Mittwoch, 1. April 2020

Red Dot vs. Iron Sights - Teil 1


Es ist eine Diskussion, die immer mal wieder aufkommt: Die Vorteilhaftigkeit von Rotpunktvisieren gegenüber der herkömmlichen mechanischen Visierung. Welche Vor- und Nachteile gibt es beim Einsatz auf der Kurzwaffe?


Von Tobias Bold, Christian Väth und Henning Hoffmann

Zu Beginn der 1990er-Jahre hielten Leuchtpunktvisiere (LPV) vermehrt Einzug in den dynamischen Schießsport. Wettkampfteilnehmer traten teilweise mit Cola-Dosen-ähnlichen Visiereinrichtungen auf ihren Sportpistolen und Revolvern an. Aber schon damals zeigte sich, dass ein LPV noch lange keine Sieger macht.

LPV im Privatbereich
In den vergangenen zwei Jahren sind kleine LPV auf Gebrauchspistolen im Privatbereich immer häufiger anzutreffen. Pistolenhersteller bereiten ihre Serienmodelle mit einer Schnittstelle zur LPV-Aufnahme vor oder liefern diese inklusive Rotpunktvisier aus.
Der private Endanwender verspricht sich von der Verwendung eines LPV auf seiner Pistole viel. Die Realität der täglichen Schießstandpraxis sieht jedoch anders aus. Was von Leuchtpunktvisieren geheimhin erwartet wird, sind schnellere Treffer, höhere Präzision und das Ganze bei weniger Ausbildungs- und Trainingsaufwand. Mitunter wird auch die (ungerechtfertigte) Hoffnung geäußert, mit einem LPV eine Sehschwäche kompensieren zu können.

Die Realität im Privatbereich
Die Schießkurse von Akademie 0/500 bieten aufgrund der hohen Anzahl und der Breite des Teilnehmerfelds eine ausreichend große Basis zur Beurteilung von Trends, wie z.B. LPV auf Kurzwaffen. Folgende nachteilige Faktoren sind bei Teilnehmern immer wieder zu beobachten und zwar unabhängig vom Ausbildungsstand:
Der erhoffte schnelle oder gar schnellere Aufbau eines Visierbildes findet nicht statt. Jeder Ziehvorgang der Waffe sollte mit einem korrekten Visierbild abgeschlossen werden. Anwender mit einem LPV benötigen jedoch signifikant mehr Zeit, am Ende des Ziehvorgangs den Rotpunkt vors Auge zu bekommen, als Anwender mit Kimme und Korn.
Es kommt vermehrt zu Handhabungsfehlern, insbesondere bei der Störungsbeseitigung.

Handhabungsfehler: Der Anwender nutzt das LPV als Indexpunkt bei Ladetätigkeiten und Störungsbeseitigung und verdeckt dabei das Auswurffenster mit seiner Hand


Nachteilig beim Ziehvorgang
Mit offener Visierung ist am Ende des Ziehvorgangs sofort erkennbar, in welche Richtung die Mündungslinie abweicht. Es kann korrigiert werden. Teils passiert das sogar unbewusst während des Ziehvorgangs. Die Positionierung von Kimme und Korn ist in einem viel größeren Winkelbereich einschätzbar. Der Rotpunkt verschwindet schon bei einer Abweichung von ein paar Grad aus dem Sichtfeld.
Beim Rotpunkt gibt es nicht das "gut genug" der offenen Visierung. Ein LPV auf einer Kurzwaffe ist entweder perfekt ausgerichtet oder das Visierbild ist nicht vorhanden. Dieser Mangel lässt sich nur mit entsprechend höherem Trainingsaufwand beseitigen, der einen absolut wiederholgenauen Ziehvorgang zum Ziel hat. Die Hoffnung auf schnellere und präzisere Treffer bei weniger Training hat sich damit zerschlagen.

