Dienstag, 22. Juni 2021

Glock Gen5 New York Trigger

 

Die Langzeittestwaffe Glock 17 Gen5 erhält probeweise den sog. New York Trigger. Der NY-Trigger Gen5 ist erst seit wenigen Tagen verfügbar und wird in zwei Ausführungen angeboten: In schwarz und grau. Auf einem 3-Tages-Kurs Robust Pistol Management® wurde der schwarze Gen5-NY-Trigger probeweise eingebaut und mit einer Gesamtschusszahl von 500 Schuss getestet


Im Steuerblock ersetzt der NY-Trigger Gen5 die Gen5-Abzugsfeder.
Rechts im Bild zwei NY-Trigger der Gen5 im Farbton Grau,
welche die härtere Ausführung sind



Historie: New York Trigger
Als sich die New Yorker Polizei in den 1980er Jahren dazu entschied, ihre Beamten mit Glock Pistolen auszurüsten, wollte man ihnen den Wechsel vom Revolverabzug auf den Glock Safe Action Abzug erleichtern. Glock überarbeitete den Abzugsmechanismus grundlegend und entwickelte eine Abzugsfeder, die unter dem Name „New York Trigger Spring“ in die Waffengeschichte einging. Die Waffe erhält damit eine andere Abzugscharakteristik, welche an einen Double-Action Abzug angelehnt ist. Sowohl Abzugsvorweg als auch Abzugswiderstand erhöhen sich.
Von Kritikern wird der New York Trigger gern als unbeherrschbar beschrieben. Fälschlicherweise folgt man mit dieser Denkweise der Meinung, die Präzision einer Waffe erhöhe sich, wenn ihr Abzugswiderstand geringer wird. Das ist aber nicht der Fall. Leichtere Abzüge kaschieren bis zu einem gewissen Grad lediglich einen vorhandenen Abzugsfehler des Schützen. Sie helfen aber keineswegs dabei, diesen motorisch bedingten Abzugsfehler zu beheben. Ganz im Gegenteil: Durch fortgesetztes falsches Üben schleift sich der Abzugsfehler mehr und mehr ein. Darüber hinaus stellen leichte Abzüge eine Gefahr dar, wenn in Stresssituationen das Ausführen von feinmotorischen Bewegungen nicht mehr funktioniert.

Zugbelastet vs. druckbelastet
Die technische Umsetzung eines New York Trigger ist simpel: Während beim Standard Glockabzug die Abzugsfeder permanent unter Zug steht und bis zur Schussauslösung noch weiter gespannt, d.h. „gezogen“ werden muss, steht die New York Abzugsfeder permanent unter Druck. Zur Schussauslösung wird sie über den Abzug und die Abzugsstange weiter komprimiert.
Ab der Glock Generation 5 wurde die Abzugseinheit neu konstruiert. Die neue Gen5 Abzugsfeder ist jetzt ebenfalls nur druckbelastet, was ein Reißen ausschließt.
Der Gen5-NY-Trigger im Farbton schwarz ist der leichtere von beiden und erreicht in Verbindung mit einer Minus-Steuerfeder und der Standard-Schlagbolzenfeder (24 Newton) ein Abzugsgewicht von etwa 3 Kilogramm.
Der Gen5-NY-Trigger (grau) bringt deutlich mehr Abzugsgewicht und bricht bei etwa 3,3 bis 4,3 Kilogramm.


Der 100-m-Simulationsdrill fehlerfrei
mit dem Gen5-NY-Trigger (Schwarz)



Praxistest
Auf einem 3-Tages-Kurs Robust Pistol Management® wurde der schwarze Gen5-NY-Trigger probeweise eingebaut und mit einer Gesamtschusszahl von 500 Schuss getestet. Trotz des höheren Abzugsgewichts wurden verschiedene Standardübungen ohne Präzisionsverlust absolviert. Der 3-kg-Abzug führt zu mehr Konzentration auf das Abkrümmen, was der Entwicklung hin zu einer guten Abzugskontrolle eher dienlich ist. Gleichwohl bleibt der NY-Trigger für einen Schießkurs mit relativ hoher Schussbelastung von 500 Schuss eine Kraftanstrengung.
Negativen Einfluss auf die Präzision hat das höhere Abzugsgewicht jedenfalls nicht.


