte des Zwanzigsten Jahrhunderts bahnbrechend gewesen sein. Von da an gab es jedoch wenig Innovationswille und die Firma Carl Walther scheint den technischen Fortschritt etwas aus den Augen verloren zu haben. Viele Folgemodelle waren rein äußerlich nur PPK-Abwandlungen. Auch am Spannabzug hielt man noch lange fest, obwohl dieser im Gebrauchswaffensegment mit Einführung der Glock Pistole spätestens seit Mitte der 1980er Jahre als technisch überholt galt.

Literaturempfehlung:
Walther eine deuche Erfolgsgeschichte (2 Bände), 2012


Technische Daten
Modell: Selbstladepistole Walther PPK
Waffenart: unverriegelter Masseverschluss
Kaliber: 7,65 mm Browning
Länge / Höhe: 155 x 100 Millimeter
Lauflänge: 83 Millimeter
Visierlinie: 110 Millimeter
Gewicht: 590 Gramm
Magazinkapazität: 7 Patronen

Mehr dazu in "Die Waffenkultur" Nr. 65



Dienstag, 14. März 2023

Die Außenseiterin: Selbstladepistole Frommer-STOP (7,65 mm)

 

Die Pistole Frommer-STOP fällt aufgrund von Aufbau und Funktionsweise im Vergleich zu anderen Pistolen ihrer Epoche deutlich aus der Rolle. In manchen Details war sie ihrer Zeit voraus. Die nicht unkomplizierte Konstruktion führte jedoch zu einem frühen Produktionsende

Die Pistolenmodell Frommer-STOP und Frommer-BABY.
Beide im Kaliber 7,65 mm Frommer, was von den
Abmessungen einer 7,65 mm Browning entspricht


Zu Beginn des Zwanzigsten Jahrhunderts hatte sich der europäische Pistolenbau weitgehend auf das Funktionsprinzip des unverriegelten Masseverschlusses nach der Idee von John M. Browning geeinigt. Diese relativ einfache Konstruktion war ohne großen technologischen Aufwand zu fertigen, funktionierte zuverlässig mit den handelsüblichen Munitionssorten in den Kalibern 7,65 mm Browning, 6,35 mm Browning und 9 mm Kurz und war aus Anwendersicht einfach zu handhaben und zu warten.

Pistole Frommer-STOP mit Holzgriffschalen, wie
sie in der Kriegsfertigung aufgeliefert wurde



Modell STOP 1911
Einen komplett anderen Weg beschritt der 1868 in Pest geborene Rudolf Frommer. Schon seit 1899 konstruierte Frommer Pistolen, die schlicht als „System Frommer“ in die Geschichte des Waffenbaus eingegangen sind. Beworben wurden diese Frommer Pistolen mit dem Merkmal der größtmöglichen Sicherheit für den Schützen; da sie den gleichen Verschlussmechanismus besaßen, wie ein zeitgenössisches Infanteriegewehr. Gemeint war damit ein über Verschlusswarzen verriegelnder Verschlusskopf.
Ab 1910 überarbeitete Rudolf Frommer diese Konstruktion, was die Einführung der Modelle STOP 1911 zur Folge hatte.
Rudolf Frommer gab seinen Pistolen das so genannte Mantelgehäuse und verlegte die Vorholfeder für Lauf und Verschluss über den Lauf. Dieses Konstruktionsmerkmal gibt den Frommer-STOP Modellen auch ihr charakteristisches Aussehen. Was Frommer vom Browning-System übernahm, war das austauschbare Magazin und das Kaliber 7,65 mm Browning. Allerdings wurde diese Standardpatrone mit einer stärkeren Ladung versehen und in 7,65 mm Frommer umbenannt. Diese stärkere Ladung war erforderlich, um den verriegelten Verschlussmechanismus der Frommer-STOP funktionssicher in Gang zu setzen. Überhaupt verfügt die Frommer-STOP über eine nicht unkomplizierte und technisch aufwendige Konstruktion.

Das Magazin fasst sieben Patronen im Kaliber 7,65 mm
und sechs Patronen in 9 mm Kurz


Kriegsbedingter Erfolg
Der Maschinenbauingenieur Rudolf Frommer, der von 1905 bis 1935 die Budapester Metallwaren- Waffen- und Maschinenbaufabriks AG leitete, konstruierte die meisten seiner Pistolen in der Hoffnung, das Interesse des Militärs zu wecken. Wenngleich das Vorgängermodell der Frommer-STOP, die Frommer Modell 1910 bei der Ungarischen Gendarmerie eingeführt worden war, so war der wirtschaftliche Erfolg mit lediglich 11.000 gefertigten Stück jedoch überschaubar.
Erst das Modell 1911 Frommer-STOP bescherte dem Konstrukteur den Durchbruch. Bis in die 1920er Jahre hinein wurden schätzungsweise eine halbe Million Stück Frommer-STOP gefertigt.
Kriegsbedingt wurde die Pistole auch bei der ungarischen Landwehr und für das k.u.k. Heer beschafft. Offiziellen Angaben zufolge lieferte die Waffen- und Maschinenfabriks Actiengesellschaft in Budapest 133.000 Pistolen im Kaliber 7,65 mm und etwa 44.000 Pistolen im Kaliber 9 mm Kurz an die Donaumonarchie.