Nachteilig bei Waffenmanipulationen
Ist ein LPV auf einer Pistole montiert, neigt der Anwender grundsätzlich dazu, bei Waffenmanipulationen wie Durchladen oder Störungsbeseitigung, das Patronenauswurffenster mit seiner Hand zu verdecken. Eine einfache Ladetätigkeit führt dann zu einer Störung. Eine unmittelbare Störungsbeseitigung führt zu einer weiteren (komplexen) Störung. Diese Handhabungsfehler ließen sich durch gezieltes Training reduzieren, werden aber bei LPV-bestückten Pistolen immer signifikant öfter auftreten.

LPV bei militärischen Anwendern
Mag sein, dass die Bundeswehr keine anderen Beschaffungsprobleme hat, als in Erwägung zu ziehen, ihre Armeepistolen mit einem LPV auszustatten. Wie dem auch sei.
Neben dem erwiesenermaßen höheren Trainingsaufwand in Bezug auf motorische Abläufe, wie Ziehvorgang oder In-Anschlag-Gehen, kommen im militärischen Bereich noch die Probleme Kosten und Allwettertauglichkeit hinzu:
Allen voran natürlich die höheren Kosten. Dem Handwaffensystem „Pistole“ kommt zwar eine gestiegene Bedeutung zu, dennoch bleibt die Kurzwaffe für militärische Anwender nachrangig. Der Bedarf für eine Modifizierung der Kimme und Korn Visierung ist hier wirklich nicht erkennbar.
Leuchtpunktvisiere sind weit weniger allwettertauglich, als man ihnen gemeinhin zutraut. Mitunter führen schon Regentropfen auf dem LPV-Fenster zur Unbenutzbarkeit, bzw. irritieren den Schützen so sehr, dass eine präzise Schussabgabe nur mit einem entsprechend höherem Ausbildungsaufwand bewerkstelligt werden könnte. Die Verschmutzungsgefahr, welche durch infanteristischen Einsatz entsteht, ist ungleich höher einzuschätzen, als ein paar Regentropfen.
Es gibt zwar Schutzkappen, welche das LPV-Fenster vor Schmutz und Beschädigung bewahren; diese müssen vorm Schießen aber manuell entfernt werden. Eine Verwendung im Kampfeinsatz verbietet daher der gesunde Menschenverstand.
Aus der Tatsache heraus, dass Pistolen beim Militär die Zweitbewaffnung darstellen, ergibt sich vermutlich immer die Konsequenz, dass ihr Einsatz eine Notmaßnahme sein wird, z.B. weil das Hauptwaffensystem „Sturmgewehr“ unerwartet seinen Dienst versagt. Diese Notsituationen werden immer geprägt sein durch: Zeitdruck, ein Stresslevel, welches korrekte motorische Abläufe stark einschränkt und relativ kurze Distanzen zum Gegner. Also genau die Rahmenbedingungen, bei denen ein LPV seine Schwächen zeigt.

Allwettertauglich? Nach einem kurzen Regenschauer wird jede Linse nass sein. Der erhoffte schnellere Treffer wird zu einer Frage des intensiven Trainings


Die Studie
Zum Thema LPV gibt es zahlreiche Studien. Eine stammt aus dem Jahre 2011 und heißt „Comparative Pistol Project“. In diesem Projekt wurde vergleichsweise die Effektivität von traditionellen offenen Visiereinrichtungen (Kimme und Korn) zu Leuchtpunktvisieren (in diesem Fall das RMR von Trijicon) auf Pistolen untersucht. Insgesamt 27 Probanden nahmen an der Studie teil. 13 von ihnen nutzten Iron Sights und 14 nutzten die Trijicon Optik. Geschossen wurden vier unterschiedliche Parcoursähnliche Übungen. Im Resultat waren die Teilnehmer mit einer LPV signifikant besser.

Übung 1
Die erste Schießübung bestand darin, auf eine Entfernung von 15 Yards einen Einzelschuss ohne Zeitbegrenzung anzubringen. Insgesamt mussten von jedem Teilnehmer zehn Schuss abgegeben werden.

Übung 2
Aus einer Entfernung von 5 Yards waren aus einer Bereitschaftshaltung (center chest retention hold) zwei Schüsse abzugeben. Das Ganze insgesamt zehnmal.