Auch der Links/Rechts-Dot-Drill konnte
fehlerfrei geschossen werden:
1. Zeile: Beidhändig Rechts
2. Zeile: Einhändig Rechts
3. Zeile: Einhändig Links
4. Zeile: Beidhändig Links



Service
100-m-Simulationsdrill
Links/Rechts-Dot-Drill
Mehr zum Thema New York Trigger in Waffenkultur Nr. 59 ab 30. Juli 2021

 

 

Mittwoch, 16. Juni 2021

Langzeittest: Black Label M4 – Nr. 154

 

Gewehrmodul CCO

Gesamtschusszahl: 15.850 + 250 = 16.100
Davon mit SD: 860
Neuer Lauf bei: 13.400

Störungen Typ I: 0
Störungen Typ II: 0
Störungen Typ III: 0
Störungen Typ IV: 0



Schwerpunktthema des Juni-CCO waren unkonventionelle Schießpositionen, wie bspw. SBU-Prone, Modified Prone, Reverse Rollover oder Supine. Das Black Label absolvierte 250 Schuss und knackte damit die 16.000er-Marke ohne eine einzige Störung. Aufgrund des relativ geringen Gesamtgewichts bietet die Waffe auch auf mehrtägigen Kursveranstaltungen eine Menge Schießspaß ohne nennenswerte Ermüdungserscheinungen beim Anwender. Wegen der robusten Waffenkonstruktion muss man sich auch keine Gedanken zu übertriebenen Reinigungsintervallen oder einer Zwischenreinigung während des Kurses machen. Das Black Label M4 läuft einfach.
Zu den unkonventionellen Schießpositionen wird es in Kürze eine Artikelserie geben.

Darüber hinaus erfüllte die Waffe den 2-Promille-Drill:



den 10/14-Drill:



sowie die Schießübung Rifleman. Auffällig war hierbei, dass die Schussgruppen zwar von der Größe her gut sind aber signifikant tief liegen. Vermutlich hatte das direkte und grelle Sonnenlicht aus zwölf Uhr einen negativen Einfluss auf das Nutzen der Offenen Visierung.




Archiv
Beginn des Langzeittest im September 2014


Montag, 14. Juni 2021

Infanterieporträt (1): Die Chindit

 

In einer neuen Artikelreihe stellen wir ausgewählte Infanterieeinheiten und ihre Gewehre vor. In unserem ersten Porträt verschlägt es den Leser zu den Chindit nach Südostasien


Von Christian Väth

Abgeleitet vom burmesischen Chinthe, einem löwenähnlichen Tempelwächter, nannten sich die Soldaten eines ab 1942 aufgestellten britischen Infanterieverbandes Chindit. Der Ausbildungs- und Führungsstab unter ihrem Kommandeur Orde Wingate entwickelte in den folgenden Kriegsjahren Verfahren für eine flexible Dschungelkriegführung. Ihre Struktur und ihr Einsatz gelten seither als Blaupause für alle westlichen Einheiten, die sich auf ein solches Umfeld vorbereiten müssen. Ihre neuen Taktiken mussten die Chindit mit der regulären Infanteriebewaffnung umsetzen – vor allem mit dem Lee-Enfield Gewehr.

Schnittmodell eines Lee-Enfield No. 4 Mk. I:
Anders als beim vorhergehenden SMLE Mk. III endet
der Lauf nicht direkt mit dem Schaft (Foto: Royal Armouries)


Standardgewehr
Mit dem Lee-Enfield Gewehr führte Großbritannien als erste große Nation ein verkürztes Standardgewehr ein. Für den Infanteristen, so die gängige Meinung der Zeit, wurde zwingend eine Waffe mit möglichst langem Lauf benötigt. Im Dezember 1902 offiziell als Short, Magazine Lee Enfield Rifle (Korrekte Bezeichnung immer mit Komma nach Short, abgekürzt: SMLE Rifle) eingeführt, blieb es in verschiedenen Modifikationsstufen bis in die 1950er-Jahre im Dienst. Ab 1906 wurde die Variante Mk. III millionenfach gefertigt. Sie ist leicht an ihrem markanten Vollschaft in Stutzenform erkennbar. Mit einem zehn Patronen fassenden Magazin, hoher Robustheit und seinen kompakten Abmessungen eignete es sich hervorragend als Infanteriegewehr. Die englische Schießausbildung legte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts großen Wert auf Präzision bei schnellen Schussfolgen mit Zielwechseln und nutzte damit die Möglichkeiten des SMLE Rifle voll aus. Die hohe Leistungsfähigkeit britischer Gewehrschützen zeigte sich dann auch in den ersten Kriegswochen 1914. In den Zwischenkriegsjahren änderte sich wenig an der bewährten Gewehrausbildung. Kurz vor Kriegsbeginn wurde die Version No. 4 Mk. I eingeführt. Im Zweiten Weltkrieg kamen alle Varianten des SMLE zum Einsatz, da vor allem in den ersten Kriegsjahren jedes britische Gewehr dringend benötigt wurde. Die Waffen wurden außerdem in Lizenz im Ausland gefertigt, so beispielsweise in Australien (Lithgow). In beiden Weltkriegen und im Koreakrieg wurden außerdem erhebliche Mengen zu Scharfschützengewehren umgerüstet. In dieser Rolle blieb das Lee-Enfield auch weit über seine Ausmusterung als Standardgewehr hinaus im Einsatz.