Ein Modell Frommer-BABY komplett zerlegt


System
Die Pistole Frommer-STOP wird beschrieben als Rückstoßlader mit langem Rohrrücklauf und dreifacher Warzenverriegelung. Sowohl im Pistolenbau allgemein als auch für das Kaliber 7,65 mm  insbesondere stellt dieses Verschlusssystem eine absolute Besonderheit dar. Eine Besonderheit auch deshalb, weil sich dieses System gegen die vergleichsweise deutlich einfacheren Masseverschlüsse letztlich nicht durchsetzen konnte.

Grafische Darstellung der Frommer-BABY mit zurückgezogenem Verschluss
(Quelle: Vom Ursprung der Selbstladepistole, Mötz / Schuy, S. 649)


Zerlegen der Frommer-STOP
Das Zerlegen einer Frommer-STOP ist alles andere als Infanteristen-tauglich. Die Original Bedienungsanleitung äußert sich wie folgt:
„Der über der Laufmündung befindliche Sperrknopf wird hineingedrückt und die auf die Laufmündung geschraubte Mutter vom Laufe abgedreht. Darauf wird das 8-förmige Grenzstück herausgenommen, sowie die an dasselbe sich lehnende Schraubenfeder. Der am Scheitel des Grenzstücks befindliche Einschnitt wird auf die kleine Leiste am Ende der nun ober dem Lauf sichtbar werdenden Zugstange gelegt, die Zugstange auf diese Weise nach rückwärts gedrückt und dann in der rückwärtigen Stellung eine Viertel-Umdrehung ausgeführt, worauf die Zugstange sich aus dem Verschluss entkuppelt und der Verschluss sowohl, als auch der Lauf nach rückwärts herausgezogen werden können. Das Zusammenstellen der Pistole erfolgt in umgekehrter Reihenfolge.“ Viel Erfolg!

Grafische Darstellung der Frommer-STOP. Die Waffe ist mit 7+1 Patronen
geladen (Quelle: Vom Ursprung der Selbstladepistole, Mötz / Schuy, S. 638)


Frommer BABY
Neben der Frommer-STOP, die als Taschenpistole klassifiziert war, entwickelte Rudolf Frommer auch eine Westentaschenpistole mit der Bezeichnung Frommer BABY-Pistole in den Kalibern 7,65 mm und 9 mm Kurz (.380 Auto). Die Frommer-BABY war konstruktiv identisch zur Frommer-STOP. Es gilt als sicher, dass die Frommer-BABY weltweit die einzige Westentaschenpistole mit einem verriegelten Verschluss ist. Die Gesamtproduktionszahl wird auf etwa 40.000 Stück geschätzt.

Trotz der komplizierten Konstruktion besteht die Frommer-STOP aus nur 34 Einzelteilen
(Quelle: Die Weiterentwicklung der Selbstladepistole, Mötz / Schuy, S. 134)


Zwischen den Weltkriegen
Ab 1915 wurden Frommer-STOP Pistolen auch nach Deutschland geliefert. Die Waffen- und Maschinenfabriks AG in Budapest schrieb dafür sogar vorhandene Bedienungsanleitungen um. Typisch-altösterreichische Teilebezeichnungen, wie „Züngel“ oder „Verschluss“ wurden durch zeitgenössisch-reichsdeutsche Begriffe wie „Abzug“ und „Kammer“ ersetzt. Die Liefermenge wird auf etwa 45.000 Frommer-STOP Pistolen geschätzt. Die Zuweisung an die deutschen Verbände erfolgte nach Versorgungslage. Überliefert ist, dass das neu aufgestellte Sturmbataillon des I. bayerischen Armeekorps einhundertzwanzig Stück Frommer-STOP zugewiesen bekommen haben soll.
Im praktischen Einsatz im Feld zeigte sich der große Nachteil dieser Neubeschaffung. Wurden die Frommer Pistolen mit der normalen 7,65 mm Browning Munition geladen, verursachten sie Waffenstörungen. Die Frommer funktionierten nur mit den stärker geladenen Frommer-Patronen störungsfrei. Rein äußerlich war den verschiedenen Patronen aber kein Unterschied anzusehen.
Eine offizielle Einführung in die Bestände der Wehrmacht ist nicht dokumentiert. Frommer-STOP Pistolen mit einem WaA-Abnahmestempel der deutschen Wehrmacht haben sich im Nachhinein als Fälschungen erwiesen.

