Flinten sind seit Jahrhunderten als ziviles Jagd-, Sport-
und Verteidigungswerkzeug wohlbekannt. Die polizeiliche und militärische
Verwendung liegt für viele Leser eher im Dunkeln. Waffenkultur hat die moderne
Einsatzflinte betrachtet
Von Christian Väth
Von der ersten großflächigen Verbreitung von Feuerwaffen im
Zuge des 14. und 15. Jahrhunderts an, waren die Armeen dieser Welt mit
Langwaffen ausgestattet. Viele verschiedene Funktionsprinzipien und
Fertigungsweisen wurden in zahlreichen Kriegen ab dem späten Mittelalter
verwendet: Arkebusen, Tromblone, Musketen und viele andere Waffen verfügten
allesamt über einen glatten Lauf ohne Felder und Züge. Bis in das 19.
Jahrhundert standen sich ungezählte Infanteristen in Linien gegenüber, um auf
kurze und kürzeste Entfernung aufeinander zu feuern.
"Linieninfanterie" und "Linientaktik" sind Begriffe die aus
der technischen Begrenzung des glatten Rohres geboren wurden. Erst Mitte des
19. Jahrhunderts kam der waffentechnische Durchbruch und die massenhafte
Verbreitung des Gewehres in seiner heutigen Form. Trotz der Verdrängung von
Gewehren mit glattem Lauf sind Flinten vor allem für die militärische Nutzung
immer wieder neu entdeckt worden.
Ursprung
Überall auf der Welt wurden Musketen immer wieder mit mehr
als einem Geschoss geladen, um durch Streuung auf kurze Entfernungen eine
höhere Trefferwahrscheinlichkeit zu erzielen. Besonders ausgiebig wurde diese
Möglichkeit im 18. und 19. Jahrhundert in den heutigen Vereinigten Staaten von
Amerika genutzt - hier waren solche Ladungen als "buck and ball"
bekannt. Die Muskete wurde in Kombination mit diesem Kugel-Postenschrot-Gemisch
hinsichtlich der Kampfweis und Einsatzmöglichkeiten zum Vorgänger der ersten
Repetierflinten. Bereits 1887 entwickelte John Moses Browning mit dem
Winchester Model 1887 eine Unterhebelrepetierflinte, doch der Urvater aller
modernen Einsatzflinten und die erste relevante Vorderschaftrepetierflinte
überhaupt ist das Winchester Model 1897. Die erste behördliche Anwendung fand die
Waffe bereits in den 1890er Jahren bei der Aufstandsbekämpfung auf den
Philippinen sowie bei diversen Grenzkonflikten mit mexikanischen Banden. Die
europäischen Nationen waren hingegen vollkommen auf die Konfrontation großer
Heere in der offenen Feldschlacht eingestellt. Die militärische Nutzung von
Flinten war in dieser Zeit in Europa verschwindend gering bis nicht vorhanden.
Erste Vertreter der Einsatzflinte - Winchester "trench gun" aus dem ersten Weltkrieg (Foto: Winchester) |
Flinten im
Grabenkampf
Mit dem Eintritt der Vereinigten Staaten von Amerika in den
Ersten Weltkrieg, setzte die US-Infanterie zahlreiche Flinten (Winchester M97
und M12) im Grabenkampf ein - mit großem Erfolg. Beide Modelle erwiesen sich
als hoch effizient im schnellen Freikämpfen von Kampfständen und
Schützengräben. Hier wurde auch eine Art "Sturmschießen" mit der
Flinte angewendet: Den Abzug gedrückt haltend, wurde mit jedem Repetiervorgang
direkt eine Ladung abgefeuert. Es wurde fast ausnahmslos Postenschrot
("00-buckshot") verwendet. So wurden die Modelle von Winchester auch
als Grabenflinten ("trench gun") bekannt und waren eine willkommene
Ergänzung in der ansonsten mit Repetierbüchsen und leichten Maschinengewehren
wie dem BAR (Browning Automatic Rifle) oder der Lewis Gun bewaffneten
Infanteriegruppe. Das deutsche Kaiserheer schlug hier einen anderen Weg ein und
bevorzugte die Nutzung von modifizierten Pistolen (Luger 08 und Mauser C96) und
Maschinenpistolen (Bergmann-MP 18), die auch als "Grabenfeger"
berüchtigt waren.
