Tief im Erzgebirge in
einem stillgelegten Bergwerkstolln [sic!] bei Marienberg existiert eine Schießanlage,
die es erlaubt, auf 500 Meter zu schießen. Darüber hinaus stellt der
Standbetreiber gleichsam modernste Messelektronik zur Schussauswertung zur
Verfügung.
Von Dr. Leif Richter und Henning Hoffmann
Von Dr. Leif Richter und Henning Hoffmann
Schießstände, die eine Möglichkeit bieten, eine Waffe auf
100 Meter einschießen, gibt es relativ viele. Schießstände mit Zielentfernungen
von 500 Metern sind da schon eine Ausnahme. Bei einer Zielentfernung von 500
Metern in einer geschlossenen Anlage kann man in Deutschland aber gewiss von
Einzigartigkeit sprechen. Genau das hat der Schützenverein „Mittleres Erzgebirge
e. V.“ mit seiner „Raumschießanlage Rosenberg 1“ in Marienberg erschaffen. Die
beiden 500 Meter Bahnen liegen in einem ehemaligen, nicht vollendeten
Wasserüberleitungsstolln zwischen zwei Talsperren.
Weite Schüsse
Bei Schüssen auf größere Entfernungen wirken
Umweltbedingungen länger auf das Geschoss ein und beeinflussen das
Trefferergebnis somit deutlich mehr. Luftdruck, Lichtverhältnisse, Spindrift
und insbesondere die Einflüsse des Windes erschweren die Analyse der
Trefferbilder. Welcher Fehler letztendlich worauf zurückzuführen ist, stellt dabei
die Kernfrage bei Long-Range-Schützen dar. Je mehr Variablen eliminiert werden,
umso leichter und genauer können die Trefferleistungen analysiert und das
gesamte Waffensystem bzw. die Schützenleistung beurteilt werden. Die Anlage
erlaubt das Nutzen von Kalibern mit einer Energie von bis zu 18.000 Joule.
Arbeitsplatz: Der Schütze erhält über seine WLAN-fähigen Geräte eine sofortige Trefferauswertung |
Konstante Bedingungen
Durch die Lage im Stolln eines stillgelegten Bergwerks sind
die Umgebungsparameter relativ konstant und die Schützen können sich bereits
vorab auf die folgenden Bedingungen einstellen:
Temperatur: +9 bis +10 °C
Relative Luftfeuchte: 85
bis 95 Prozent
Luftdruck (bei Abluftbetrieb): 1.000 bis 1.050 hPa
Höhe über Normalnull: 577 Meter
Neigung der Bahn zum Ziel: -0,52
Prozent
Lichte Höhe Schießbahn: 2,80 Meter
Mit diesen Angaben können ballistische Überlegungen und
Berechnungen bereits im Vorfeld durchgeführt werden. Gravierende Änderungen der
Umgebungsbedingungen durch z.B. Veränderungen in der Wetterlage sind dabei
ausgeschlossen. Auch die Temperatur ist das ganze Jahr über konstant.
Wind
Jeder, der sich mit Schüssen auf große Entfernungen
beschäftigt, kann bestätigen, dass richtiges „Windlesen“ eher eine Kunst als
ein Messvorgang ist. Wind kann seine Richtung und seine Intensität auf der
Geschossflugbahn unendlich oft ändern. Wind absolut korrekt zu messen, um
daraus Korrekturen zu errechnen ist somit eher wenig wahrscheinlich. Einfacher
ist es da, die Variable Wind schlicht auszuschalten. Im Bergwerkstollen
„Rosenberg 1“ kann der Faktor „Wind“ absolut ausgeklammert werden.
Licht am Ende des Tunnels: Die Sohle-Firste des Stollns ist 2,80 m hoch. Ausreichend für weite Schüsse |
Messtechnik
Das Auswertungssystem in „Rosenberg 1“ wird mit Messtechnik
der Firma Silver Mointain Targets aus Kanada betrieben. Die Schützen können sich
dabei mit ihrem eigenen WLAN-fähigen Gerät (Smartphone, Tablet oder Notebook)
in das Netzwerk der Schießanlage einwählen und bekommen jeden Treffer sofort
angezeigt. Zusätzlich zur Trefferlage auf der Zielscheibe werden die
Koordinaten des Treffpunktes angezeigt sowie die Größe der Streukreise
umschlossen oder nach Höhe und Breite.
Neben der eigentlichen Trefferlage kann die Anlage auch die
Geschossgeschwindigkeit bei 15 bzw. bei 100 bei 200 und 300 Meter messen, sowie
natürlich die Geschwindigkeit im Ziel bei 500 Meter. Voraussetzung dafür ist
allerdings eine Geschossgeschwindigkeit jenseits der Schallgrenze. Auch diese
Parameter bekommt der Schütze elektronisch zur Verfügung gestellt.
Innerhalb der Messstrecke werden die Projektile in einem
virtuellen Koordinatensystem angeordnet, so dass auch die Streukreise an den
15, 100, 300 und 500 Meter Messpunkten ausgegeben werden können.
In der nächsten Ausbaustufe soll die maximale Entfernung bis
auf 800 Meter erweitert werden. Eine Nutzung der Stolln wäre sogar bis zu
einer Entfernung von 1.500 Metern möglich.
