Luxuriöser Landstreicher
Nässeschutz sowohl in
der Bewegung als auch im Schlaf bei möglichst geringem Gewicht und Volumen: das
liefert der klassische Poncho. Der polnische Hersteller Helikon-Tex will mit
der Swagman Roll eine ähnlich vielseitige Kälteschutzkomponente liefern
Von Tobias Bold
Militärisch genutzte Nylon-Ponchos gibt es seit den 1950er
Jahren. Der zugehörige Poncholiner wurde ab den 60er Jahren als leichte Schlafsackalternative
an US-Soldaten ausgegeben. Dieser Poncholiner wird alleinstehend als Decke
genutzt, wenn der Poncho als Tarp aufgespannt ist. Er verfügt aber auch über
Schnüre an den Ecken, um ihn mit den Ösen am Poncho zu verbinden. Das ist
praktisch, wenn die Windbedingungen oder die Umgebung ein Aufspannen als Tarp
schwierig machen.
Allerdings hat diese Urform des Poncholiners keine Öffnung
für den Kopf, so dass die Kombination mit dem Poncho auf die Nutzung als
wasserdichte Decke beschränkt ist. Für eine halbwegs praxistaugliche Nutzung in
der Bewegung musste damals Eigeninitiative bewiesen werden, indem mit mehr oder
weniger Geschick und Sachkunde eine passende Öffnung in die Mitte des Liners
geschnitten wurde. Da dies aber die Effektivität als Decke reduzierte, ging man
dazu über, einen Reißverschluss anzubringen. In die Serienproduktion dienstlich
gelieferter Poncholiner schaffte es diese Truppenlösung jedoch nie.
Als Abgrenzung zu neueren Ansätzen hat sich für diese ersten
Poncho- und Poncholiner-Modelle der Zusatz USGI (United States government
issue) eingebürgert.
Von diesem Stand ausgehend ist das Bessere der Feind des
Guten: Entweder ist der Poncho als stationärer Regenschutz zu klein und es wird
ein Tarp mitgeführt. Oder die fehlende Atmungsaktivität des Ponchos stört und
man nutzt in der Bewegung lieber moderne Nässeschutzkleidung. Oder der
Poncholiner wird durch einen leichten Schlafsack ersetzt.
Dieses Mitführen zusätzlicher, auf einzelne Zwecke
spezialisierter Ausrüstung führt dazu, dass das ursprüngliche Alleskönner-Duo
in seiner Nützlichkeit reduziert wird und redundant erscheint. Schnell erreicht
man den Punkt, an dem Poncho und Liner durch weitere Spezialisten für die
verbliebenen Bereiche ersetzt werden. Als Letztes versucht man, das gestiegene
Gewicht und das größere Volumen durch hochwertigere Einzelgegenstände wieder zu
reduzieren. Am Ende stehen entweder höheres Gewicht oder eine kleine
Gewichtsersparnis durch empfindliche Ultraleicht-Ausrüstung. Beides zu höheren
Kosten.
Soll dieses Spielchen vermieden werden, müssen Poncho und
vor Allem Poncholiner ihre Sache so gut machen, dass die Anschaffung
spezialisierter Ausrüstung für einzelne Teilbereiche nicht sinnvoll erscheint.
Konzept
Die Swagman Roll hat ihren Namen von den australischen
Landstreichern und Wanderarbeitern des 19. Jahrhunderts. Diese legten
gezwungenermaßen weite Strecken zu Fuß zurück und kampierten entsprechend oft
im Freien.
Die Verwendung als Shelterkomponente ist also ein Eckpfeiler
des Konzepts. Althergebrachte Unzulänglichkeiten des Poncholiners für diese
Anwendung müssen also verschwinden.
Zugleich soll die Swagman Roll aber auch in der Bewegung
vollwertigen Nässe- und Kälteschutz zur Verfügung stellen.
Damit ist klar, dass es eine Koppelmöglichkeit mit dem USGI-Poncho
geben muss. Diese Anforderung gibt die Abmessungen vor: 145 x 200 cm, etwas
kleiner als der zugehörige Poncho (je nach Hersteller gibt es kleinere
Abweichungen bei den Größen von Poncho und Liner).
Ebenso sind für eine Nutzung auf dem Marsch Notlösungen wie
ein mittiger Reißverschluss zu vermeiden - eine richtige Kapuze ist Pflicht.
Anders als der USGI-Poncholiner ist die Swagman Roll auch
alleine wind- und wasserabweisend. Mit der Climashield Apex-Füllung ist eines
der modernsten synthetischen Isolationsmaterialien verbaut. Bei annähernd
gleichem Gewicht (820 g laut Hersteller) ist die Swagman Roll damit deutlich
wärmer als der technisch veraltete USGI-Liner.