Das fast 900 Seiten umfassende Buch
von Mötz / Schuy gilt als Standardwerk zum Thema


Fazit
Als Außenseiterin konnte die Pistole Frommer-STOP in ihrer Epoche dennoch einen beachtlichen wirtschaftlichen Erfolg verbuchen. Das Mantelgehäuse und die Drei-Warzen-Verriegelung lassen die Waffe zu einem Meilenstein im Pistolenbau werden. Zeitgenössisch wurde die Frommer-STOP als elegant und formschön beschrieben; ohne vorstehende Ecken und Kanten und mit ausgezeichneter Handlage.

Band 2 behandelt auf fast 700 Seiten
Selbstladepistolen von 1914 bis heute


Service - Buchempfehlung

Josef Mötz und Joschi Schuy
Vom Ursprung der Selbstladepistole
Band 1: ISBN 978-3-9502342-0-6
Die Weiterentwicklung der Selbstladepistole
Band 2: ISBN 978-3-9502342-2-0
Band 3: ISBN 978-3-9502342-3-7

Technische Daten

Modell: Selbstladepistole Frommer-Stop
Hersteller: Ungarische Waffen- und Maschinenfabriks-AG, Budapest
Produktionszeitraum: 1911 bis 1930 (?)
Stückzahl: etwa 500.000
Waffenart: Rückstoßlader mit langem Rohrrücklauf und dreifacher Warzenverriegelung
Kaliber: 7,65 mm Frommer und 9 mm Kurz
Länge: 165 Millimeter
Lauflänge: 96 Millimeter
Gewicht: 600 Gramm
Magazinkapazität: 7 Patronen

Mehr dazu in "Die Waffenkultur" Nr. 64 

 

Donnerstag, 9. März 2023

Die Präsentpistole: Automatische Pistole „Z“ (6,35 mm Browning)

 

Die kleine DUO-Z ist im Taschenpistolenbau weder ein Meilenstein noch eine Rarität. Was sie für Sammler aber dennoch interessant werden lässt, sind die vielfältigen Verkaufsbezeichnungen, die hohe Fertigungsqualität und die Verwendung als Dienstwaffe unter anderem beim Ministerium für Staatssicherheit und der NVA



Als Konstrukteur der Taschenpistole DUO gilt Frantischek Duschek. Duschek gründete gegen 1908 im heute wieder zu Tschechien gehörenden Opotschno (Opočno) eine Büchsenmacherwerkstatt. Bis in die 1930er Jahre hinein importierte er spanische Taschenpistolen der Marken Singer und Ydeal zum Weiterverkauf. Mit dem beginnenden Spanischen Bürgerkrieg versiegte diese Beschaffungsquelle. Etwa ab Mitte der 1930er Jahre verkaufte Duschek Pistolen aus Eigenproduktion unter dem Markenname DUO, welcher sich aus den ersten beiden Buchstaben seines Familiennamens und dem ersten Buchstabe des Ortsnamens zusammensetzte.
In der Anfangszeit bot Duschek seine DUO auch unter den Markennamen Ydeal und Singer an, wie aus einem Katalog ersichtlich ist. Beide spanischen Marken waren bei der einheimischen Käuferschaft schon länger etabliert. Der Konstrukteur der DUO machte sich diese Marktposition zu Nutze, indem er seine Waffe mit Griffschalen mit den Schriftzügen Ydeal und Singer ausstattete.

Die 6,35-mm-Pistole CZ „Duo“ als Präsentumbau
mit eingelassener Mützenkokarde


Kopie oder Neuentwicklung?
Taschenpistolen des früher Zwanzigsten Jahrhunderts bargen keine großen Geheimnisse in Bezug auf Konstruktion und Fertigung. Die allermeisten Pistolen hatten einen unverriegelten Masseverschluss. Sie waren hammerlos und hatten ein Schlagbolzenschloss. Die außen liegende Drehflügelsicherung ist bei fast allen Modellen zu finden. Darüber hinaus hatten viele Pistolen zusätzlich eine Magazinsicherung. Nur Waffen mit einer aufwendigeren Konstruktion verfügten über eine Griffrückensicherung. Das Merkmal der Griffrückensicherung war typischerweise das erste, was bei Nachbauten dem Vereinfachungsgedanken zum Opfer fiel.
Es wird gemutmaßt, dass Frantischek Duschek sich bei der Neukonstruktion seiner DUO die Taschenpistole MARS zum Vorbild nahm. Die MARS wiederrum war eine vereinfachte Kopie der kleinen FN 1906 bzw. einer Colt 1908, bei der lediglich die Griffrückensicherung weggelassen wurde.