Als Haltepunkt auf 500 Meter dient ein schwarzer Kreis mit 100 cm Durchmesser |
Flugbahn in einem
geschlossenen Raum
Ist eine lichte Raumhöhe von 2,80 Meter für weite Schüsse
ausreichend? Beim Schuss über größere Entfernungen spielen Ansatzpunkte, wie
zum Beispiel die „GEE“ (Günstigste Einschießentfernung) oder der Wunsch nach
einer „möglichst gestreckten“ Flugbahn eine untergeordnete Rolle. Der Schütze
nimmt bewusst in Kauf, dass sich das Projektil auf einer Kurve bewegt und
versucht zu errechnen, wie er den Abgangswinkel modifizieren muss, um am Ende
der Flugbahn sein Ziel zu treffen. Hier stellt sich die Frage nach der maximalen
Höhe, auf der sich das Geschoß durch den Raum bewegt. Wichtig ist in diesem
Zusammenhang aber nicht der maximale Geschossabfall, sondern die Flugbahnhöhe
über der Visierlinie. Auf 1.000 Meter beträgt der absolute Geschossabfall beim
Kaliber .50 BMG mit einer V0 von 750 m/s zum Beispiel zehn Meter. Wird der
Abschusswinkel korrigiert, ergibt sich lediglich eine maximale Flugbahnhöhe zur
Visierlinie von 2,50 Metern bei einer Scheitelpunktentfernung von 520 Metern.
Rosenberg 1 ist mit seinen konstanten Umweltbedingungen ideal zum Testen von Long Range Ausrüstung |
Exkurs
Geschossgeschwindigkeit
Präzise Messdaten der Geschwindigkeit sind für
Long-Range-Schützen von besonderem Wert. Die angegebene V0 auf einer
Munitionsschachtel ist nur in den wenigsten Fällen auf die eigene Kombination
von Waffe und Munition übertragbar. Wie wichtig eine genaue Messung der
Geschossgeschwindigkeit ist, zeigt sich deutlich, wenn man sich intensiver mit
dem ballistischen Koeffizienten beschäftigt. Insbesondere der G1-Koeffizient
ist direkt von der Geschwindigkeit des Geschosses abhängig und keineswegs
konstant. Die Auswirkungen dieses Effektes werden bei größeren Entfernungen
deutlich, wenn die ermittelten Klickkorrekturen bis zu einer bestimmten Entfernung
passen, dann aber plötzlich deutliche Abweichungen zwischen den theoretischen
ballistischen Korrekturen und der tatsächlichen Trefferlage entstehen. Eine
Erklärung kann hier zum Beispiel ein fehlerhafter ballistischer Koeffizient
sein.
Mit den derzeitigen und besonders mit den zukünftigen
Messmöglichkeiten der Anlage können individuelle auf das jeweils vorliegende
Waffensystem abgestimmte ballistische Koeffizienten ermittelt werden, was den
Wert dieser Anlage für den Long-Range-Enthusiasten noch einmal deutlich erhöhen
dürfte.
Persönliche
Vorbereitung
Um die gebotenen Möglichkeiten von „Rosenberg 1“
vollumfänglich nutzen zu können, sollte der Anwender einige Kleinigkeiten
beachten.
Das Waffensystem sollte eingeschossen sein und der Schütze
sollte zumindest grob seine Ballistik kennen. Montage- und Verstellwerkzeug für
das jeweilige Zielfernrohr sollten dabei sein. Neben einem oder auch zwei
WLAN-fähigen Geräten zur Trefferauswertung sollte auch eine Schießmatte als
Unterlage mitgeführt werden. Darüber hinaus natürlich zweckentsprechende
Kleidung für die saisonunabhängigen 10°C bei 90% Luftfeuchte innerhalb der
Anlage.
Hinter dem Kugelfang wohnt ein feuerspeiender Drache |
Zusatznutzen
Die Anlage liegt unter Tage und bietet somit einen hohen
Schutz gegen Einbruch, Sabotage und Spionage. Sie ist bei Bedarf absolut
abhörsicher und besitzt eine vollkommen autarke Versorgung mit Energie und
Wasser.
Die Kompetenz des Standbetreibers in Sachen Longe Range
Schießen, Messelektronik und deren Auswertung steht außer Frage. Auch hier
ergibt sich ein Zusatznutzen für den professionellen oder Semi-professionellen
Anwender.
Von Chemnitz aus ist Marienberg verkehrsgünstig über die neu
ausgebaute B174 zu erreichen. Ein Besuch der Schießanlage könnte durchaus mit
einem Kurzurlaub in der naturbelassenen und sehr bodenständigen Region des
Mittleren Erzgebirges verknüpft werden.
Fazit
Idee und Umsetzung sind in Europa einmalig und eine
deutliche Bereicherung für alle Anwender, die gern weiter als die üblichen 100
Meter schießen.
Mit modernster Messelektronik und Auswertungssoftware ist
die Anlage bestens für Testreihen und die Weiterentwicklung von Waffensystemen
geeignet.
Waffenkultur Ausgabe 42.5: Scharfschützen-Spezial
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