Dienstag, 6. Februar 2018

Nachladetechniken: Zu viel Hokuspokus


Das Nachladen einer Waffe gehört nicht nur zu den allerersten Manipulationen, die ein Auszubildender lernt, sondern auch zu denen, die er am häufigsten ausführt. Leider wird in diesen einfachen Vorgang zu viel Hokuspokus hineininterpretiert und damit kostbare Ausbildungszeit verschwendet


Eine kürzlich in den USA veröffentlichte Studie privaten Ursprungs (hier) analysiert bewaffnete Konfrontationen, bei denen Schusswaffen Verwendung fanden. Die Datenbasis dieser Studie bilden 30 öffentlich zugängliche Überwachungsvideos. Ob die Datenmenge von lediglich 30 Videos oder die Methode der Auswertung repräsentativ sind, soll nicht Gegenstand dieses Artikels sein. Dennoch lassen sich Rückschlüsse auf allgemeine Verhaltensweisen im Kampf und damit auch auf die Konzeptionierung von Schießausbildung ableiten.

Kernaussagen
Zusammengefasst kommen die Macher der Studie zu folgenden Kernaussagen:
Die Gesamtdauer einer bewaffneten Konfrontation beträgt vom ersten bis zum letzten Schuss 20 Sekunden. Es sind min. zwei Angreifer, in den meisten Fällen jedoch mehr. Die Entfernung beträgt drei Meter. Alle Beteiligten bewegen sich und es wird kaum Deckung genutzt, weil nicht vorhanden.
Leider lässt sich die Studie nicht darüber aus, wie viele Schüsse pro Beteiligtem abgefeuert werden. In Anbetracht der hohen Dynamik und der kurzen Ereignisdauer, liegt es nahe, dass ein Magazinwechsel bzw. das Nachladen der eigenen Waffe für den Ausgang der Konfrontation nahezu belanglos war. (In gewisser Weise trifft das auch auf das Nutzen von Deckungen zu.)

Integration
Vor diesem Hintergrund sollte hinterfragt werden, wie viel Ausbildungszeit eine konzeptionelle Schießausbildung auf die Lehrinhalte „Magazinwechsel“ (oder auch „Deckung“) verwenden darf. Und welcher Variantenreichtum dabei vermittelt werden soll.
Schießlehrer haben die Verpflichtung, ihre Auszubildenden in robusten Techniken zu unterweisen. Alle Waffenmanipulationen müssen auch noch bei Dunkelheit, bei Kälte, unter Zeitdruck und dem Einfluss von Angst funktionieren. An diesen Testfeldern muss sich jedes Ausbildungskonzept messen lassen. Dem Teilnehmer sollen Fähigkeiten vermittelt werden, die sein Überleben in eben solchen Konfrontationen wahrscheinlicher machen.
Ausbildungszeit ist eine knappe Ressource und sollte daher effizient genutzt werden. Im Vordergrund sollte stehen, die Lernkurve des Ausbildungsteilnehmers maximal zu steigern.
Da gem. eingangs erwähnter Studie das Nachladen für den Ausgang eines Feuergefechtes kaum empirische Relevanz besitzt, gehört es nicht zwingend zu den Kernkompetenzen, über die ein Anwender verfügen müsste. Es könnte daher zu Gunsten anderer Lehrinhalte auf ein Minimum reduziert werden.

Ein neues Magazin muss in die Waffe. Alles andere ist zu viel Hokuspokus. Schnelligkeit ist keineswegs eine Anforderung an den Magazinwechsel


Realität
Die Ausbildungsrealität sieht jedoch anders aus. Diverse Varianten des Nachladens sind zu einem regelrechten Dogma in der Ausbildung geworden. Man spricht vom „Tactical“ oder „Speed Reload“ oder von proaktiv und reaktiv. Dem Teilnehmer werden Definitionen präsentiert, die er zunächst einmal auswendig lernen muss. Dann werden ihm die Bewegungsabläufe sowie die Unterschiede zwischen den Varianten erklärt und natürlich die Situationen, in denen sie angewandt werden müssen. Variantenreichtum erzeugt immer Entscheidungszwang. Für den Lehrgangsteilnehmer bedeutet diese diversifizierende Ausbildung vor allem eins: Ihm wird suggeriert, in einer bewaffneten Konfrontationen stünden ihm Gehirnkapazitäten zur Verfügung, die eine kognitive Auswahl aus mehreren Techniken zuließen.  Das ist ein Trugschluss. Das kognitive Potential wird nicht ausreichen, um die eigene Lage zu analysieren, auf die hoffentlich richtige Definition des Nachladevorgangs zurückzugreifen, den dementsprechenden Bewegungsablauf abzurufen und auszuführen. Wofür, laut Studie, maximal 20 Sekunden zur Verfügung stehen werden. Und wobei sich der Anwender (mangels Deckung) nicht nur in Bewegung, sondern vermutlich auch unter gegnerischem Feuer befinden wird.

Zwei Magazine in einer Hand bugsieren? Bei Kälte? Bei Dunkelheit? Unter Zeitdruck und dem Einfluss von Angst? Dieser Bewegungsablauf ist nicht robust und kann aus dem Lehrplan gestrichen werden

Lösung
Die Lösung in einem Ausbildungskonzept könnte sein, alle Nachladevarianten auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu reduzieren und genau diesen auszubilden. Der kleinste gemeinsame Nenner für moderne Pistolen und Selbstladegewehre ist: Ein neues Magazin muss in die Waffe. Das ist alles. Der Bewegungsablauf an sich muss Kriterien entsprechen, die ihn gemeinhin als robust klassifizieren. Ändern sich die Idealbedingungen von warm, trocken und Tageslicht in die Parameter nass, kalt und Dunkelheit, zeigt sich sehr schnell, welche Waffenmanipulationen robust sind. Im Selbstversuch kann so etwas experimentell und ohne viel Aufwand getestet werden.
Nachladevarianten, bei denen zwei Magazine gleichzeitig in der Hand gehalten werden sollen, können niemals robust ausgeführt werden. Der Schiefgehfaktor vervielfacht sich, bei einem zutiefst fragwürdigen Nutzen.
Darüber hinaus ist keine gegenteilige Studie bekannt, anhand der empirisch nachgewiesen wurde, dass (blitz-)schnelle Magazinwechsel zum Sieg in einem Feuergefecht führten.

Fazit
Die eigene Waffe permanent in Feuerbereitschaft halten zu können, ist die beste Taktik überhaupt. Dementsprechend sollten nur taktisch sinnvolle Bewegungsabläufe integriert werden, die auch noch bei Dunkelheit, bei Kälte, unter Zeitdruck und dem Einfluss von Angst funktionieren. Alles andere ist Larifari. 


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