Die rechte Griffschale weist
nach wie vor das „Z“ auf


Hohe Qualität
Dennoch besaßen die Pistolen aus Duscheks Werkstatt von Beginn an eine hohe Fertigungsqualität. Bis in die 1940er Jahre hinein waren DUO Pistolen auch bei Käufern im Deutschen Reich sehr gefragt. Einer der deutschen Importeure war die Firma Eblen. Mitunter sind aus diesem Importgeschäft auch DUO Pistolen bekannt, die keine „DUO“-Markierung tragen, sondern ausschließlich den Schriftzug „Eblen“.
Der Produktionsausstoß bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs wird auf etwa einhunderttausend Pistolen geschätzt.
Ein zeitgenössisches Verlaufsprospekt weist die Pistole DUO mit einem Verlaufspreis von 240 Tschechischen Kronen aus. Für die vernickelte Luxusausführung musste der Käufer 300 Tschechische Kronen berappen. Zum Vergleich: Eine FN Baby im Kaliber 6,35 mm Browning wechselte damals den Besitzer für 350 Kronen.

Feldmäßig zerlegte Pistole „Z“


Verstaatlichung
Mit der Verstaatlichung im Jahr 1948 wurde der Firmensitz von Opočno in das tschechische Waffenwerk Ceska Zbrojovka (CZ) nach Uherský Brod verlagert. Die Modellbezeichnung änderte sich von DUO in Pistole „Z“. Seither zierte das Z sowohl den Verschluss als auch die Griffschalen. In einer Sondervariante wurde die Ganzstahlwaffe vernickelt und erhielt perlmuttartige Kunststoffgriffschalen.
Ihren ursprünglichen Name DUO konnte die Waffe allerdings nie richtig ablegen. Daher sind auch die Bezeichnungen DUO-Z oder auch CZ-DUO in Literatur und Umgangssprache anzutreffen.

Die Nachkriegsfertigung der Pistole „Z“ war im Original
vernickelt. Die Präsentpistole wurde verchromt


Nachkriegsverwendung
Obwohl die kleine Taschenpistole DUO-Z offiziell bei den bewaffneten Organen der DDR eingeführt war, hatte sie nie den Staus einer Strukturwaffe. Sie wurde lediglich als Zweitwaffe bzw. Zusatzwaffe an höhere Offiziere der Nationalen Volksarmee, des Ministeriums für Staatssicherheit sowie der Polizei ausgegeben. Funktionäre im Partei- und Staatsapparat führten die DUO-Z mitunter als Verteidigungspistole.
In seinem Buch „Die Faustfeuerwaffen der bewaffneten Organe der SBZ/DDR“ führt Fachautor Dieter H. Marschall die verschiedenen Kategorien von Schützenwaffen der NVA detaillierter aus: Strukturwaffen waren demnach festgelegte Waffenarten und Waffenmodelle gem. dem Stellenplan und Ausrüstungsnachweis. Was man heute als STAN-Waffe bezeichnen würde.
Als „Zusatzwaffe“ wurden für bestimmte Funktionen festgelegte Waffen definiert, die zusätzlich zur Normausstattung ausgegeben wurden, wie bspw. Signalpistolen und vermutlich auch Taschenpistolen zur persönlichen Verteidigung.
Ob die kleine Taschenpistole im Kaliber 6,35 mm Browning wirklich als Zweitwaffe zum Verwendungszweck der Verteidigung ausgegeben wurde bzw. dafür geeignet war, ist aber fraglich. Hätte für diese Personen eine ernstzunehmende Gefahrenlage existiert, wäre die Wahl eher auf eine der zahlreichen in der DDR eingeführten 7,65 mm Pistolen oder die 9 mm Makarow gefallen.
In der NVA erhielt die DUO die offizielle Bezeichnung: 6,35-mm-Pistole CZ „Duo“. Eine eigene Dienstvorschrift zur CZ „Duo“ existiert nach bisherigem Kenntnisstand jedoch nicht.