Einsatzraum Südostasien
Mit dem japanischen Angriff auf den US-amerikanischen Marinestützpunkt Pearl Harbour am 7. Dezember 1941 begann der Pazifikkrieg. In wenigen Monaten brachten die japanischen Streitkräfte den gesamten Westpazifik unter ihre Kontrolle und erschwerten durch die Einnahme Burmas alliierte Unterstützung der Chinesen. Die Streitkräfte des Commonwealth konnten mit Mühe eine Front in Ostindien halten und Australien bereitete sich auf eine mögliche Invasion vor. Die zahlreichen Niederlagen, die japanische Luft- und Seeüberlegenheit sowie die gnadenlosen Umweltbedingungen demoralisierten die alliierten Truppen in diesem Operationsgebiet. Unter Generälen und Soldaten baute sich der Mythos vom unbesiegbaren japanischen Soldaten aus, der sich angeblich von Natur aus besser für den unerbittlichen Kampf im Dschungel eignete. Tatsächlich profitierten die japanischen Kommandeure von einer auf Mobilität ausgelegten Struktur ihrer Infanterieverbände und der Zähigkeit ihrer Männer. Diese war weniger von Natur aus gegeben, als das Ergebnis einer harten Ausbildung, enormer Disziplin und den kulturellen Besonderheiten der japanischen Gesellschaft. Den gut vorbereiteten Japanern standen hauptsächlich alliierten Garnisonkräfte gegenüber, die durch die Kämpfe in Europa und Afrika von geringer Zahl und eher dürftig ausgerüstet waren. Auch die Ausbildung dieser Einheiten war für den die Pazifikregion eher ungenügend. Geräte und Waffen wurden für den europäischen Kriegsschauplatz gefertigt und waren deshalb nur bedingt für die hohe Luftfeuchtigkeit geeignet. Britische Waffenkammern hatten zu dieser Zeit nur leidliche Kompromisse anzubieten. Die Sten-Maschinenpistole war zwar weit verbreitet, kompakt und von geringem Gewicht, allerdings zeigte das Pistolenkaliber im dichten Dschungel nicht die gewünschte Penetrationsleistung. So wurden vermehrt „leichte“ Bren-Maschinengewehre eingesetzt, die über eine höhere Feuerkraft verfügten. Die bekannte Zuverlässigkeit der Bren bestätigte sich auch in Burma. Dafür sorgten einige Konstruktionsmerkmale, die sich noch heute in Gebrauchswaffen finden lassen: Schnell wechselbarer Lauf, verstellbare Gasabnahme und verschließbarer Hülsenauswurf. Allerdings war das Maschinengewehr tschechischen Ursprungs mit über zehn Kilogramm kein Leichtgewicht. Das sehr robuste SMLE zeigte noch den geringsten Pflegeaufwand unter den vorherrschenden klimatischen Bedingungen. Die hohe Luftfeuchtigkeit forderte das Material mangels moderner Oberflächenbeschichtung trotzdem. In der Einsatzausbildung wurde der Reinigung und Pflege aller Handwaffen daher zu Recht besondere Aufmerksamkeit gewidmet.

SMLE Mk. III von 1918 mit Granatbecher
für Mills-Granaten (Foto: Royal Armouries)


Einsatzkonzept
Die Chindit waren reguläre Infanteriekräfte, die in Britisch-Indien eine intensive Spezialausbildung durchliefen. Das Einsatzkonzept (long-range penetration) stammte von Orde Wingate - einem britischen Offizier, der bereits in Britisch-Palästina und Äthiopien umfangreiche Erfahrungen in unkonventioneller Kampfführung sammeln konnte. Dort unterstand er General Archibald Wavell, dem Kommandeur des Middle East Command. Als dieser das India Command übernahm und nun den angreifenden Japanern gegenüberstand, forderte er Wingate an, um dessen Konzept der Tiefenpenetration auch in Burma anzuwenden. Die dort eingesetzten Einheiten sollten Kommunikations- und Transportnetze des Gegners angreifen und so eine Verstärkung der Sicherungsmaßnahmen erzwingen, um zunehmend Kräfte jenseits der Front zu binden. Dazu sickerten sie sowohl im Landmarsch durch den Dschungel als auch per Luftlandung und -transport in ihre Einsatzräume ein. Vor Ort wurden sie dann für bis zu 90 Tage ausschließlich aus der Luft versorgt. Ein dauerhafter Kampf als Guerillatruppe oder eine Ausbildung der indigenen Bevölkerung vor Ort war nicht vorgesehen. Neben dem Dschungelkampf gegen die Japaner stellten Krankheiten und die klimatischen Bedingungen besondere Anforderungen an das Personal. Der erste Einsatz der Chindit, Operation Longcloth ab Februar 1943, war zeitgleich die erste erfolgreiche Offensivoperation der Alliierten im Pazifikkrieg überhaupt und hatte einen nicht zu unterschätzenden Effekt auf die Moral der Truppen.