Flinte der Generation drei - Benelli M4 Tactical, Basisversion der in den US-Streitkräften eingeführten M1014 JSCS (Foto: Benelli) |
Dschungelkampf
Die US-Streitkräfte setzten Flinten auf allen
Kriegsschauplätzen ein, besonders interessant ist jedoch deren Verwendung im
Pazifikkrieg. Beim Vorgehen im Dschungelkampf wurde sehr häufig ein
Flintenschütze an der Spitze eingesetzt, da keine andere Feuerwaffe auf kurze
Entfernung eine vergleichbare Ersttrefferwahrscheinlichkeit bieten konnte. Außerdem
zeichnete sich der grobe Funktionsmechanismus als äußerst zuverlässig unter den
widrigen Bedingungen amphibischer Landungen, bei denen Sand und Salzwasser
zahlreiche Störungen verursachen konnten. Allerdings zeigten sich die
eingeführten Flinten längerfristig wie andere Handwaffen auch anfällig für Rost
durch die enorme Luftfeuchtigkeit. Dieser Tatsache geschuldet wurden bis in die
1960er-Jahre (Einführung der Plastikkartusche) Flintenpatronen mit reinen
Messinghülsen verwendet, da gewachste Papierkartuschen unter der Feuchtigkeit
litten oder bei schnellen Schussfolgen durch schmelzendes Wachs zu Störungen
führten. Die im Kampf gegen die Japaner gewonnen Erfahrungen ließen die Flinte
bei vielen Nationen zu einer festen Größe im Dschungelkampf werden. Im Zuge der
postkolonialen Konflikte wurden Flinten durch die britischen Streitkräfte in
Burma und Malaysia, durch US-amerikanische Truppen im Koreakrieg und durch das
französische Heer in Indochina mit großem Erfolg eingesetzt. Flächendeckende
Verwendung fand das Waffensystem auch bei der US-Infanterie im Vietnamkrieg
sowohl im Häuser- als auch im Dschungelkampf.
Flinte der letzten Generation - Saiga 12K mit AK-Bedienelementen und Magazinzuführung (Foto: Kalashnikov Group) |
Häuserkampf
Ab den 1980er-Jahren wurde der Orts- und Häuserkampf in den
Streitkräften der NATO durch die zunehmende Verstädterung der Welt als Schlachtfeld
der Zukunft begriffen. Daraus resultieren zahlreiche Änderungen in der
taktischen Ausbildung und der Bewaffnung von Kampftruppen. Ein zentrales
Problem stellte dabei die Beschleunigung des für gewöhnlich sehr verlustreichen
und zeitraubenden Kampfes von Haus zu Haus dar. Um verbarrikadierte Türen
schnell und überraschend öffnen zu können wurden vermehrt Flinten mit
Zinkstaubpatronen eingesetzt, allerdings musste dazu neben dem Sturmgewehr eine
zweite Langwaffe mitgeführt werden. Der Hersteller Knight's Armament Company
entwickelte in den 1980er-Jahren zur Lösung dieses Problems die erste
Unterlaufflinte aus der Basis einer Remington 870 - den "Masterkey".
Das Flintenmodul konnte mittels Montage unter dem Handschutz eines
M16-Sturmgewehres angebracht werden und erhöhte das Waffengewicht um etwa 1,3
Kilogramm. Mittlerweile wird der dieses Modell mit Röhrenmagazin durch eine
Variante des Herstellers C-More mit Stangenmagazin ersetzt, dem M26 MASS
(Modular Accessory Shotgun System).
Die Einsatzflinte als Aufbruchwerkzeug in Verbindung mit Zinkstaubpatronen oder anderen spezialisierten Munitionssorten (Foto: Bundeswehr) |
Wundballistisches Potential
Der überragende Vorteil der Flinte liegt in der Wirkung von
Postenschrotpatronen auf kurze Entfernung. Die gewollte Streuung führt auch bei
geringem Ausbildungsstand zu einer enormen Ersttrefferwahrscheinlichkeit. Waffe
und Munition sind dabei auf eine hohe, direkte Energieabgabe bei geringer
Geschossgeschwindigkeit und Durchschlagsleistung ausgelegt. Das, im Vergleich
zu Pistolen- und Sturmgewehrgeschossen, wesentlich höhere Geschossgewicht führt
auch bei geschützten Gegnern zu schweren Sekundärverletzungen. Ergänzt wird das
Potential durch die in der polizeilichen Praxis vielfach belegte psychologische
Wirkung, die eine Flinte auf einen Kontrahenten haben kann: Die martialisch
anmutende Handhabung dieser Handwaffe hat schon einige Gegner zur Aufgabe
bewegt.