Dem Gesamtkonzept folgend wurde die Swagman Roll im Test
sowohl alleine getragen als auch mit einer Helikon-Reproduktion eines
USGI-Ponchos gekoppelt. Diese moderne Ausgabe des Ponchos unterscheidet sich
vom Vorgänger nur in Details.
Eigenschaften
Im Vergleich zum klassischen USGI-Poncholiner und auch zu
mancher modernen Konkurrenz punktet die Swagman Roll mit einer Vielzahl gut
durchdachter Details.
Ein zweiseitig umlaufender YKK-Reißverschluss ermöglicht die
Verwendung als Sommerschlafsack oder Schlafsack-Inlet. Dieser Reißverschluss
öffnet sich unter Zug auch ohne direkte Einwirkung auf den Schieber. Das
vermeidet Materialschäden und erleichtert das Verlassen des Schlafsacks. Der
Zwei-Wege-Zipper erlaubt es auch, die geschlossene Swagman Roll vom Fußende her
zu öffnen, um kurze Strecken im Schlafsack zurücklegen zu können.
Die Kapuze lässt sich mittels einer einzigen Kordel bis auf
einen kleinen Augenschlitz verengen.
Bei der Nutzung mit einem Poncho werden die beiden Kapuzen
nicht gekoppelt, sondern nur ineinander gesteckt. So kann je nach Situation
wahlweise nur eine oder beide Kapuzen getragen werden. Speziell bei der
Beobachtung der Umgebung ist die Kapuze des USGI-Poncho störend laut und kann
so weggeklappt bleiben.
Für die Verwendung als Schlafsack lässt sich die Kapuze in
eine eigens dafür angebrachte kleine Tasche verstauen und mit Klett fixieren.
So wird kalte Zugluft vermieden - hier hat eindeutig jemand Praxiserfahrung mit
Konkurrenzmodellen gesammelt.
Auf der Vorderseite der Swagman Roll befindet sich eine
geräumige Brusttasche mit einer kleinen Schlaufe, an der mittels Karabinerhaken
GPS-Gerät, Taschenlampe o.Ä. angebracht werden kann. Die Brusttasche dient
außerdem auf links gedreht als integrierter Packsack.
Die Frage, warum der Swagman
Roll zusätzlich zur Verstaumöglichkeit in der eigenen Brusttasche ein
getrennter Packsack beiliegt, ist leicht beantwortet: In letzteren passt auch
die Kombination von Poncho und Poncholiner problemlos hinein. Auch dieser
Packsack ist gut durchdacht. An der Unterseite befindet sich Netzgewebe, damit
Feuchtigkeit entweichen kann. Außerdem findet sich dort eine Griffschlaufe, um
den Inhalt ohne zeitraubendes Nachgreifen entnehmen zu können.
An den vier Ecken der Swagman Roll befinden sich
Kordelstopper für die Zugbänder, mit denen der Saum enger gestellt werden kann.
Direkt daneben befinden sich kleine Kunststoffbalken, um die Swagman Roll mit
dem USGI-Poncho zu koppeln. Diese sind besonders mit kalten Fingern wesentlich
dankbarer in der Handhabung als die Schnüre beim klassischen Poncholiner.
Im Trageversuch hat sich gezeigt, dass diese kleinen Balken
je nach Schrittlänge regelmäßig an die Kordelstopper stoßen und damit ein
Klicken von Plastik auf Plastik erzeugen. Abhilfe lässt sich leicht dadurch
schaffen, dass die Balken durch die Befestigungsschlaufe der Kordelstopper
gezogen werden.
Sehr positiv aufgefallen sind die Schnallen an den Seiten.
Damit lässt sich der Poncholiner überlappend vor und hinter dem Körper
schließen. So hebt auch starker Wind den Liner nicht an und ein großer Teil des
Körpers wird von einer doppelten Schicht Material bedeckt. Auch die Hände
können so einfach und schnell vor Wettereinflüssen geschützt werden.
Um Bewegungsfreiheit zu gewährleisten, sind diese Schnallen
mit elastischen Bändern befestigt. Bei starkem Zug über die Dehnfähigkeit
hinaus stellen sich diese Bänder auf ihre größte Länge. So sollen
Beschädigungen vermieden werden, wenn man den Poncholiner zunächst unbemerkt an
Ästen oder anderen Hindernissen eingehakt hat.