Als sicher gilt, dass die Präsentumbauten in
Waffenwerkstätten des MfS durchgeführt wurden


Verwendung beim MfS
Es ist nicht ausschließen, dass auch Angehörige des Ministeriums für Staatssicherheit die Pistole CZ „Duo“ zu Selbstverteidigungszwecken führten. Als sicher gilt jedoch, dass die Umbauten zur Präsentpistole in Waffenwerkstätten des MfS durchgeführt wurden. Die Waffen wurden verchromt und in die linke Griffschale wurde eine Mützenkokarde mit Hammer-Sichel-Ehrenkranz eingesetzt.
Auffällig bei diesen Präsentumbauten ist eine Ausfräsung auf der linken Seite des Verschlusses, die mit einer Kunststoffeinlage versehen ist. Ausgefräst wurde dabei die Punzierung „Made in Czechoslovakia“. Bekannt sind Kunststoffeinlagen in den Farben Grün und Orange.
Empfänger dieser Präsentpistolen waren nicht nur Angehörige des MfS, sondern auch Offiziere der NVA und des Ministeriums des Inneren sowie hochrangige Vertreter im In- und Ausland.
Anhand der bekannten Seriennummern der Umbauten dürfte die Gesamtzahl bei einigen Hundert Pistolen liegen.

In den Anfangsjahren versah Frantischek Duschek seine DUO Pistole
mit Griffschalen der etablierten Marke „Singer“
(Foto: Dorotheum GmbH & Co KG)


Fazit
Die kleine Taschenpistole DUO ist ein Beispiel dafür, dass im europäischen Pistolenbau in der ersten Hälfte des Zwanzigsten Jahrhunderts kopiert und lizenzlos gefertigt wurde, was die Werkbänke hergaben. Auf Eigenentwicklungen wurden Griffschalen anderer, etablierter Hersteller geschraubt; was heute wohl im besten Fall als Markenpiraterie gewertet werden würde.
Gleichsam ist die DUO ein Beispiel, dass Kopien nicht zwangsläufig von minderer Fertigungsqualität sein müssen. Immerhin erlebte die Pistole DUO mit ihren Verkaufsbezeichnungen „Singer“, „Ydeal“ und „Eblen“ und den Namensänderungen in Pistole „Z“ oder DUO-Z bis hin zur CZ „Duo“ in den Streitkräften der DDR etwa ein halbes Jahrhundert Produktionszeitraum.

Die DUO Pistolen mit den „Singer“ bzw. „Ydeal“ Griffschalen
wechselten für 180 bzw. 210 Tschechische Kronen den Besitzer
(Prospekt vermutlich um 1938)

Ein zeitgenössisches Verlaufsprospekt weist die Pistole DUO mit einem
Verlaufspreis von 240 Tschechischen Kronen aus. Für die vernickelte
Luxusausführung musste der Käufer 300 Tschechische Kronen berappen
(Prospekt vermutlich um 1938)



Technische Daten
Modell: Selbstladepistole DUO (auch DUO-Z oder Pistole „Z“)
Hersteller: bis 1948 Frantischek Duschek, Opotschno
Hersteller: ab 1948 Ceska Zbrojovka (CZ), Uherský Brod
Waffenart: unverriegelter Masseverschluss
Kaliber: 6,35 mm Browning (.25 ACP)
L x B x H: 114 x 16 x 74 Millimeter
Lauflänge: 53 Millimeter
Gewicht: 400 Gramm
Magazinkapazität: 6 Patronen



Literaturempfehlung
Die Faustfeuerwaffen der bewaffneten Organe der SBZ /DDR
von Dieter H. Marschall
Blätterdach GmbH; 2. unv. Auflage (Februar 2014)
106 Seiten
ISBN:978-3935210157
Preis: 15,95 Euro

Mehr dazu in "Die Waffenkultur" Nr. 63


Samstag, 4. März 2023

Die Prunkvolle: Selbstladepistole Simson D. R. P. (6,35 mm)

 

„Die Selbstladepistole Simson ist ein weiteres Glied in der Kette hervorragender Präzisionserzeugnisse der Firma Simson & Co., Waffen-, Automobil- und Fahrradfabriken in Suhl.“, so der Einleitungstext der originalen Gebrauchsanweisung aus dem Jahr 1927. Dieser Beitrag beleuchtet Waffe aber auch die ereignisreiche Firmengeschichte

Simson Mod. 1927: Die zweite Variante der Simson hatte
acht Griffrillen am Verschluss. Die Oberfläche des
Sicherungshebels besitzt ein Checkering (Gitternetzstruktur)


Die Simson & Co. Waffenfabriken aus dem thüringischen Suhl durchliefen zwischen 1856 und 1993 mit den Epochen des Deutschen Kaiserreichs, der Weimarer Republik, des Nationalsozialismus und Zweiten Weltkrieg, über die Sowjetische Besatzungszeit hinein in die DDR bis hin zur Restitution und Treuhandabwicklung eine wahrhaft wechselvolle Firmengeschichte.
Auch völlig unabhängig vom hier vorgestellten Pistolenmodell, ist ein Befassen mit der epochalen Unternehmensgeschichte der Simsons ein erkenntnisreiches Unterfangen. Mit jedem politischen Systemwechsel entwickelte sich das Unternehmen fort, strukturierte sich neu und traf Arrangements mit den Herrschenden. Letztlich überlebte Simson nur das Wirken der Treuhandmanager nicht.