Klassische Vertreter der Flinte Generation zwei als moderne Einsatzflinte - die Mossberg 590-Serie (hier gezeigt) sowie die Waffenfamilie Remington 870 (Foto: Mossberg) |
Generationenunterschied
Flinten lassen sich grundsätzlich in vier Generationen
kategorisieren. Klassische Kipplauf-Jagdflinten stellen die erste Stufe dar,
Vorderschaft-Repetierflinten mit Röhrenmagazin die zweite und Halbautomaten mit
Röhrenmagazin die dritte. Die letzte Generation wird durch halb- und
vollautomatische Flinten mit Stangenmagazin repräsentiert. Rein
funktionstechnisch besteht kein Grund eine frühere Generation der Stufe vier
vorzuziehen: Sie vereint die größte Feuerkraft mit der einfachen Handhabung
eines Sturmgewehrs. Allerdings sind Vorderschaft-Repetierflinten günstiger,
weitgehend störungsfrei und robuster. Aus diesen Gründen hat sich dieser Typ
vor allem im polizeilichen und militärischen Bereich bewährt und stellt daher
den Standard dar.
Einfache Eisenvisierung (unten) oder modernere "ghost ring sights" mit Seitenschutz bilden die beste Wahl als robustes Mittel zur Zielerfassung (Foto: Mossberg) |
Der Standard
Die moderne Einsatzflinte bleibt also vorerst ein Vertreter
der Generation zwei im Standardkaliber 12/76. Das Waffensystem sollte dabei
über eine robuste Eisenvisierung verfügen. Schnittstellen für einen
Gewehrriemen sowie eine Mindestkapazität von sieben Patronen (sechs plus eins)
sind Pflicht, eine Picatinny-Schiene für Rotpunktvisiere und ein
Pistolengriffstück optional. Besteht die rechtliche Möglichkeit ein Waffenlicht
zu nutzen, ist das Nachrüsten eines Vorderschaftes mit integrierter Lichtquelle
anzuraten. Bei Röhrenmagazinen mit aufgeschraubten Endkappen (Beispiel:
Magazinerweiterungen für Modelle der Remington 870-Reihe) sowie jeglichen
Mündungsaufsätzen sollte als Handlungsroutine die regelmäßige Kontrolle auf
festen Sitz zwingend durchgeführt werden - diese Bauteile lösen sich
erfahrungsgemäß. Alternativ können die Gewinde auch mit Schraubenkleber
gesichert werden (Loctite 243). Bei der Wahl der Munition muss je nach
Waffenmodell individuell durch die Anwendung der Wirkungszonenmethode die
richtige Postenschrot- und Flintenlaufgeschosspatrone gefunden werden.
Ausblick
Im Jahr 1995 wurde eine Ausschreibung der US-Streitkräfte
veröffentlicht, die auf die Einführung einer halbautomatischen Flinte der
Generation drei abzielte. Der italienische Hersteller Benelli entwickelte
daraufhin die Benelli M4 Super 90, die ab 1999 als M1014 JSCS (Joint Services
Combat Shotgun) eingeführt wurde. Die Waffe bewährte sich grundsätzlich, es
konnte jedoch kein wesentlicher Mehrwert festgehalten werden. Deshalb befinden
sich nach wie vor auch Flinten der Generation zwei in der querschnittlichen
Nutzung. Trotzdem folgten auch andere Nationen wie Großbritannien und auch die
Privatanwender diesem Beispiel: Die Einführung der M1014 JSCS hat weltweit zu
einem erhöhten Absatz von halbautomatischen Flinten im Endkundenmarkt geführt.
Regelmäßig versuchen die Hersteller, durch Innovationen Bedürfnisse zu
schaffen: Im Januar 2018 präsentierten gleich zwei namhafte Flintenhersteller,
Remington und Mossberg, eine Vorderschaft-Repetierflinte mit Stangenmagazin
(weitere Informationen hierzu in der IWA-Berichterstattung in Waffenkultur-Ausgabe 39).
Ob diese Generation "zweieinhalb" sich etablieren kann, bleibt
abzuwarten.
Fazit
Egal ob edle Jagdflinte, abgenutzter Repetierer oder
nagelneuer Halbautomat: Wer eine Flinte sein Eigen nennen kann, besitzt ein
potentiell hocheffizientes Werkzeug. Der Schlüssel, um dieses Potential auch
nutzen zu können liegt, wie immer, in der Ausbildung - am Ende entscheiden die Fähigkeiten des
Schützen und nicht das Waffenmodell. Eine moderne Einsatzflinte wie hier
beschrieben ist in jedem Fall eine leistungsfähige und preiswerte
Ausgangsbasis, die für alle Zwecke geeignet ist.
Der nächste Flintenkurs findet am 15.09. in Bocholt statt
http://0-500.org/page.php?al=Termine
Der nächste Flintenkurs findet am 15.09. in Bocholt statt
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