Die Chindit
Nur fünf Prozent der Männer unter Wingate waren Freiwillige. Die ersten Dschungelkampfeinheiten wurden aus der 77th Indian Infantry Brigade geformt, die bei Ausbildungsbeginn im Sommer 1942 aus drei Verbänden bestand. Das 13. Battalion des King’s Regiment bestand ausschließlich aus Einwohnern Liverpool’s, vorwiegend aus älteren Jahrgängen. Dazu kamen ein gerade erst neuaufgestelltes Gurkha-Bataillon und das zweite Bataillon der Burma Rifles, welches vorwiegend aus weißen Einwohnern Britisch-Indiens und Burmesen rekrutiert wurde. So dienten in dieser Brigade Briten, Inder, Nepalesen, Burmesen und Kolonialbriten. Dabei wurde vor allem dem Liverpooler Regiment von einigen höheren Offizieren von vornherein die Eignung zum Dschungelkampf abgesprochen. Traditionell wurden in tropischen Regionen Kolonialtruppen aus Indien und Afrika unter britischer Führung eingesetzt, die Ausbildung von Briten aus dem Heimatland für eine solche Umgebung hielten viele Offiziere für eine wahnwitzige Idee. Für die zweite, deutlich größere Operation 1944 wurde das Truppenkontingent vervielfacht: Insgesamt wurden Wingate sechs Brigaden unterstellt, davon drei aus der kampferprobten 70th Infantry Division des Middle East Command. Ergänzt wurde der beschriebene Personalkörper durch Kaderpersonal der ehemals in Burma gelegenen Bush Warfare School. Einige Ausbilder dieser Schule, allen voran der Offizier James Michael „Mad Mike“ Calvert, unterstrichen ihre Reputation, indem sie sich nach dem verheerenden Angriff der Japaner bis nach Britisch-Indien durchschlugen. Trotz aller Vorbereitungen erlitten die Chindit stets schwere Verluste. Während durch Kampfhandlungen mit den Japanern weniger Kämpfer ausfielen als erwartet (15 anstatt 35 Prozent), war die Ausfallrate durch Krankheiten deutlich höher als angenommen (70 anstatt 50 Prozent). Durchschnittlich kehrten nur etwa zehn Prozent der Kolonnen halbwegs einsatzbereit zurück. Fast jeder Überlebende erkrankte bis zum Ende eines Einsatzes an Malaria.

Enfield-Generationen: SMLE Mk. III aus dem Ersten Weltkrieg
und aus den Zwischenkriegsjahren, Lee-Enfield No. 4 Mk. I
und No. 5 Mk. I (Foto: Imperial War Museum)


Ausbildung
Orde Wingate war davon überzeugt, dass jede beliebige Einheit durch eine entschlossene Führung, eine realitätsnahe Ausbildung und intensives körperliches Training für eine Operation nach seinem Konzept befähigt werden konnte. Die Vorbereitungsdauer war angesichts der Aufgabe mit 20 Wochen nicht sonderlich lang. Die Chindit erhielten in dieser scheinbar kurzen Zeit allerdings ausschließlich relevante Ausbildung mit unmittelbarem Praxisbezug. Wingate fungierte selbst als Ausbildungsleiter. Gemeinsam mit einigen handverlesenen Offizieren und Unteroffizieren formte er aus der Brigade im zentralindischen Urwald insgesamt acht sogenannte Kolonnen zu je etwa 300 Mann. Bei der Ausbildung der eingeteilten Führer legte er besonderen Wert darauf, dass jede Entscheidung durch den Kolonnenführer ruhig und sachlich allen Männern unter Anführung der Vor- und Nachteile präsentiert wurde. Diese umfangreichen Befehlsausgaben sollten Führungsentscheidungen für jeden nachvollziehbar gestalten und den Zusammenhalt fördern. Wingate war dafür bekannt, bei den Abschlussübungen der Ausbildungsphasen die eingeteilten Führer gnadenlos auszuwerten und bei Bedarf auszutauschen, sollten diese nicht seine Standards erfüllen können. Jeder Chindit wurde an allen Waffen und Geräten, die mitgeführt wurden, ausgebildet. So sollten Verluste in der isolierten Kampfgemeinschaft besser kompensiert werden. Wingate war auch der festen Überzeugung, dass jeder Soldat sein eigener Sanitäter sein musste und ließ dementsprechend eine erweiterte Ersthelferausbildung sowie tropenmedizinische Anteile in das Curriculum einfließen. Von jedem Einzelnen wurde außerdem eine enorme körperliche Leistungsfähigkeit verlangt. Höchst anstrengende, tagelange Fußmärsche durch dichten Dschungel über viele Höhenmeter waren die Regel. Dem Ausbilderkorps war von Beginn an die extreme physische Belastung bewusst, der die Männer ausgesetzt sein würden. Anders als es anhand regulärer Dienstvorschriften vorgesehen war, konnte kein Kolonnenführer ausgeruhte Truppen im Gefecht führen. Es soll sogar Feuergefechte gegeben haben, bei denen einzelne Soldaten trotz des Lärms einfach in der Stellung einschliefen.