Auch nach einhundert Jahren ist die Beschriftung noch
perfekt zu erkennen. D. R. P. steht für Deutsches Reichspatent


Kaiserreich
Die Simson-Werke wurden 1856 von den Brüdern Loeb und Moses Simson gegründet. 1862 firmierten sie als Bajonett- und Ladestockfabrik. Einhergehend mit der Reichsgründung 1871 und der Einführung des Mausergewehrs M1871 (Gewehr 71) erlebte die Suhler Waffenindustrie ihren ersten Aufschwung. In Zusammenarbeit mit dem Mechaniker und Handwaffenspezialist Karl Luck wurde die Simson & Co. Lieferant für das Kaiserliche Heer. Die Simsons waren die ersten Unternehmer im Deutschen Reich, die moderne kapitalistische Produktionsstandards nach US-amerikanischen Vorbild einführten. Die Zeit zwischen 1890 und dem Ende des Ersten Weltkriegs wird daher auch gern als „Fordismus im Thüringer Wald“ bezeichnet.

Feldmäßiges Zerlegen einer Simson Pistole ist unproblematisch.
Beachtenswert: Die Ausziehkralle ist oberhalb, auf zwölf Uhr, angebracht


Weimarer Republik
Die Demilitarisierung Deutschlands ab dem Jahr 1918 bedeutete für alle Waffenfabriken im Reich tiefe wirtschaftliche Einschnitte. Einige Traditionsunternehmen überlebten diesen Umbruch nicht. Für die Simson & Co. markierte das Jahr 1925 einen Wendepunkt mit weitreichenden Konsequenzen. Das Unternehmen erhielt einen Mantelvertrag, der das reichsweite Monopol zur Herstellung leichter Maschinengewehre beinhaltete. In Folge wurde das Unternehmen alleiniger Ausrüster der Reichswehr mit Handfeuerwaffen. Aufgrund dieser starken wirtschaftlichen Position überstand Simson & Co. die Weltwirtschaftskrise ab 1929 gut. Neid und Missgunst waren aber die Folge. Verschiedene Konkurrenzunternehmen des Suhler Waffenbaus fanden in der erstarkenden NSDAP einen willfährigen Verbündeten, um gegen die Simson Werke wegen angeblicher ungerechter Verteilung staatlich subventionierter Aufträge vorzugehen.

Bedienungsanleitungen wurden vor einhundert
Jahren noch mit viel Liebe zum Detail erstellt


Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg
Schon gegen Ende der Weimarer Republik geriet die Familie Simson als Inhaber einer „jüdischen Waffenfabrik“ in den Fokus der thüringischen NSDAP. In einem mehrjährigen Gerichtsprozess wurde versucht eine Straftat zu konstruieren, um die Geschäftsführer der Simson & Co. als Wirtschaftskriminelle zu überführen. Federführend dabei war der thüringische Gauleiter Fritz Sauckel, dem es 1936 schließlich gelang, mit dem entschädigungslos enteigneten Geschäfts- und Privatvermögen der Familie Simson die Wilhelm-Gustloff-Stiftung ins Leben zu rufen. Aus der wiederum die Berlin-Suhler Waffen- und Fahrzeugwerke (BSW) entstanden und später die Gustloff-Werke als einer der größten Rüstungsbetriebe des Deutschen Reichs. Die Umbenennung der Suhler Betriebsstätte in „BSW“ wurde von ehemaligen Mitarbeitern auch als „Bis-Simson-Wiederkommt“ umgedeutet.

Das Deckblatt stellt keineswegs einen nordamerikanischen „Cowboy“ dar.
Es wird gemutmaßt, dass es sich um einen deutschen Schäfer handelt,
der zur erklärten Käuferschicht der kleinen Taschenpistole zählte


Sowjetische Besatzungszeit
Das Simson Werk in Suhl überstand den Zweiten Weltkrieg unbeschadet. Ab 1946 wurde das Werk in die „Sowjetische Aktiengesellschaft“ eingegliedert und wurde somit sowjetisches Eigentum. Die Produktion erstreckte sich auf Fahrräder, Motorräder und einige Jagdwaffen für die Besatzungstruppen.

Simson Mod. 1922: Die erste Variante der Simson hatte
zwölf Griffrillen am Verschluss. Die Oberfläche des
Sicherungshebels ist konzentrisch


DDR und Planwirtschaft
Schon im Jahr 1952 erfolgte eine Rückübereignung des Betriebsvermögens an die DDR. Der VEB Simson wurde zum alleinigen Hersteller der Kleinkrafträder „Simson“. Ab 1969 erfolgte im VEB Fahrzeug- und Jagdwaffenwerk Suhl (VEB FaJaS) auch wieder eine Waffenproduktion.