Übung 3
Identisch zu Übung 2; allerdings aus einer Entfernung von 10 Yards.

Übung 4
Aus einer Entfernung von 10 Yards waren zwei Ziele zu beschießen; jeweils mit einem Schuss. Die Ziele standen dabei sechs Fuß (1,83 Meter) auseinander. Insgesamt mussten sechs Durchgänge absolviert werden.

Auswertung in der Studie
Die Auswertung, welche in der Studie vorgenommen wurde, zeigt folgendes Bild: Bei Übung 1, dem präzisen Einzelschuss erreichte die Iron-Sight-Gruppe 75 Prozent der möglichen Treffer. Die LPV-Gruppe erreichte 98 Prozent an Treffern. Was in der Studie als „statistisch signifikant“ bewertet wird. Bei allen anderen Übung, welche alle gegen die Zeit aus einer Bereitschaftsposition heraus geschossen werden mussten, betrug der prozentuale Unterschied zwischen den beiden Gruppen 95 zu 99 Prozent bzw. 81 zu 96 Prozent und 83 zu 96 Prozent. Nach dem Urteil der Durchführenden waren diese Unterschiede „statistisch nicht signifikant“.

Ergebnis
Die Studie kommt zu dem Schluss, dass die Trijicon RMR Rotpunktoptik effektiver ist, als Kimme und Korn der offenen Visierung.

Kritische Würdigung des Ergebnisses
Das Ergebnis der Studie lässt Spielraum für Interpretationen: Der einzige als signifikant zu bewertende Unterschied in der Trefferleistung ist beim präzisen Einzelschuss ohne Zeitbegrenzung zu sehen. Die Ursache könnte hier sein, dass keinem der Teilnehmer der Umgang mit Kimme und Korn schon jemals richtig erklärt worden ist. Somit kann nicht zwingend behauptet werden, die LPV-Gruppe wäre besser. Sie ist nur weniger schlecht als die Kimme-und-Korn-Gruppe. Bei dieser Gruppe wiederum offenbaren sich die Ausbildungsmängel schonungslos. Während die LPV-Gruppe Ausbildungsmängel durch die Verwendung besserer Ausrüstung kaschieren kann.
Leider endet die Studie an dem Punkt, wo es interessant wird. In einem zweiten Teil hätte untersucht werden können, wie sich die Trefferergebnisse ändern, wenn beide Probandengruppen mit dem gleichen Material ausgestattet wären.

These a): Beide Gruppen schießen ohne LPV
In die Praxis übertragen hieße das, es steht kein optoelektronisches Zielhilfsmittel zur Verfügung.
Vermutlich wäre hier zu beobachten gewesen, dass die Gruppe, welche im Teil 1 mit Iron Sights schoss im Teil 2 signifikant bessere Ergebnisse erzielt hätte, als die Gruppe, die aus Teil 1 heraus an das Schießen mit einem Rotpunkt Zielhilfsmittel gewöhnt war.

These b): Beide Gruppen schießen mit LPV
Vermutlich wäre hier das Ergebnis gewesen, dass ebenfalls die Iron-Sight-Gruppe aus Teil 1 die besseren Ergebnisse gehabt hätte, weil sie aus Teil 1 heraus einen höheren Trainingseffekt durch das Nutzen der Offenen Visiereinrichtung mit in den Teil 2 hätte nehmen können.

Fazit
Die Vorteile, die ein LPV auf einer Langwaffe mit sich bringt, sind nicht eins zu eins auf eine Kurzwaffe übertragbar. Das In-Anschlag-Gehen mit einer LPV-Pistole erlaubt keine Fehler in der Motorik, wie sie von einer Kimme/Korn-Pistole toleriert werden. Ladetätigkeiten und Störungsbeseitigung können zum Desaster werden, wenn der Anwender nicht auf eine absolut korrekte Handposition achtet. Das alles erfordert vergleichsweise mehr Ausbildungs- und Trainingsaufwand. LPV können darüber hinaus aufgrund eines technischen Defekts jederzeit ausfallen und sind weit weniger allwettertauglich als Kimme und Korn.


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