Spezialumbau von 1916 für den Grabenkrieg für den Schuss
aus der vollen Deckung (Foto: Royal Armouries)


Das SMLE im Urwald

Bei den Feuergefechten der Chindit kam es in fast allen Fällen zu drei ganz bestimmten Formen des Gefechts. In der ersten Operation dominierte das Begegnungsgefecht auf kurze und kürzeste Entfernung sowie der spontane Feuerüberfall mit geringer Vorbereitungszeit. Im zweiten Unternehmen 1944 kam es vor allem zu sehr harten Kämpfen um die errichteten Stützpunkte unter massiver Nutzung schwerer Infanteriewaffen und Luftunterstützung. Wie geeignet war das SMLE Rifle für dieses Aufgabenspektrum? Begegnet man einem Gegner im Nahbereich kommt es auf Schnelligkeit an. Der treffsichere und schnelle erste Schuss ist maßgeblich. Durch seine kompakte Bauweise eignete sich das britische Standardgewehr verglichen mit anderen Infanteriegewehren hier besser. Allerdings waren solche Duellsituationen kaum Bestandteil der damaligen Schießausbildung. Wer also mit dem ersten Schuss nicht treffen konnte, musste zu einer halb- oder vollautomatischen Waffe greifen, um diesen Mangel durch ein entsprechendes Feuervolumen kompensieren zu können. Genau das wurde durch die verstärkte Nutzung von leichten Maschinengewehren, Maschinenpistolen und halbautomatischen Gewehren auch gemacht. Der eigentlich naheliegende Einsatz von Flinten ist für die Chindit nicht in nennenswertem Umfang nachgewiesen. Bei US-amerikanischen Sondereinheiten und der US-Marineinfanterie waren sie im Pazifik jedoch weit verbreitet. Für den spontanen Feuerüberfall eignete sich sowohl das SMLE als auch die Ausbildung der britischen Gewehrschützen sehr gut, entsprechend hoch waren die japanischen Verluste in diesen Gefechtssituationen. Der Kampf um die Dschungelstützpunkte hingegen geschah nicht ad hoc und konnte meist über Tage oder gar Wochen vorbereitet werden. Aus einer vorbereiteten Stellung mit freigeschlagenem Schusskanal konnte der Soldat mit seinem SMLE vernichtende Wirkung entfalten. Insgesamt waren alle Gefechtsaufgaben mit dem Standardgewehr lösbar, allerdings ist es verständlich, dass an der Spitze einer Kolonne eher automatische Handwaffen zum Einsatz kamen.

Technische Anpassung an die Umwelt

Der britischen Rüstungsindustrie gelang es nicht, zu Kriegszeiten eine geeignete, spezialisierte Bewaffnung für den südostasiatischen Dschungel zu liefern. An Versuchen hat es jedoch nicht gemangelt. Belegt ist beispielsweise die Herstellung von Prototypen bereits eingeführter Waffen, bei denen möglichst viele Bauteile durch weniger rostanfällige Materialien ersetzt wurden. Auch eine Spezialversion des Standardgewehres kam zum Einsatz: das Rifle No. 5 Mk I. Auf dem historischen Waffenmarkt wird dieses Gewehr als „Jungle Carbine“ bezeichnet, wobei umstritten ist ob dieser Begriff im Zweiten Weltkrieg breite Verwendung fand. Im Wesentlichen handelte es sich dabei um ein um 12,7 Zentimeter verkürztes No. 4 (Lauflänge 52,1 Zentimeter). Der charakteristische konische Mündungsfeuerdämpfer erforderte auch die Einführung eines eigenen Bajonetts. Trotz einer dicken Schaftkappe aus Gummi war der Rückstoß wohl unangenehm und die Waffe wurde von der Truppe nie wirklich akzeptiert. Allerdings muss sie sich ganz hervorragend zum Verschießen von Granaten aus der Schulter oder (angestellt wie ein Mörser) vom Boden geeignet haben. Bis zu 230 Meter weit war ein gezielter Treffer nach Gefechtsberichten der Chindit wohl möglich. Dazu wurde eine zusätzliche Schaftkappe aufgezogen und ein Mörservisier montiert.