Die Simson Pistole ist ohne Werkzeug komplett zerlegbar. Der
Haltehebel (Bauteil 22) wird dazu nach vorn gedrückt. Der Verschluss
kann daraufhin ebenfalls noch vorn abgenommen werden


Restitution und Treuhandabwicklung
Seit 1990 firmierte der VEB FaJaS unter Jagd- und Sportwaffen Suhl GmbH (JuS) weiter. Die Nachkommen der Familie Simson bewarben sich bei der Treuhandanstalt um den Erwerb der JuS GmbH, um nach sechzig Jahren die betriebliche Tätigkeit in Thüringen wieder aufzunehmen. Die Treuhandmanager jedoch veräußerten den Betrieb an niederländisch-französische Investoren, die aber weder etwas sanierten noch etwas neu aufbauten, sondern ihr Kapital wieder abzogen. Die JuS GmbH wurde abgewickelt. Wie bei so vielen Trauhandgeschäften zu Beginn der 1990er Jahre liegt die Frage nahe, wer ein Interesse daran gehabt haben könnte, einen künftigen Konkurrenten aus dem Weg zu räumen.



Die Waffe
Das Funktionsprinzip der 6,35-mm-Browning Simson ist charakteristisch für alle Taschenpistolen ihrer Epoche. Sie besitzt einen unverriegelten Masseverschluss sowie das typische Schlagbolzenschloss. Das 6-Schuss-Magazin entriegelt über eine Arretierung am Boden des Griffstückes. Zählt man das Magazin nicht mit, besteht die Simson aus gerade einmal dreißig Einzelteilen und ist ohne Werkzeug zu zerlegen. Außenliegende Bedienelemente gibt es keine; außer der manuellen Sicherung.

Die beschriebene Simson vorm Vergolden. Offensichtlich war
die Waffe ab Werk mit einem exklusiven Goldfinish versehen


Besonderheit: Sicherung
Der Hersteller weist hier auf eine Besonderheit hin. Im Gegensatz zu den meisten anderen Taschenpistolen mit 90-Grad-Sicherungen, muss der Sicherungshebel der Simson um volle 180 Grad gedreht werden, um die Waffe zu sichern oder zu entsichern. Ein versehentliches Entsichern beim Tragen in der Tasche, wäre somit ausgeschlossen.
Außerdem wirkt sich das Drehen der Sicherung direkt auf die Abzugsstange aus, welche in horizontaler Richtung verschoben wird. Im gesicherten Zustand ist die Abzugsstange somit vom Abzug getrennt. Es gibt in der Position „Gesichert“ also keine direkte Verbindung zwischen Abzug und Schlagbolzen mehr.

Auch an Lauf und Verschluss gibt es Spuren
der originalen Oberflächenveredlung


Zwei Varianten
Die Pistole Simson sollte die einzige Pistole der Suhler Simson Werke bleiben. Allerdings gibt es zwei Ausführungen, die als Mod. 1922 und Mod. 1927 bekannt sind. Die abgebildete goldene Simson ist Mod. 1927. Erkennbar ist diese zweite Variante vor allem an den Griffrillen am Verschluss (sog. Serrations). Beim Mod. 1927 sind das acht. Auch Ausführungen mit sieben Griffrillen sind beim Mod. 1927 bekannt. In der ersten Ausführungen sind es zwölf Serrations.
Die Oberfläche des Sicherungshebels ist verschieden gearbeitet. Bei der ersten Ausführung ist die Struktur konzentrisch. Beim Mod. 1927 besitzt die Sicherung eine Gitternetzstruktur.
Ein weiteres auffälliges Unterscheidungsmerkmal ist die Form des Griffstücks. Während der Rahmen der ersten Variante noch eine ovale Formgebung besitzt, ist Variante zwei gerade.

Vorserienmodell einer Simson Pistole Mod. 1922 mit Holzgriffschalen.
Die Waffe hat die Seriennummer 102 (Foto: Ed Buffaloe)


Nummernkreise
Die Seriennummer wurde bei Simson Pistolen untypischerweise an der Frontseite des Griffstücks eingestanzt sowie linksseitig am Lauf auf Höhe des Patronenlagers. Die Besonderheit hierbei ist, dass bei fünfstelligen Seriennummern lediglich die letzten vier Ziffern am Lauf gepunzt wurden.
Die niedrigste dokumentierte S/N ist die 102. Vermutlich handelt es sich dabei um einen Prototyp oder Vorserienmodell. Die Holzgriffschalen sind hier nicht geschraubt. Der Klemmmechanismus erinnert an den, der Ortgies Pistolen aus dem Jahr 1916.
Der Nummernkreis der ersten Variante mit Produktionszeitraum 1922 bis 1926 endet etwa bei S/N 2226. Was einen relativ geringen Produktionsausstoß vermuten lässt.
Die kleinste S/N von Variante 2 ist derzeit mit 2271 dokumentiert und stammt aus dem Jahr 1926 oder 1927. Die höchste S/N ist 34645 mit unbekanntem Produktionsjahr.
Seriennummern im Zehntausender Bereich sind nicht dokumentiert. Die derzeit bekannten Simson Pistolen weisen eine Lücke zwischen den S/N 4935 und 20379 auf, für die es bisher keine Erklärung gibt.

