Das Nachladen einer Waffe gehört nicht nur zu den allerersten Manipulationen, die ein Auszubildender lernt, sondern auch zu denen, die er am häufigsten ausführt. Leider wird in diesen einfachen Vorgang zu viel Hokuspokus hineininterpretiert und damit kostbare Ausbildungszeit verschwendet
Eine kürzlich in den USA veröffentlichte Studie privaten
Ursprungs (hier) analysiert bewaffnete Konfrontationen, bei denen Schusswaffen
Verwendung fanden. Die Datenbasis dieser Studie bilden 30 öffentlich
zugängliche Überwachungsvideos. Ob die Datenmenge von lediglich 30 Videos oder
die Methode der Auswertung repräsentativ sind, soll nicht Gegenstand dieses
Artikels sein. Dennoch lassen sich Rückschlüsse auf allgemeine Verhaltensweisen
im Kampf und damit auch auf die Konzeptionierung von Schießausbildung ableiten.
Kernaussagen
Zusammengefasst kommen die Macher der Studie zu folgenden
Kernaussagen:
Die Gesamtdauer einer bewaffneten Konfrontation beträgt vom
ersten bis zum letzten Schuss 20 Sekunden. Es sind min. zwei Angreifer, in den
meisten Fällen jedoch mehr. Die Entfernung beträgt drei Meter. Alle Beteiligten
bewegen sich und es wird kaum Deckung genutzt, weil nicht vorhanden.
Leider lässt sich die Studie nicht darüber aus, wie viele
Schüsse pro Beteiligtem abgefeuert werden. In Anbetracht der hohen Dynamik und
der kurzen Ereignisdauer, liegt es nahe, dass ein Magazinwechsel bzw. das
Nachladen der eigenen Waffe für den Ausgang der Konfrontation nahezu belanglos
war. (In gewisser Weise trifft das auch auf das Nutzen von Deckungen zu.)
Integration
Vor diesem Hintergrund sollte hinterfragt werden, wie viel
Ausbildungszeit eine konzeptionelle Schießausbildung auf die Lehrinhalte
„Magazinwechsel“ (oder auch „Deckung“) verwenden darf. Und welcher
Variantenreichtum dabei vermittelt werden soll.
Schießlehrer haben die Verpflichtung, ihre Auszubildenden in
robusten Techniken zu unterweisen. Alle Waffenmanipulationen müssen auch noch
bei Dunkelheit, bei Kälte, unter Zeitdruck und dem Einfluss von Angst
funktionieren. An diesen Testfeldern muss sich jedes Ausbildungskonzept messen
lassen. Dem Teilnehmer sollen Fähigkeiten vermittelt werden, die sein Überleben
in eben solchen Konfrontationen wahrscheinlicher machen.
Ausbildungszeit ist eine knappe Ressource und sollte daher
effizient genutzt werden. Im Vordergrund sollte stehen, die Lernkurve des
Ausbildungsteilnehmers maximal zu steigern.
Da gem. eingangs erwähnter Studie das Nachladen für den
Ausgang eines Feuergefechtes kaum empirische Relevanz besitzt, gehört es nicht
zwingend zu den Kernkompetenzen, über die ein Anwender verfügen müsste. Es könnte
daher zu Gunsten anderer Lehrinhalte auf ein Minimum reduziert werden.
Ein neues Magazin muss in die Waffe. Alles andere ist zu viel Hokuspokus. Schnelligkeit ist keineswegs eine Anforderung an den Magazinwechsel |
Realität
Die Ausbildungsrealität sieht jedoch anders aus. Diverse
Varianten des Nachladens sind zu einem regelrechten Dogma in der Ausbildung
geworden. Man spricht vom „Tactical“ oder „Speed Reload“ oder von proaktiv und
reaktiv. Dem Teilnehmer werden Definitionen präsentiert, die er zunächst einmal
auswendig lernen muss. Dann werden ihm die Bewegungsabläufe sowie die
Unterschiede zwischen den Varianten erklärt und natürlich die Situationen, in
denen sie angewandt werden müssen. Variantenreichtum erzeugt immer
Entscheidungszwang. Für den Lehrgangsteilnehmer bedeutet diese
diversifizierende Ausbildung vor allem eins: Ihm wird suggeriert, in einer bewaffneten
Konfrontationen stünden ihm Gehirnkapazitäten zur Verfügung, die eine kognitive
Auswahl aus mehreren Techniken zuließen.
Das ist ein Trugschluss. Das kognitive Potential wird nicht ausreichen,
um die eigene Lage zu analysieren, auf die hoffentlich richtige Definition des
Nachladevorgangs zurückzugreifen, den dementsprechenden Bewegungsablauf abzurufen
und auszuführen. Wofür, laut Studie, maximal 20 Sekunden zur Verfügung stehen
werden. Und wobei sich der Anwender (mangels Deckung) nicht nur in Bewegung,
sondern vermutlich auch unter gegnerischem Feuer befinden wird.
Zwei Magazine in einer Hand bugsieren? Bei Kälte? Bei Dunkelheit? Unter Zeitdruck und dem Einfluss von Angst? Dieser Bewegungsablauf ist nicht robust und kann aus dem Lehrplan gestrichen werden |
Lösung
Die Lösung in einem Ausbildungskonzept könnte sein, alle
Nachladevarianten auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu reduzieren und genau
diesen auszubilden. Der kleinste gemeinsame Nenner für moderne Pistolen und
Selbstladegewehre ist: Ein neues Magazin muss in die Waffe. Das ist alles. Der
Bewegungsablauf an sich muss Kriterien entsprechen, die ihn gemeinhin als
robust klassifizieren. Ändern sich die Idealbedingungen von warm, trocken und
Tageslicht in die Parameter nass, kalt und Dunkelheit, zeigt sich sehr schnell,
welche Waffenmanipulationen robust sind. Im Selbstversuch kann so etwas
experimentell und ohne viel Aufwand getestet werden.
Nachladevarianten, bei denen zwei Magazine gleichzeitig in
der Hand gehalten werden sollen, können niemals robust ausgeführt werden. Der
Schiefgehfaktor vervielfacht sich, bei einem zutiefst fragwürdigen Nutzen.
Darüber hinaus ist keine gegenteilige Studie bekannt, anhand
der empirisch nachgewiesen wurde, dass (blitz-)schnelle Magazinwechsel zum Sieg
in einem Feuergefecht führten.
Fazit
Die eigene Waffe permanent in Feuerbereitschaft halten zu
können, ist die beste Taktik überhaupt. Dementsprechend sollten nur taktisch
sinnvolle Bewegungsabläufe integriert werden, die auch noch bei Dunkelheit, bei
Kälte, unter Zeitdruck und dem Einfluss von Angst funktionieren. Alles andere
ist Larifari.
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