Mit Wangenauflage modifiziertes SMLE Mk. III für den
Scharfschützeneinsatz (Foto: Imperial War Museum)


Fazit
Der Einsatz der Chindit in Burma zeigte, dass keine der eingesetzten Feuerwaffen uneingeschränkt für ein tropisches Umfeld mit wechselnden Kampfentfernungen geeignet war. Entweder war die Feuerkraft zu gering oder das Gewicht zu hoch. Über ein Sturmgewehr konnten die Briten nicht verfügen. Doch auch der Vietnamkrieg einige Jahrzehnte später zeigte, dass auch diese Lösung kein Allheilmittel ist, solange die Ausbildung nicht realitätsnah ist. Mangels geeigneter Zieldarstellung, Wissen und Erfahrung um zeitkritische Bekämpfungsvorgänge konnte die zeitgenössische Schießausbildung den Soldaten nicht hinreichend auf Duellsituationen im Dschungel vorbereiten. Allerdings hatte diese Lücke nur einen geringen Einfluss auf die Kleingruppentaktik und war für den Ausgang der Operationen bedeutungslos. Die Fähigkeit Vernichtungshinterhalte durchzuführen war hingegen von Bedeutung. Hier brillierten die britischen Soldaten durch eine Ausbildung, die sichere Treffer in schneller Folge zum Ziel hatte. Genau für diesen Zweck wurden das SMLE und seine Varianten gefertigt und mit Erfolg verwendet.

Mehr dazu in Waffenkultur Nr. 58

Freitag, 4. Juni 2021

Häufige Fehler beim Trockentraining

 

Trockentraining ist weder Selbstzweck noch Bewegungstherapie. Es sollte vielmehr integraler Bestandteil eines Gesamtkonzepts für die Ausbildung an der Waffe sein. Fehler in der Durchführung machen jedoch den Trainingserfolg zunichte, bevor er sich überhaupt einstellen konnte



Von Arne Mühlenkamp

Die Parallelen zwischen effektiven Fitnesstraining und Trockentraining sind nicht von der Hand zu weisen. Viel hilft nicht immer viel. Und manchmal ist zu viel gleichbedeutend mit kontraproduktiv. Beim Kraft- oder Ausdauersport führen falsche Bewegungsabläufe im schlimmsten Fall zu Verletzungen; beim Trockentraining zu Fehlkonditionierung und Trainingsnarben. Allein das Wissen um mögliche Fehler kann Trockentraining effektiver machen.
Beobachtet man die Ausführung von Trockenarbeit oder analysiert evtl. vorhandene Ausbildungskonzepte, fallen immer wieder ähnliche Fehler auf. Diese lassen sich in sieben Punkten kategorisieren:

- zu wenig
- zu oft
- Dauer der Sitzung zu lang (> 15 Minuten)
- willkürliche Bewegungsabläufe ohne methodische Grundlage
- zu viele verschiedene Elemente in einer Sitzung
- ohne Bezug zum scharfen Schuss
- Geistesabwesend ohne Aufmerksamkeitsregulation und Selbstgewahrsein

Zu wenig / zu oft
Eine genaue Definition von zu wenig / zu oft ist stark abhängig vom Leistungsstand, vom angestrebten Lernziel sowie den verfügbaren (zeitlichen) Ressourcen. Verallgemeinernd lässt sich sagen, dass einmal im Monat zu wenig ist und tägliches Trockentraining hingegen bestimmt zu viel; und ehrlicherweise auch kaum in den Alltag eines Privatiers integrierbar. Mit zwei bis drei Trockentrainingseinheiten pro Woche kann ein großer Leistungsfortschritt erreicht werden. Der Schlüssel liegt auch in der Regelmäßigkeit.

Gesamtdauer der Sitzung
Trockentraining richtig angewandt, führt zu einer mentalen Anspannung, die kaum mehr als zehn bis 15 Minuten am Stück aufrechterhalten werden kann. Über dieses Zeitfenster hinausgehend schwindet die Konzentration, Bewegungsabläufe verwässern und Trockentraining erhält einen kontraproduktiven Effekt. Es ist daher ratsam, die Sitzung konsequent nach spätestens 15 Minuten abzubrechen.

Ohne methodische Grundlage
Bevor das Üben beginnt, sollte verstanden worden sein, was geübt werden soll. Eine konzeptionelle und methodische Grundlage muss vorhanden sein, um willkürliche Bewegungsabläufe zu vermeiden. Die Konsultation eines kompetenten Ausbilders ist hier unumgänglich. Ein relativ komplexer Bewegungsablauf, wie beispielsweise der Ziehvorgang einer Kurzwaffe aus dem Holster, sollte nicht autodidaktisch erlernt werden, sondern unter den Augen und mit Hilfestellung eines Trainers. Bewegungsabläufe dürfen während der Trainingssitzung nicht verwässern. Trockentraining bedeutet, eine einhundert Prozent wiederholgenaue Reproduktion eines einhundert Prozent korrekten Bewegungsablaufs. Ohne methodische Grundlage bleibt Trockenarbeit „Rumgehampel“.