Die Holzgriffschalen sind bei der Vorserienfertigung nicht
geschraubt. Der Klemmmechanismus erinnert an die Ortgies Pistolen
(Foto: Ed Buffaloe)


Zerlegen der Simson

Das feldmäßige Zerlegen ist denkbar einfach. Nach Entfernen des Magazins wird der Zerlegehebel im vorderen Bereich des Abzugsbügels (in der Originalbeschreibung als „Haltehebel“ Bauteil Nr. 22 bezeichnet) durch den linken Daumen eingedrückt, während der rechte Daumen den Verschluss nach vorn schiebt und damit vom Griffstück trennt. Den rechten Daumen sichernd an das hintere Ende des Verschlusses / Schlittens zu legen, ist bei allen Taschenpistolen dieser Epoche eine gute Idee. Mitunter lässt sich so der Verlust der Schlagbolzeneinheit oder Teilen davon vermeiden.
Ist der Verschluss abgenommen, können Schlagbolzen (14) und Schlagfeder (15) entfernt werden.
Zum Entnehmen des Laufs muss der Schließfederbolzen (7) ungefähr einen Zentimeter zurückgezogen werden.

„Zweifelhafte Neuerungen“
Die Gebrauchsanweisung stellt auch heraus, dass die Konstruktion der Simson „klar und übersichtlich“ ist; sie „vermeide unnütze Spielereien und Experimente zweifelhafter Neuerungen“. Ruft man sich das Produktionsjahr 1927 in Erinnerung, kann schnell gemutmaßt werden, auf welche zweifelhaften Neuerungen im Pistolenbau die Simson & Co. Waffenwerke hier abstellen: Die Firma Walther aus dem benachbarten Zella-Mehlis erhielt 1927 den Gebrauchsmusterschutz für ihre neue „Selbstladepistole mit Revolverspannschloss mit Spannabzug“. Die ab 1929 unter der Bezeichnung Walther PP weltweite Bekanntheit erlangen sollte und alle anderen Pistolenhersteller in Zugzwang brachte. Die Firmen J. P. Sauer & Sohn (Suhl) und die Mauser Werke AG (Oberndorf) reagierten mit Neuentwicklungen vergleichbarer, möglichst besserer Abzugssysteme.



Weltwirtschaftskrise
Die abgebildete Simson Taschenpistole erhielt zwar im Jahr 2016 eine Neuvergoldung, es gilt dennoch als sicher, dass die Waffe im Original schon vergoldet war. Anhand der Seriennummer 29766 dürfte das Produktionsjahr zwischen 1929 und 1933 zu verorten sein. In diesen Jahren herrschte auch in Deutschland Weltwirtschaftskrise einhergehend mit Hyperinflation, Existenz- und Hungersnot. Die Käuferschicht für eine derartige elegante, prunkhafte Waffe dürfte damals einige hundert Personen nicht überstiegen haben.

Neuvergoldung 2016
Bei der Anschaffung im Jahr 2016 war die ursprüngliche Vergoldung sehr abgenutzt. Die Simson wies aber weder Rost- noch Gerbsäurelöcher auf und alle Beschuss- und Waffenzeichen waren noch sehr tief eingeschlagen. Die neue Vergoldung wurde im Galvanik-Verfahren aufgebracht. Dazu wurde die Waffe komplett zerlegt und der Lauf mit Fett gefüllt. Das Ergebnis kann sich sehen lassen und macht die Simson für jede Taschenpistolensammlung zu etwas Besonderem.

Literaturempfehlung
Simson: Vom unwahrscheinlichen Überleben eines Unternehmens 1856-1993
von Ulrike Schulz

Literaturempfehlung



Technische Daten
Modell: Selbstladepistole Simson D. R. P.
Hersteller: Waffenfabriken Simson & Co., Suhl
Produktionszeitraum: 1922 bis 1936?
Waffenart: unverriegelter Masseverschluss
Kaliber: 6,35 mm Browning (.25 ACP)
L x B x H: 114 x 20 x 80 Millimeter
Lauflänge: 55 Millimeter
Gewicht: 380 Gramm
Magazinkapazität: 6 Patronen

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