Die überlappende Trageweise lässt sich auch dann problemlos
nutzen, wenn die Swagman Roll mit einem Poncho gekoppelt ist. Hier kommt dann
nur noch eine kleine Bewegung hinzu, wenn man die Hände ganz nach außen bringen
will.
Sollte es nötig werden, zeitweise ungehinderten Zugriff auf
am Körper getragene Ausrüstung zu haben, lässt sich die Swagman Roll mit diesen
Schnallen hinter dem Rücken fixieren. Dazu wird das vordere Schnallenpaar nach
außen geschlossen, der Poncholiner etwas zur Seite gedreht und beide
herunterhängende Hälften nach hinten geschwenkt. Das Schnallenpaar der
Rückseite wird jetzt um das gesamte Material geschlossen. Auch diese Trageweise
ist in Kombination mit dem USGI-Poncho umsetzbar.
Erfahrungswerte
Wer je einen Nylon-Poncho eine Weile unter körperlicher
Belastung getragen hat, kennt das Problem: Feuchtigkeit sammelt sich auf der Innenseite
und auf lange Sicht ist man lediglich warm und nass statt ohne Poncho kalt und
nass. Bei kombinierter Trageweise hält die Swagman Roll diese Feuchtigkeit vom
Nutzer weg und das Problem verschwindet. Das höhere Gewicht der Kombination
reduziert windbedingtes Flattern. Die oben erwähnte überlappende Trageweise der
Swagman Roll beseitigt auch dieses Phänomen komplett.
Leichten Niederschlag hält die Swagman Roll auch ohne
zusätzlich getragenen Poncho ab. Aufgrund der besseren Atmungsaktivität und der
geringeren Flatterneigung sowie der niedrigeren Geräuschentwicklung fiel die
entweder-oder-Wahl bei wechselhaftem Wetter damit meistens auf die Swagman Roll
statt auf den Poncho.
Herstellerseitig gibt es keine Angaben zum
Temperaturbereich. Für vergleichbar schwere Schlafsäcke mit identischem
Isoliermaterial finden sich Komforttemperaturen im Bereich um die 5°C mit
einigen Grad Abweichung in beide Richtungen. Im Selbstversuch mit einem
USGI-Poncho als Tarp und einer 1,4 mm dicken Evazote-Isomatte als Unterlage war
ein halbwegs erholsamer Schlaf bis knapp unter den Gefrierpunkt machbar. Die
getragene Kombination von Poncho und Swagman Roll über einem
X-Bionic-Funktionsshirt als einziger Oberbekleidung reichte aus, um bei
ähnlichen Temperaturen auf einem Stück Isomatte sitzend stundenlang entspannt
auszuharren. Der Autor ist zwar recht wetterfest, aber das wird sich für andere
Nutzer durch eine weitere Schicht Bekleidung ausgleichen lassen. Je nach
Kälteempfindlichkeit und Komfortanspruch ist eine Nutzung irgendwo im
einstelligen °C-Bereich also durchaus realistisch.
Der einzige Wermutstropfen dürfte für einige Nutzer die
"universelle" Größe sein. Wer deutlich über 180 cm misst oder gerade
im Schulterbereich sehr breit gebaut ist, wird bei der Nutzung als Schlafsack
Probleme haben. Auch mit eher durchschnittlichen Abmessungen dreht man sich mit
dem und nur selten im Schlafsack. Als Alternative für breite Nutzer lässt sich
die Swagman Roll mit den Schnallen unter der Isomatte schließen. So hat man
spürbar mehr Platz zur Verfügung, muss aber mehr auf das Vermeiden kalter
Zugluft achten.
Die Swagman Roll ist in Coyote oder im MultiCam-ähnlichen
Camogrom erhältlich. Die Innenseite ist jeweils coyote-farben. Mit 100 Euro
bewegt sich der Preis deutlich jenseits des alten USGI-Poncholiners, aber im
Hinblick auf Funktionalität und Vielseitigkeit hat die Swagman Roll die Nase
sogar gegenüber vielen teureren Konkurrenzprodukten vorn.
Fazit
"Advanced poncho liner" steht auf dem Packsack und
genau das bekommt man mit der Swagman Roll: einen vielseitigen
Ausrüstungsgegenstand, dem man die eingeflossene Praxiserfahrung an vielen
Stellen anmerkt. Viele Probleme und Problemchen der Kombination Poncho und
Poncholiner sind überzeugend beseitigt.
Nach dem sehr positiven Ersteindruck geht unser Exemplar in
den Langzeittest.
Service
Bezug über https://www.camostore.de/helikon-tex/
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