Zu viele verschiedene Elemente
Mentale Kapazitäten sind begrenzt. Der Aufmerksamkeitsfokus schnell erschöpft. Das gilt sowohl für die Dauer der Sitzung als auch für die Vielschichtigkeit der zu übenden Elemente. Der Bewegungsablauf „Ziehvorgang“ dient wiederum als Beispiel des maximal machbaren. In einer Sitzung, in der ein Ziehvorgang geübt wird, sollten andere Elemente, wie z.B. Ladetätigkeiten oder Störungsbeseitigung, ausgeklammert bleiben.

Ohne Bezug zum scharfen Schuss

Trockentraining vom scharfen Schuss zu entkoppeln, ist erfahrungsgemäß einer der größten Fehler überhaupt. Trockentraining dient vor allem einem Ziel: Den scharfen Schuss präziser und schneller anbringen zu können. Findet permanent eine mentale Entkopplung vom scharfen Schuss statt, wird dieses Ziel verfehlt.
Soll im Trockentraining die Abzugskontrolle geschult werden, ist es falsch, beim Abkrümmen das „Klick“ zu erwarten. Jedes Abkrümmen ist eine in sich geschlossene Trainingseinheit für den Abzugsfinger. Jeder Schuss wird so abgegeben, als wäre es der Schuss, auf den ankommt. Im Trockentraining sollte der Anwender immer den Schuss erwarten (und seine Trainingsumgebung entsprechend präpariert haben). Aus diesem Grund endet auch jeder Ziehvorgang mit einem korrekten Visierbild. Befindet sich der Anwender gleichzeitig im natürlichen Zielpunkt, endet jeder Ziehvorgang mit einem Visierbild und einem Haltepunkt.

Geistesabwesend
Aufmerksamkeitsregulation und Selbstgewahrsein sind zwei willkommene Begleiterscheinungen von regelmäßigem Trockentraining. Die Fähigkeit, „im Augenblick zu sein“ oder „im Jetzt und Hier“ sind oft gehörte Metaphern aus dem Leistungssport. Trockenarbeit schult nicht nur schießtechnische Fertigkeiten, sondern auch Konzentrationsvermögen und damit mentale Stärke. Über die Gesamtdauer einer Sitzung fokussiert zu bleiben, ist das, was Trockenarbeit anstrengend macht; aber auch die Ursache, die zur mentalen Entspannung und dem Abbau von Alltagsstress beitragen kann.

Fazit
Bei Beachtung dieser sieben Punkte lässt sich die Trockentrainingssitzung von „unkoordiniert, plan- und konzeptlos“ in eine hocheffiziente, leistungssteigernde Trainingseinheit verwandeln. Eine regelmäßige Durchführung unterstützt den Lernfortschritt wesentlich besser als zeitlich ausgedehnte Einzelsitzungen.

Service
Die Ausbildungsmethode des Integrierten Trockentrainings ist Lehrinhalt der Kursmodule Surgical Speed Shooting und Robust Pistol Management bei Akademie 0/500®


Mittwoch, 2. Juni 2021

Leseempfehlung: Assassin for the State

 

Eugene de Kock: Assassin for the State
von Anemari Jansen

Taschenbuch: 368 Seiten
Verlag: Tafelberg (Mai 2015)
Sprache: Englisch
ISBN-13: 978-0624075738
Preis: 25,40 Euro
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Das Urteil des Südafrikanischen Gerichtshofs am 30. Oktober 1996 war eindeutig: Eugene de Kock, „The Prime Evil“, wurde in 121 Anklagepunkte für schuldig befunden und zu einer Haftstrafe von zweimal lebenslänglich plus 212 Jahre verurteilt. Während des Gerichtsprozesses erfuhren die Südafrikaner und der Rest der Welt erstmalig und detailliert von der Existenz der Einheit „Vlakplaas“: Den südafrikanischen Todesschwadronen.
Die gebürtige Südafrikanerin Anemari Jansen besuchte Eugene de Kock über viele Jahre hinweg immer sonntags im Hochsicherheitsgefängnis von Pretoria. Sie gewann sein Vertrauen und war schließlich in der Lage, eine unglaubliche Biographie zu verfassen über das inhaltsreiche Leben eines Mannes, der sich selbst einmal als „Attentäter für den Staat“ bezeichnete.
Anemari Jansen gelingt es dabei sehr gut, die Perspektive einer journalistisch-neutralen Position aufrecht zu erhalten. Ohne Glorifizierung, Polemik oder Pauschalverurteilung. In Verbindung mit ihrem fesselnden Schreibstil wird das Buch besonders wertvoll.

Eugenes Leben beginnt im Januar 1949 und ist typisch für das Südafrika Mitte des 20. Jahrhunderts. Die Autoritäten eines heranwachsenden Jungen waren der Vater, der Lehrer und der Staat. Disziplin, Gehorsam, Fleiß und vormilitärische Ausbildung in der Schule bestimmten den Tagesablauf und das Fortkommen. Gefühle zu zeigen, galt als Schwäche. Aggressionen wurden beim wöchentlichen Spielen von Rugby abgebaut.
Im Alter von 19 Jahren trat Eugene der südafrikanischen Polizei (SAP) bei, die fortan seinen gesamten Lebensweg maßgeblich prägen sollte.

Aus politischen Gründen konnte das südafrikanische Militär den beginnenden Buschkrieg im Rhodesien der 1970er-Jahre nicht offiziell unterstützen. Also wurden polizeiliche Formationen, wie bspw. die PATU (Police Anti-Terrorism Unit) ins angrenzende Rhodesien geschickt. De Kock bekam erstmalig Berührung mit rhodesischen Kampfverbänden wie der Rhodesian Light Infantry (RLI), Rhodesian African Rifles (RAR) oder dem Rhodesischen SAS (RSAS). Insbesondere die RAR weckte das Interesse Eugene de Kocks: In diesem Verband dienten schwarze Soldaten unter weißen Offizieren. Für Eugene stellte diese Formation die Lösung im Kampf gegen afrikanischen Terrorismus dar.

Ab 1979 sollte er Gelegenheit haben, seine Erfahrungen beim südafrikanischen Pendant im Grenzkrieg zu Angola umzusetzen: De Kock war einer der ersten Soldaten im berüchtigten Koevoet Bataillon und schon bald kommandierender Offizier der Abteilung Zulu Delta.
Nach dreieinhalb Jahren Dienst bei Koevoet und mehr als 300 Feuergefechten gegen Angehörige der SWAPO, verließ de Kock auf eigenen Wunsch den Verband.
Die Führung der südafrikanischen Polizei beauftragte ihn mit der Gründung einer Sondereinheit, die kommunistischen Terror auf dem Staatsgebiet Südafrikas bekämpfen sollte. Offiziell wurde diese Einheit als C10; später als C1 geführt. Inoffiziell führte sie den Namen der Farm, auf der sie ihr Hauptquartier hatte: Vlakplaas. Für Eugene de Kock, der Vlakplaas im Rang eines Oberst mehrere Jahre lang befehligte, war das Tagesgeschäft schlichtweg eine Fortsetzung des Buschkriegs, wie er ihn an der Grenze zu Angola geführt hatte. Im Nachblick beschreibt de Kock es als eine Subkultur, die sich bei den zahlreichen und harten Kämpfen bei Koevoet manifestiert hatte und eins-zu-eins auf polizeiliche Taktiken im Inland übertragen wurde. Die Zerschlagung oppositioneller Gruppen, meist kommunistisch orientiert, erfolgte in Zusammenarbeit mit dem Inlandsgeheimdienst „Special Branch“ und mündete meist in der Ermordung von Apartheitsgegnern. Dabei rekrutierte sich Vlakplaas keineswegs nur aus weißen Südafrikanern. Zum Personalkader gehörten auch Schwarze und so genannte „TT“ (Turned Terrorists); also Gegner, die sich nach Gefangennahme und Verhör zu einer Zusammenarbeit mit Special Branch und Vlakplaas verpflichteten.

Mit dem Ende der Apartheit kamen immer mehr Details über die Todesschwadron an die Öffentlichkeit. Während südafrikanische Polizeiführer jede Verantwortung von sich wiesen und Politiker ihre Hände in Unschuld wuschen, war der Sündenbock schon längst gefunden. Der letzte Vlakplaas Kommandeur Eugene de Kock wurde stellvertretend für alle anderen Beteiligten angeklagt und vor Gericht gestellt.

Die Autorin Anemari Jansen wirft im Buch mehrmals die Frage auf, wie es möglich war, dass sich die Gewaltspirale im Apartheitssüdafrika derart weit drehen konnte. Die Antwort ist vielschichtig. Die rechtliche Grundlage legten die erweiterten Polizeigesetze aus dem Jahr 1963, die manchem Polizisten das Gefühl gaben, über dem Gesetz zu stehen. Der Korpsgeist einer Bruderschafts-ähnlichen Einheit anzugehören, regelmäßiger und geduldeter Alkoholmissbrauch und nicht zuletzt die Tatsache, sich blind in den Dienst einer Ideologie zu stellen.

Im Januar 2015 wurde Eugene de Kock begnadigt. Über den Zeitpunkt seiner Haftentlassung wurde jedoch Stillschweigen vereinbart. (hh)